5. Dezember 2025 - 15.24 Uhr
AustralienSocial-Media-Verbot für Jugendliche: Wie soll das eigentlich funktionieren?
Ab dem 10. Dezember greift in Australien das weltweit erste umfassende Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige. Tech-Giganten wie Meta, TikTok und Snapchat stehen vor der Herausforderung, Millionen jugendliche Nutzerinnen und Nutzer von ihren Plattformen auszuschließen – oder Geldstrafen von fast 50 Millionen Dollar (fast 30 Millionen Euro) zu riskieren. Doch wie lässt sich ein solches Verbot in der Praxis durchsetzen? Und welche Folgen hat es für Jugendliche, Eltern und die digitale Zukunft?
Was genau wird verboten?
Das australische Gesetz verpflichtet soziale Medienplattformen, alle Konten von Nutzern unter 16 Jahren zu deaktivieren und die Neuanmeldung dieser Altersgruppe zu verhindern. Betroffen sind Facebook, Instagram, TikTok, Snapchat, X (ehemals Twitter), YouTube, Reddit, Twitch und Kick. Die Regierung hat betont, dass diese Liste dynamisch ist und bei Bedarf erweitert werden kann, falls Jugendliche auf andere Plattformen ausweichen.
Ausgenommen vom Verbot sind Bildungsplattformen wie Google Classroom, YouTube Kids sowie Jobportale wie LinkedIn. Auch Pinterest fällt nicht unter die Regelung.
Wie wird das Alter kontrolliert?
Die Altersverifikation liegt in der Verantwortung der Plattformen selbst, wobei die Regierung lediglich vorschreibt, dass die Vorlage eines Ausweises nicht die einzige Prüfmethode sein darf. Bei Snapchat können Nutzerinnen und Nutzer ihr Alter über ihr australisches Bankkonto mit ConnectID bestätigen, einen Regierungsausweis wie Reisepass oder Führerschein vorlegen oder ein Selfie hochladen, das mittels Gesichtserkennungstechnologie des Unternehmens k-ID analysiert wird.
Die größte Herausforderung: Australien verfügt über kein nationales Ausweissystem, und es gibt keinen staatlichen Ausweis für unter 18-Jährige. Experten gehen davon aus, dass am häufigsten Gesichtserkennungstechnologien zum Einsatz kommen werden, die eine Fehlerquote von drei bis fünf Prozent aufweisen.
Was passiert mit bestehenden Konten?
Jugendliche unter 16 Jahren haben bis zum 10. Dezember Zeit, ihre Daten – Fotos, Videos, Chats und Erinnerungen – herunterzuladen. Danach werden die Konten gesperrt, bis die Nutzer 16 Jahre alt werden und ihr Alter nachweisen. Wer sein Konto länger als drei Jahre nicht reaktiviert, verliert es endgültig. Snapchat arbeitet an einem „eingefrorenen Zustand“ für Accounts, der etwa 440.000 australische Nutzer und Nutzerinnen zwischen 13 und 15 Jahren betrifft. TikTok und Meta bieten ähnliche Optionen an, wobei Jugendliche auch die Möglichkeit haben, ihre Konten komplett zu löschen.
Wer fälschlicherweise als minderjährig eingestuft wird, muss ein Beschwerdeverfahren durchlaufen. Bei Meta geschieht dies über eine Video-Selfie-Analyse von Yoti oder durch Vorlage eines Ausweises. TikTok verspricht einen „einfachen Beschwerdeprozess“, ohne jedoch Details zu nennen.
Welche Argumente sprechen für das Verbot?
Befürworter, darunter Professor Terry Flew von der University of Sydney, verweisen auf das Versagen der Selbstregulierung durch die Tech-Konzerne. Facebook und Instagram hatten zwar bereits eine Altersgrenze von 13 Jahren in ihren Nutzungsbedingungen, setzten diese aber kaum durch. Plattformen hätten durch algorithmische Manipulation gezielt junge Menschen angesprochen, um Gewinne zu maximieren – ein Vorwurf, den Whistleblower wie Frances Haugen öffentlich erhoben haben.
Die australische Regierung argumentiert, dass Kinder vor den psychischen Belastungen durch Social Media geschützt werden müssen, insbesondere vor Cybermobbing, bildbasiertem Missbrauch und dem Druck, ständig online sein zu müssen. Flew vergleicht die Maßnahme mit Gesetzen gegen das Rauchen: Auch wenn Jugendliche Wege finden, sie zu umgehen, sei ihre Existenz wichtig.
Was spricht gegen das Verbot?
Kritiker wie die australische Medienexpertin Catherine Page Jeffery warnen vor einer „stumpfen Reaktion auf ein komplexes Problem“. Etwa 140 Akademiker und Jugendpsychologen, darunter auch Page Jeffery, unterzeichneten eine Petition gegen das Gesetz. Sie argumentieren, dass die Evidenz für einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Social Media und psychischen Problemen bei Jugendlichen nicht eindeutig sei. Studien zeigten zwar Korrelationen, die Richtung der Kausalität bleibe aber unklar: Verbringen ängstliche Jugendliche mehr Zeit online – oder macht Social Media sie erst ängstlich?
Jeffery betont die positiven Aspekte sozialer Medien: soziale Verbindungen, Unterstützung für marginalisierte Gruppen wie LGBTQI-Jugendliche, Zugang zu Hilfsangeboten bei psychischen Problemen und die Entwicklung digitaler Kompetenzen. Ein Verbot könne gerade vulnerable Jugendliche in abgelegenen Regionen oder aus kulturell diversen Gemeinschaften isolieren. Zudem würden Jugendliche wahrscheinlich auf weniger regulierte Plattformen ausweichen oder mit VPNs die Sperren umgehen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Junge Menschen wurden kaum in die Diskussion einbezogen. Das UN-Komitee für Kinderrechte betont das Recht von Kindern auf digitale Teilhabe. Statt eines Verbots fordern Kritiker strengere Regulierung der Plattformen, bessere digitale Bildung in Schulen und mehr Unterstützung für Eltern.
Wie reagiert die australische Bevölkerung?
Meinungsumfragen zeigen eine breite Zustimmung von 60 bis 80 Prozent in der australischen Bevölkerung. Unter den Nutzerinnen und Nutzern herrscht jedoch große Verunsicherung über die technische Umsetzung. In sozialen Netzwerken wie Reddit werden intensiv Umgehungsmöglichkeiten diskutiert, etwa durch VPNs, was Zweifel an der praktischen Durchsetzbarkeit weckt.
Wovon hängt der Erfolg ab?
Der deutsche Digitalisierungsexperte Robert Gerlit, der die Entwicklung vor Ort beobachtet, sieht den Schlüssel zum Erfolg weniger in der Technik als vielmehr bei den Nutzern selbst – besonders bei den Eltern. Wie bei jeder roten Ampel entscheide nicht nur die Technik über den Erfolg, sondern vor allem die Akzeptanz der Regel und ihre Einhaltung durch die Mehrheit der Betroffenen, erklärt er.
Das Verbot betreffe nicht nur technikaffine Teenager, sondern auch jüngere Kinder und deren Eltern, denen oft die nötige Erfahrung oder Sensibilität fehle. Zwar könne das Verbot diese Schutzlücke nicht allein schließen, doch schaffe es einen verbindlichen Rahmen, der Eltern aufrütteln und in die Pflicht nehmen werde.
Drohen juristische Herausforderungen?
Verfassungsrechtlich steht das Verbot vor Herausforderungen: Eine Gruppe namens Digital Freedom Coalition hat bereits eine Klage eingereicht. Diese argumentiert, dass die Gesetzgebung das implizite Recht auf politische Kommunikation von Personen unter 16 Jahren beeinträchtige – auch wenn das Wahlalter bei 18 Jahren liegt. Da Australien keine Grundrechtecharta besitzt, werden solche Fragen durch Präzedenzfälle entschieden.
Auch die US-amerikanischen Tech-Konzerne könnten politisch Druck ausüben. Unternehmen lobbyieren bereits bei der Trump-Administration, um gegen das australische Gesetz vorzugehen, da es angeblich gegen das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Australien verstößt und amerikanische Firmen diskriminiert.
De Maart
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