19. November 2025 - 7.47 Uhr
KommentarDas chilenische Pendel schlägt weit zurück
Einmal mehr schwebt das Gespenst des „péndulo chileno“ über den Wahlen in Chile. Seit etwa 20 Jahren hat kein Staatsoberhaupt des südamerikanischen Landes mehr die Macht an einen Nachfolger aus derselben politischen Richtung übergeben. Es war der Sozialist Ricardo Lagos, der 2006 die Präsidentenschärpe an Michelle Bachelet, ebenfalls Sozialistin, übergab. Seitdem haben die Linke und die Rechte Chile abwechselnd regiert, als würden die Wähler jedes Mal die Amtsinhaber bestrafen. Bei diesen Wahlen deutet alles darauf hin, dass der Wind zugunsten der Rechten weht, diesmal des Ultrarechten José Antonio Kast. Er geht als Favorit in die Stichwahl am 14. Dezember.
Zwar hat die frühere Arbeits- und Sozialministerin Jeannette Jara von der Kommunistischen Partei mit 26,8 Prozent der Wählerstimmen die erste Runde am Sonntag gewonnen, Kast liegt mit 24 Prozent auf Platz zwei. Allerdings dürfte Jara kaum eine Chance haben, die Nachfolge des progressiven Präsidenten Gabriel Boric anzutreten, der aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein zweites Mal hintereinander kandidieren durfte. In der ersten Wahlrunde bestand ihre stärkste Konkurrenz vor allem aus rechten Kandidaten. Dritter wurde etwa der wie Kast deutschstämmige Rechtspopulist Johannes Kaiser, Vierte die Konservative Evelyn Matthei. Beide kamen zusammen auf rund 25 Prozent. Ihre Wähler werden in der Stichwahl aller Voraussicht nach für Kast stimmen. Die Meinungsforscher gehen davon aus, dass sich die rechten Kräfte hinter dem Gründer der Republikanischen Partei sammeln.
Der 59-Jährige ist Sohn eines Wehrmachtsoffiziers. Seine Eltern wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg aus Bayern nach Chile ein. Bei der Wahl vor vier Jahren war er mit einer klassisch rechten Kulturkampfdemagogie noch unterlegen. Diesmal fokussierte er seinen Wahlkampf auf die Themen Sicherheit und Migration, gab sich als Hardliner und nutzte die seit einiger Zeit in Chile grassierende Feindseligkeit gegenüber Migranten.
Die Massenproteste von 2019 gegen soziale Ungleichheit hatten einst dem jungen, aus der linken Studentenbewegung kommenden Politiker Boric den Weg zum Wahlsieg drei Jahre später geebnet. Die Protestierenden forderten damals unter anderem eine Reform der noch aus der Pinochet-Diktatur stammenden Verfassung. Doch der entsprechende Entwurf scheiterte beim Referendum 2022 krachend – ein herber Rückschlag für den charismatischen Politiker. Seitdem hat sich die chilenische Gesellschaft verändert. Die Stimmung tendiert deutlich nach rechts. Das Pendel schlägt weit zurück.
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können