Freitag28. November 2025

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Sarajevos MenschenjägerNeue Justizermittlungen in Italien lassen eine alte Gräuelgeschichte des Bosnienkriegs neu aufleben

Sarajevos Menschenjäger / Neue Justizermittlungen in Italien lassen eine alte Gräuelgeschichte des Bosnienkriegs neu aufleben
Manche Straßen in Sarajevo mussten die Menschen im Laufschritt überqueren, wenn sie nicht Opfer der serbischen Scharfschützen werden wollten, die von den umliegenden Bergen aus die Zivilbevölkerung ins Visier nahmen Foto: Pierre Verdy/AFP

Handfeste Beweise gibt es nicht. Aber dennoch geistert seit über 30 Jahren die Geschichte von Jägern aus dem Westen, die im Bosnienkrieg gegen Geld auf Menschen ballerten, immer wieder durch die Medien. Justizermittlungen lassen die Geschichte neu aufleben, aber die Zweifel an deren Wahrheitsgehalt bleiben.

Seinem Würdenträgerzorn lässt Serbiens autoritär gestrickter Präsident Aleksandar Vucic freien Lauf. Er werde die „teuersten Anwälte auf der Welt“ anheuern, um Medien wie den Guardian oder Daily Mail wegen der verbreiteten „Unwahrheiten“ über seine angebliche Teilnahme an den sogenannten „Sarajevo Safaris“ während des Bosnienkriegs (1992-1995) zu verklagen: „Dies wird sie Millionen kosten.“

Es sind neue Ermittlungen der italienischen Justiz nach den Hintergründen einer der schlimmsten, aber bis heute nicht bewiesenen Gräuelgeschichten des Bosnienkriegs, die nicht nur den regionalen Blätterwald kräftig rauschen lassen, sondern auch für internationale Turbulenzen sorgen: Steinreiche Jagdliebhaber aus dem Ausland sollen während der jahrelangen Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo den bosnisch-serbischen Streitkräften angeblich bis zu umgerechnet 100.000 Euro bezahlt haben, um auf Zivilisten zu ballern.

Rund 11.000 Menschen, darunter 1.600 Kinder, verloren während der fast vierjährigen Belagerung der Stadt ihr Leben – über ein Zehntel der rund 100.000 Todesopfer des Bosnienkriegs. In Italien hatte der Corriere della Sera schon 1995 über angeblich von Triest aus organisierte Wochenendausflüge zur Menschenjagd im Bosnienkrieg berichtet. „Sarajevo Safari“ war 2022 der Titel eines Dokumentarfilms des slowenischen Regisseurs Miran Zupanic, nach dessen Uraufführung Sarajevos Bürgermeisterin Benjamina Karic Anklage gegen Unbekannt erhob: Handfeste Ergebnisse hatten die damals von Bosniens Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen bisher allerdings nicht erbracht.

Der italienische Journalist und Schriftsteller Ezio Gavazzeni, der derzeit an einem Buch über die „Sarajevo Safaris“ schreibt, reichte im Februar dieses Jahres bei der Staatsanwaltschaft in Mailand eine 17-seitige Zusammenfassung seiner Recherchen ein, in der auch Namen von Personen genannt sein sollen, die er der Teilnahme an den „Jagdausflügen“ verdächtigt. Italiens Justiz sah offenbar genügend Verdachtsmomente, um nun Ermittlungen einzuleiten.

Ist die kolportierte Menschenjagd bei den „Sarajevo Safaris“ eine der zahlreichen, von Geheimdienstlern zur Diskreditierung der Gegner verbreiteten Kriegslegenden oder tatsächlich eine ungeheuerliche Straftat? Klare Antworten oder handfeste Beweise gibt oder gab es bisher nicht. Zumindest die Vorwürfe der slowenischen Filmdokumentation beruhten vor allem auf den Aussagen von Edin Subasic, einem ehemaligen Mitarbeiter des bosnischen Geheimdienstes. Justizermittlungen können zwar immer mehr Licht ins trübe Kriegsverbrecherdunkel bringen, doch solange sie nicht in Strafanzeigen oder Prozesse gegen konkrete Personen münden, werden die Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Geschichte über die Menschenjäger von Sarajevo bestehen bleiben.

Unbewiesene Anschuldigung gegen Vucic

Unbestritten ist zwar, dass auch Serbiens heutiger Präsident in Begleitung seines ultranationalistischen Politziehvaters Vojislav Seselj (SRS) 1992 und 1993 zumindest zweimal auf den Anhöhen von Sarajevo gesichtet worden war. Doch die von dem kroatischen Enthüllungsjournalisten Domagoj Margetic nun gegen Vucic erhobene Anzeige bei der Mailänder Staatsanwaltschaft wegen dessen angeblicher Beteiligung an den „Sarajevo Safaris“ stößt selbst bei regierungskritischen Medien in Serbien auf Skepsis.

Der erste Mann eines Regimes, „das am helllichten Tag stiehlt und Gesetze bricht“, habe mit der Anzeige die willkommene Gelegenheit für den „Volleyschuss“ erhalten, „Anschuldigungen zu dementieren, die durch nichts gedeckt sind“, klagt das Portal des unabhängigen Wochenmagazins Vreme. Denn auf dem Foto, das den damaligen Studenten als Sekundanten des Kriegsverbrechers Seselj auf einer Gefechtsstellung oberhalb Sarajevos zeige, habe er keineswegs eine Flinte geschultert, wie behauptet, sondern das Futteral eines Kamerastativs.

Zweifelhafte Vorwürfe und „recycelte Unwahrheiten“ nutze Vucic nur dazu, um gegen Journalisten und Bürgerrechtsaktivisten an sich vom Leder zu ziehen, schreibt Vreme: „Nein, es gibt keinerlei Beweis, dass er auf jemanden geschossen hat; genauso wenig wie dafür, dass er Leute auf eine ‚Safari’ führte.“

Sarajevo am 25. Juni 1992: Eine Frau überquert eine Straße in der einstigen Olympia-Stadt. Ausgebrannte und zerstörte Fahrzeuge auf den Straßen dienten als Schutz vor den serbischen Scharfschützen, die von den umliegenden Bergen aus die Zivilbevölkerung terrorisierten.
Sarajevo am 25. Juni 1992: Eine Frau überquert eine Straße in der einstigen Olympia-Stadt. Ausgebrannte und zerstörte Fahrzeuge auf den Straßen dienten als Schutz vor den serbischen Scharfschützen, die von den umliegenden Bergen aus die Zivilbevölkerung terrorisierten. Foto: Christophe Simon/AFP