Montag24. November 2025

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Orange Week„Marche solidaire“ vereint erneut Hunderte in der Hauptstadt – das sagen die Teilnehmenden

Orange Week / „Marche solidaire“ vereint erneut Hunderte in der Hauptstadt – das sagen die Teilnehmenden
Hunderte Menschen machten am Samstag auf die zunehmend drängende Problematik der Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam Fotos: Carole Theisen

Am vergangenen Samstag färbte sich Luxemburg-Stadt wieder orange. Zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember beteiligt sich die Hauptstadt an der „Orange Week“, der nationalen Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, getragen vom „Conseil national des Femmes du Luxembourg“ (CNFL) und dem Zonta Club International. Hinter der „Marche solidaire“ steht ein Thema, das jedes Jahr drängender wird.

Um Punkt 11 Uhr setzt sich die Menge am Centre Hamilius in Bewegung. Hunderte Menschen – Erwachsene, Teenager, Kinder, Frauen, Männer, Menschen jenseits aller Geschlechterkategorien – marschieren durch die Grand-rue hin zum Clairefontaine-Platz. Dort wartet bereits Bürgermeisterin Lydie Polfer. Sie erhält zu ihrem Geburtstag ein spontanes Ständchen der Marschierenden, bevor anschließend die politischen Reden den Platz übernehmen.

„81 Prozent der Opfer sind Frauen“

Nathalie Morgenthaler, Präsidentin des CNFL, spricht ohne Umschweife. Sie legt Zahlen offen und korrigiert Mythen, die sich hartnäckig halten. „Weltweit erlebt eine von drei Frauen physische oder sexuelle Gewalt. Und im Jahr 2024 gaben 67 Prozent aller Frauen und Mädchen an, online bedrängt oder bedroht worden zu sein.“ Sie warnt davor, Statistiken gegen die Realität auszuspielen: „81 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen, 87 Prozent der Täter sind Männer. Es ist inakzeptabel, falsche oder unvollständige Zahlen zu verbreiten. Das unterhöhlt die Arbeit aller, die strukturelle Gewalt bekämpfen.“

Für Morgenthaler ist der Marsch nur ein sichtbarer Moment einer dauerhaften Aufgabe: Sensibilisieren, Gesetzgebung schärfen, politische Entscheidungen einfordern, Ressourcen sichern – und gleichzeitig verhindern, dass Gewalt relativiert wird.

Auch Hauptstadtschöffe Maurice Bauer (CSV) nimmt die Stimmung auf und dreht sie in Richtung Selbstreflexion: „Wir können als Staat und als Gemeinden viel aufzählen, was wir tun. Aber das reicht nicht, solange sich in den Köpfen nichts verändert.“ Er spricht direkt jene an, die nicht gekommen sind: „Was heute fehlt, sind Männer. Diejenigen, die den Kern des Problems noch nicht verstanden haben.“

Digitale Gewalt als neues Schlachtfeld

Gleichstellungsministerin Yuriko Backes (DP) stellt den diesjährigen Schwerpunkt der „Orange Week“ in den Mittelpunkt: digitale Gewalt. „Die Gefahr ist nicht mehr nur auf der Straße. Sie ist in unseren Nachrichten, auf unseren Bildschirmen, mitten in unserem Alltag.“ Backes skizziert konkrete Fortschritte: eine nationale Anlaufstelle für alle Gewaltbetroffenen, Täterarbeit, neue Gesetze, ein besserer Opferschutz. Ihr Ton bleibt ernst: „Es geht nicht um Sonderrechte für Frauen. Es geht darum, dass jeder Mensch dieselben Rechte und dieselben Möglichkeiten hat. Und die Realität zeigt, dass wir davon immer noch weit entfernt sind.“


Beweggründe der Teilnehmenden

Guida Biewer: „Ich bin Frau, Mutter und Großmutter. Und ich bin heute hier, weil ich den Menschen, die Gewalt erleben, zeigen möchte, dass sie nicht alleine stehen. Ich engagiere mich seit Jahren bei den Soroptimistinnen in Luxemburg, wir organisieren Konferenzen, sprechen mit Nachbarn, Freunden, Kolleginnen und Kollegen. Diese Gespräche sind wichtig.“

Susan: „Viele Menschen rollen heute schon die Augen, wenn das Thema Gewalt gegen Frauen wieder angesprochen wird, als wäre es lästig. Aber das Problem ist nicht gelöst, also müssen wir darüber reden. Es reicht nicht, zu Hause zu bleiben und zu hoffen, dass sich etwas verändert. Der öffentliche Raum gehört Frauen genauso wie Männern. Deshalb marschiere ich jedes Jahr, am 8. März und an Tagen wie diesem.“

Sandra Ladika: „Die Sache ist wichtig, egal wo man lebt und arbeitet. Gewalt gegen Frauen und Mädchen darf kein Randthema sein, sondern gehört in die Mitte jeder politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Wir sind heute mit 16 Kolleginnen und Kollegen aus der Steuerverwaltung hier – einfach, weil wir gemeinsam zeigen wollen, wofür wir einstehen.“

Eric Lamhène: „Ich bin hier, weil es entscheidend ist, Farbe zu bekennen. Je mehr Menschen teilnehmen, desto größer wird die Aufmerksamkeit für das Thema. Viele wissen gar nicht, was die Orange Week genau bedeutet oder welche Realität hinter den Zahlen steckt. Und immer wieder hört man diese Frage: ‚Warum gehen Betroffene zurück?‘ Genau deswegen müssen wir hingehen, sichtbar sein und klarstellen, dass Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist.“

Rae Lyn Lee: „Ich halte es für wichtig, nicht nur zu reden, sondern aufzutauchen – gerade weil Gewalt gegen Frauen und Mädchen überall noch passiert. Ich habe einen Sohn, und ich will ihm zeigen, dass Gewalt niemals akzeptabel ist. Er versteht das alles jetzt noch nicht, aber man muss irgendwo anfangen. Wenn er später einmal zurückblickt, soll er sehen, dass seine Mutter hingeschaut hat und dass Haltung etwas ist, das man vorlebt.“

Christine Renzi: „Ich arbeite seit 16 Jahren beim ,Conseil national des femmes‘ und begleite Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben. Viele kommen zu uns, nachdem sie lange gezögert oder sich geschämt haben. Für sie ist es wichtig zu sehen, dass wir nicht aufgeben. Deshalb komme ich jedes Jahr zum Marsch. Es ist ein Moment, an dem wir zeigen, dass diese Frauen gesehen werden – und dass wir an ihrer Seite stehen, egal wie lange ihr Weg aus der Gewalt dauert.“

Marzenka Krejcirik: „Ich bin mit meiner Familie hier, weil auch der Kinderschutz ganz oben stehen sollte. In Luxemburg fehlt ein integriertes System, das Kinder ausreichend schützt. Viele Fälle bleiben unsichtbar, weil Kinder nicht sagen können, was passiert, oder weil niemand genau hinsieht. Es reicht nicht, Einzelmaßnahmen zu haben – wir brauchen ein vernetztes System, das Verantwortung klar verteilt. Für mich als Mutter ist das ein Thema, das nicht warten kann.“

Isabel: „Der Marsch ist ein wichtiges Zeichen nach außen. Man steht gemeinsam auf der Straße und macht sichtbar, warum Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht als Randnotiz behandelt werden darf. Wenn Menschen zufällig vorbeikommen und stehen bleiben, dann ist das schon ein Anfang. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr noch mehr Menschen erreichen, damit dieses Thema die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.“