Montag22. Dezember 2025

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Interview mit einem Escher Haus„Einsam und verzweifelt, möchte wieder zu was nütze sein“

Interview mit einem Escher Haus / „Einsam und verzweifelt, möchte wieder zu was nütze sein“
Seit 2011 ein trauriger Anblick: Haus 17, rue Dicks in Esch Foto: Editpress/Julien Garroy

Im März dieses Jahres berichtete das Tageblatt über Haus Nummer 17 in der rue Dicks in Esch. Still, verwittert und leicht resigniert steht es seit über einem Jahrzehnt leer. Einst wohnte dort Stadtarchitekt van Hulle. Später seine Tochter Monique, die Kinderärztin. Dem heutigen Besitzer scheint das Haus egal zu sein. Er lässt es verkümmern. Jetzt, kurz vor Jahresende, haben wir mit dem Haus gesprochen. Gut geht es ihm nicht, die Situation unverändert, der Wunsch nach strengeren Gesetzen groß. Ein Interview der besonderen Art.

Haus, schön, Dich zu sehen, wie geht es Dir?

Hallo Marco. Wie soll’s mir gehen? Ich bin ein Bau aus den späten 1930ern. Für mein Alter halte ich mich erstaunlich gut, sagen sogar die Leute, die mich meiden wie ein schlechtes Omen. Ich knirsche ein wenig im Gebälk, verliere gelegentlich eine Schieferplatte. Ja, ich weiß, nicht sehr rühmlich, aber innerlich bin ich stabil. Solide Bausubstanz. Nur fehlt mir etwas, Du weißt ja: Gesellschaft. Menschen. Ich fühle mich einsam, möchte wieder zu was nütze sein. In dieser Jahreszeit ist es besonders schlimm. In der Nachbarschaft leuchten die Weihnachtsbäume, Kinder singen, Adventskränze sorgen für loderndes Licht. Nur bei mir ist es zappenduster und still.

Seit 2011 stehst Du leer. Wie fühlt sich das an?

Leer ist nicht nur ein Zustand, es ist ein Geräusch. Ein leises, hallendes „Warum eigentlich?“. Früher war ich voller Stimmen, Schritte, Streit, Lachen, Trubel. Eine Kinderarztpraxis, stell‘ Dir das vor! Mal kreischten Babys, mal fluchten übermüdete Eltern. Herrlich! Jetzt bin ich still. So still, dass selbst die Spinnen höflich flüstern. Die Tauben allerdings, die treiben es bunt, sie finden überall einen Eingang und benutzen mich als Klo ohne Wasserspülung. Du solltest Dir mal mein Treppenhaus ansehen.

Wie sieht es in Deinem Garten aus?

Furchtbar, ich traue mich kaum, einen Blick hineinzuwerfen. Alles verwildert: Unkraut, Schmutz, tote Tauben und Katzen. Jüngst ist sogar ein Baum umgeknickt und hat den Zaun zum Nachbargarten beschädigt. Gegenüber wohnt übrigens auch der heutige Escher Stadtarchitekt. Er hat mich also sozusagen täglich vor Augen. Aber auch er kann offenbar nichts tun.

Familien mit Geschichte wohnten hier. Schack, Lang, Van Hulle. Erfüllt das Dich mit Stolz?

Stolz? Vielleicht eher mit Ironie. Meine ersten Besitzer sahen die Welt ein wenig … sagen wir mal, mit problematischen Vorlieben. Die Geländerform mit dem hakenkreuzähnlichen Muster kenne ich. Ich kann nichts dafür, ich wurde so gebaut. Danach kamen die Van Hulles. Eine engagierte Ärztin, ein Stadtarchitekt mit Rückgrat. Das war eine gute Zeit. Der Architekt und Ingenieur war ein Charakter. Hat Monarchie und Machtgehabe verachtet. Als Großherzogin Charlotte zur Theatereröffnung kam, hat er lieber die Hände in den Taschen gelassen, als sie ihr zu schütteln. Ich stand damals stolz an der Seite seiner Familie, ein Haus, das fest im Boden war, aber Eltern und Kinder nach vorn brachte. Ja, darauf bin ich stolz.

Dein Zustand macht Nachbarn und Passanten Sorgen. Dachziegel fallen, Wasser dringt ein. Seit März ist es ja eher schlimmer geworden, oder?

Besser jedenfalls nicht. Aber, ach du lieber Himmel, als ob ich die Schieferplatten selbst abschraube. Wenn mein Besitzer mich seit Jahren links liegen lässt, kann ich mich ja schlecht selbst reparieren. Ich bin kein Transformer. Ich kann höchstens knarren, um auf mich aufmerksam zu machen. Manchmal träume ich davon, dass ein Dachdecker vorbeiläuft und Mitleid hat. Aber meistens kommen nur Leute, die die Straßenseite wechseln.

Lose Schieferplatten riskieren, vom Dach auf den Bürgersteig zu fallen, Feuchtigkeit ist ein anderes Problem
Lose Schieferplatten riskieren, vom Dach auf den Bürgersteig zu fallen, Feuchtigkeit ist ein anderes Problem Foto: Editpress/Julien Garroy

Apropos Besitzer: Hat er sich gemeldet in den vergangenen Monaten?

Nein, mir war zwar so, als ob er sich mal im Haus bei seinen alten Spielsachen aufgehalten hat, bin mir aber nicht sicher, weil es war nachts und da schlafe auch ich mal etwas tiefer. Aber sollte er hier gewesen sein, dann wäre es schon interessant zu wissen, warum. Er hat mich geerbt und mich dann aus seinem Leben gestrichen. Vielleicht glaubt er, dass Häuser sich von allein halten. Vielleicht wartet er auf Wertsteigerung. Vielleicht ist er schlicht überfordert. Ich verurteile ihn nicht. Aber ich hätte gern mehr als einen Kratzer am Türrahmen, einen richtigen Besuch, eine richtige Wertschätzung.

Es gibt doch Spekulationen, er sei verschwunden.

Die Menschen lieben Rätsel. Ich stehe hier und werde zum Mythos. „Das Haus mit dem Erben, der spurlos blieb.“ Klingt wie ein mittelmäßiger Netflix-Film. Vielleicht sollte die Polizei den Fall „Stiller Eigentümer“ nennen. Ich wünsche ihm nichts Schlechtes. Ich kenne ihn ja kaum. Ich wünsche mir nur, dass er endlich eine Entscheidung trifft.

Ein Gerücht besagt, ein Anwalt kümmere sich teils um seine Angelegenheiten.

Habe ich auch gehört, aber das wäre ein merkwürdiger Anwalt, zumindest einer, dem die Interessen der Allgemeinheit egal sind.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?

Oh, die Liste ist lang. Aber vor allem wünsche ich mir, dass endlich Gesetze geschaffen werden, die Situationen wie meine unmöglich machen. Besitz verpflichtet, heißt es. Er verpflichtet Besitzer, sich um ihr Haus, ihren Garten oder ihr Appartement zu kümmern. Wer das nicht tut, seinen Besitz willentlich, sträflich vernachlässigt, muss verwarnt und bestraft werden. Ein böser Finger reicht nicht. Und wenn sich ein Besitzer nicht meldet, sich nicht kümmert, es ihm egal scheint, was mit seinem Besitz geschieht, dann muss der Gesetzgeber Fristen vorsehen. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum das so schwierig ist. Warum darf niemand dazu verpflichtet werden, meine Risse auszubessern, mein Dach abzudichten, die Fenster neu zu verglasen? Man soll mich nicht einfach dem Einsturz überlassen. Ich bin bereit für ein neues Kapitel. Ich will genutzt werden, gebraucht werden. Ein leerstehendes Haus ist wie ein ungeöffneter Brief: wertlos, solange niemand ihn liest.

Die Stadt weiß Bescheid, aber wenig passiert, auch seit unserem letzten Zeitungsartikel nicht. Was möchtest Du denen sagen?

Liebe Stadt, ich weiß, ich bin nicht die Philharmonie. Ich bin kein architektonischer Geniestreich. Aber ich stehe im Herzen Eschs und trage Geschichte in meinen Wänden. Lasst mich nicht verrotten. Ruft mal meinen Besitzer an. Oder schickt mir wenigstens einen Architekten vorbei, der sich nicht nur Notizen macht. Aber, macht bitte endlich was. So viele Menschen warten auf eine Wohnung. Ich könnte helfen. Ich wäre gern wieder ein Ort, der etwas beiträgt. Ich könnte sogar mit dem Nachbarn Frieden schließen, obwohl ihm meine feuchten Wände so langsam auf die Nerven gehen.

Wünsche mir Gesetze, die Situationen wie meine unmöglich machen

Haus Nummer 17

Erinnerung an bessere Zeiten, als Kinderärztin Monique van Hulle noch ihre Praxis in der rue Dicks 17 hatte
Erinnerung an bessere Zeiten, als Kinderärztin Monique van Hulle noch ihre Praxis in der rue Dicks 17 hatte Foto: Editpress/Julien Garroy

Guy van Hulle sorgt sich aber um Dich.

Ja, das berührt mich tief. Er erzählt von meiner Vergangenheit, von seiner Schwester, von Kindheit und Gerechtigkeit. Er spricht von Ehre. Und ich merke, dass für ihn Häuser nicht nur Steine sind, sondern Speicher. Von Erinnerungen, von Menschen, die uns geprägt haben. Wenn jemand wie er sagt: „Ich möchte diesem Haus helfen“, dann klingt das wie ein Herzschlag.

So wie Dir geht es anderen Häusern und Wohnungen in Esch. Tauscht ihr euch aus?

Ja, aber die Diskussion versandet immer wieder im Lamento. Wir fühlen uns wie Kinder, deren Eltern sich nicht um sie kümmern, wie Haustiere, die ausgesetzt werden, weil ihre Familie in Urlaub fährt oder ihnen die Zuneigung abhandengekommen ist, wie ein alter Hut. Aber lass uns aufhören, mir fällt vor Wut und Enttäuschung gleich ein Ziegel vom Dach.

Entschuldigung, wollte Dich verletzen. Letzte Frage: Was würdest Du den Menschen sagen, die täglich an Dir vorbeigehen?

Bleibt kurz stehen. Schaut mich an. Ich bin nicht nur eine Ruine, ich bin ein Zeugnis. Für das, was war, und für das, was möglich wäre. Und falls euch eine Schieferplatte entgegenkommt: Es ist nicht böser Wille. Nur ein alter Körper, der sich verzweifelt nach Hilfe sehnt. Bitte, helft mir!