Jahrelang stand das massive bräunlich-graue Gebäude leer und verlassen im Zentrum der lettischen Hauptstadt Riga. Im sogenannten Stura maja („Eckhaus“) residierte in bester Lage einst der sowjetische Geheimdienst KGB und verhörte, quälte und ermordete jahrzehntelang Menschen, die ihm verdächtig erschienen. Doch im Kulturhauptstadtjahr wird das wohl gefürchtetste Haus Lettlands erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit Donnerstag ist es für Besucher geöffnet.
" class="infobox_img" />Ein Schlafraum in der Ex-KGB-Zentrale. (dpa)
„Dies ist eines der wichtigsten Projekte unseres Programms wie auch für uns alle in Lettland. Wir wollen damit eine Diskussion über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anregen“, sagt Diana Civle, Leiterin des Organisationsbüros Riga 2014. Mit Führungen durch das einstige KGB-Haus und durch sechs thematische Ausstellungen soll in dem heutigen EU- und Nato-Land eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über den Umgang mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts angestoßen werden.
Haus des Schreckens
Im kollektiven Gedächtnis der Letten umgibt das 1912 als Wohnhaus erbaute Gebäude, in dem im Zweiten Weltkrieg kurzzeitig auch die Nationalsozialisten herrschten, bis heute eine Aura des Schreckens. Jeder in Riga kennt das „Eckhaus“, das zu Sowjetzeiten als höchstes Gebäude der Stadt galt – von dessen sechsten Stock konnte man, wie es im Volksmund heißt, bis nach Sibirien blicken. Zeitgenossen, die es von innen sahen, lassen die Erinnerungen bis heute nicht ruhen.
„Man hielt mich in Einzelhaft in einer äußerst engen Zelle gefangen – sie war einen halben Meter größer als die Schlafpritsche. Dunkelgraue, mit Ölfarbe gestrichene Wände, schwarzer Asphaltboden, ein kleines Fensterchen unterhalb der Decke“, schildert die ehemalige Insassin Helena Celmina ihre Haftbedingungen. Mehrere Monate verbrachte die Lettin 1962 in der Strafanstalt, in denen sie sich, wie sie in einem Buch beschreibt, quälenden Verhören unterziehen musste, Demütigungen und Unrecht ausgesetzt war.
Wegen „antisowjetischer Agitation“ wurde sie später zu vier Jahren Haft in einem Arbeitslager nahe Moskau verurteilt. Anderen angeblichen Staatsfeinden erging es noch schlimmer – auch 25 Jahre Sibirien für einen vagen Verdacht waren keine Seltenheit. Zahlreiche Letten seien zudem direkt im KGB-Gebäude zum Tode verurteilt und in einem speziell isolierten Raum erschossen worden, erklärt der Historiker Rihards Petersons.
Denkmal erinnert an die Opfer
An die Opfer der Repressionen erinnert ein Denkmal an der verwitternden Jugendstil-Fassade des über 8500 Quadratmeter großen Gebäudes. Drinnen vermitteln im Keller und im Erdgeschoss die bis auf den abblätternden Putz unverändert gebliebenen Zellen mit ihren schweren, wuchtigen Türen und grellen, kalten Lampen einen Eindruck vom bedrückenden Haftalltag.
Damals gab es insgesamt 44 Zellen mit 175 Betten, die vielfach überfüllt waren. Einige davon nutzte später auch die lettische Polizei, die das KGB-Gebäude nach der wiedererlangten Unabhängigkeit für kurze Zeit übernahm. Seit 2008 steht es leer.
Unangetastete Räume
Auch auf den anderen Stockwerken sieht es überwiegend noch genau so aus wie nach dem Auszug der Sowjets 1991. Dort befassen sich bis zum 19. Oktober nun Ausstellungen mit der Geschichte des „Eckhauses“, dem Leben und Schicksalen der Bewohner Rigas und Lettlands sowie der Interaktion zwischen Menschen und wechselnden Machthabern.
Für Kurator Gints Grube ist die Öffnung des Hauses ein „historisches Ereignis“ für Lettland, die dem einstigen KGB-Hauptquartier das „Element der Anonymität“ nimmt und einer Nachnutzung zuführen soll. Durch eine aktive Aufarbeitung will er eine Erinnerungskultur in dem baltischen Land schaffen. „Wir müssen uns selbst mit dieser Geschichte konfrontieren“, meint Grube mit Blick auch auf kommende Generationen.
Was nach dem Kulturhauptstadtjahr mit dem denkmalgeschützten Gebäude passiert, ist derzeit unklar. Und auch vieles Andere ist noch im Dunkeln. „Wir konnten das Eckhaus schneller öffnen als die KGB-Akten“, sagt Grube. Bis heute sind die in Lettland verbliebenen Unterlagen versiegelt. Durch die Öffnung des „Eckhauses“ erhofft sich Grube auch einen Impuls für die politische Diskussion über den Einblick in die lettischen KGB-Akten.
De Maart

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