Seit sieben Jahren ist Gilles de Kerchove Antiterror-Koordinator der Europäischen Union. Die Anschläge von Paris lassen erneut Forderungen laut werden, in Europa abgestimmt gegen den Terrorismus vorzugehen. Doch die EU bewegt sich im Schneckentempo, auch weil die Mitgliedstaaten eifersüchtig ihre Kompetenzen im Bereich der inneren Sicherheit verteidigen.
Der Rechtsprofessor de Kerchove arbeitet seinerseits mit geringsten Mitteln und braucht vor allem zwei Tugenden: Beharrlichkeit und Geduld. Das Büro des Belgiers ist in den endlosen Gängen eines Brüsseler EU-Gebäudes ohne Hilfe ortskundiger Mitarbeiter kaum zu finden. Es unterscheidet sich vom Zuschnitt her nicht von den Räumen davor und danach. An der Tür steht schlicht „Gilles de Kerchove“. Auf dem Boden liegen Zeitschriftenstapel, im Regal stehen Erinnerungsbilder mit Politikern, an der Wand hängt ein Säbel.
„Europas Antiterror-Zar“
In den USA, wo de Kerchove einen Juraabschluss an der Eliteuniversität Yale gemacht hat, wird er heute als „Europas Antiterror-Zar“ bezeichnet. In gewisser Weise ist er das, aber in einer ganz anderen Dimension, als sich viele seiner Gesprächspartner vorstellen können.
Das US-Pendant von de Kerchoves Dienststelle, das National Counterterrorism Center (NCTC), hat über 500 Mitarbeiter. Der EU-Antiterror-Beauftragte hat sechs – drei Berater, zwei Sekretärinnen und einen Sprecher. De Kerchove kann vorschlagen, werben und argumentieren – entscheiden kann er praktisch nichts. Zwar ist die innere Sicherheit seit dem Lissabon-Vertrag eine geteilte Kompetenz der EU und der Mitgliedsländern. Der Kampf gegen den Terrorismus bleibe aber „zu mehr als 80 Prozent in der Verantwortung der Mitgliedstaaten“, sagt der 58-Jährige.
Ausgezeichnet vernetzt
Nachdem er 2007 sein Amt angetreten hatte, musste er kämpfen, um von den nationalen Stellen ernst genommen zu werden. Es habe ihn „drei Jahre gekostet“, ein Gespräch mit dem Leiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 zu bekommen, erzählte er vor einem Jahr bei einer Anhörung im Londoner Parlament.
De Kerchove kannte die Unwägbarkeiten des EU-Betriebs und seine schwierigen Entscheidungsprozesse schon lange vor seiner Arbeit als Antiterror-Koordinator. Von 1995 bis 2007 leitete er den Bereich Justiz und Inneres im Generalsekretariat des EU-Rates. Bis heute gut sind seine Beziehungen in die belgische Regierung, wo er von 1989 bis 1995 Büroleiter des stellvertretenden Regierungschefs war.
Von der belgischen Seite bekommt de Kerchove regelmäßig Geheimdienstinformationen, aus vielen anderen EU-Ländern eher sporadisch.
Über die Lage in den Mitgliedstaaten ist er dennoch detailliert informiert, verweist aber oft auf Zeitungsartikel.
Überwachung und Radikalisierung
Nach den Anschlägen von Paris fordert de Kerchove, das seit Jahren blockierte europäische Fluggastdatenregister einzuführen. Nur so ließen sich Bewegungen von Verdächtigen frühzeitig erkennen. Zudem hält er Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen auch für EU-Bürger für sinnvoll.
Nur mit einer verstärkten Überwachung ist dem Terrorismus de Kerchove zufolge aber nicht beizukommen. Der Kampf dagegen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Großen Handlungsbedarf sieht er bei der Prävention und beim Verhindern von Radikalisierung in Gefängnissen. „Wir sollten nicht jeden ins Gefängnis stecken, wenn er aus Syrien zurückkehrt“, sagt er. „Dort werden sie nur noch radikaler.“
Dringend fordert de Kerchove, der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) im Internet das Wasser abzugraben. Angesichts der Professionalität der IS-Propaganda brauche es hier „etwas Enormes“, um gegenzuhalten. „Ich würde mich gerne mit Hollywood und großen PR-Agenturen an einen Tisch setzen, um eine massive Kampagne zu machen.“ Beeindruckt ist de Kerchove von der Mobilisierung nach den Anschlägen auf die Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“. „So etwas wie die ‚Je suis Charlie‘-Bewegung habe ich noch nicht erlebt“, sagt er und plädiert dafür, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, damit das „keine Eintagsfliege bleibt“.
De Maart

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