Mini-Referendum

Mini-Referendum
(Alain Rischard/editpress)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Auf dem CETA-Kongress der LSAP dominierten Emotionen.

Wie hältst du es mit CETA und TTIP? Dieser Frage war der Sonderparteitag der LSAP am Dienstag gewidmet. Er war das Ergebnis einer monatelangen Debatte in- und außerhalb der LSAP, angestoßen von einer Gruppe von Parteimitgliedern, Autoren eines offenen Briefes an die Parteiführung Mitte Juli 2015.

In dem Schreiben, dem sich danach mehr als hundert Parteimitglieder anschließen sollten, war die politische Linie der LSAP-Führung und ihrer Minister insbesondere in wirtschaftspolitischen Fragen öffentlich in Frage gestellt worden. Seit Februar dieses Jahres nennt sich diese parteiinterne Opposition „Linkssozialisten“.

Am Dienstag erlitt sie eine herbe Niederlage. Eine solide Kongressmehrheit von rund 90 Prozent wies ihre Argumente gegen das umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada zurück. Sie unterstützte lieber die Resolution der Parteiführung, die sich für CETA ausspricht.

Der Kongress erinnerte in der Diskussionsführung und beim Austausch von Meinungen an die Debatten im Vorfeld von Volksbefragungen. Es war eine Art Mini-Referendum: zwei Seiten, die jede eine Schubkarre voll Argumente für die jeweilige Position auffährt; Kompromisse sind nicht eingeplant.

Man ist entweder dafür oder dagegen, für die eine Seite oder für die andere. Das galt zumindest für all jene, die vor dem Kongress das Wort ergriffen. Zwischentöne gab es so gut wie keine.
Natürlich waren die Redner bemüht, sachlich zu bleiben, Fakten anzuführen, logische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Und bestimmt war das voluminöse, fast zweitausend Seiten zählende Vertragswerk zuvor zerpflückt und ausgiebig analysiert worden – sowohl von seinen aggressivsten Kritikern als auch von seinen leidenschaftlichen Befürwortern. Doch welche Möglichkeiten hatten die anderen Delegierten an jenem Abend, die Spreu vom Weizen zu trennen?

Haben sich wirklich alle, die sich nach den Debatten an der Abstimmung beteiligten, „en bonne connaissance de cause“ entschieden? So wie es sich bei einer Entscheidung über die Zukunft einer Regierungspartei ziemt?
Die Fragestellung mag überspitzt klingen, doch wirft sie schlechthin das grundlegende Problem bei Diskussionen über wichtige Sachfragen mit anschließender Beschlussfassung auf. Auf was beruhte die Entscheidung von Parteitagsdelegierten oder Referendumsteilnehmern?

Beim CETA-Kongress spielte Außenminister Jean Asselborn mit seiner emotionsgeladenen Rede die Hauptrolle. Gefühle statt Argumente bestimmten das Abstimmungsergebnis maßgeblich.
Dessen mussten sich auch die „Linkssozialisten“ bewusst sein, als sie sich auf die Kampfabstimmung im „Centre Barblé“ in Strassen einließen.

Als gute Demokraten werden sie sich nun der Mehrheitsentscheidung fügen. Es sei denn, sie wollen die Auseinandersetzung außerhalb der Mutterpartei führen. Der von politischen Gegnern gesehene Riss würde sich zur realen Abspaltung ausweiten, auch wenn diese nicht so dramatisch ausfiele, wie es sich das noch vor einem Jahr andeutete, als über hundert Mitglieder den offenen Brief an die Parteileitung unterschrieben. Ob „Linkssozialisten“ und die anderen Sozialisten sich eine derartige Trennung leisten können?