Samstag15. November 2025

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BommeleeërHaus der Lüge – „Staatsaffäre“ geht am Montag in eine neue Runde

Bommeleeër / Haus der Lüge – „Staatsaffäre“ geht am Montag in eine neue Runde
Nach dem Anschlag in der Nähe von Itzig Foto: Guy Jallay

Vier Jahrzehnte nach der Serie von Bombenanschlägen, die im Großherzogtum einst die Gemüter erhitzten, und mehr als elf Jahre, nachdem der Prozess gegen zwei frühere Beamte der „Brigade mobile de la gendarmerie grand-ducale“ (BMG) auf Eis gelegt wurde, beginnt am Montag vor der Kriminalkammer des Bezirksgerichts Luxemburgs ein weiteres Verfahren im Zusammenhang mit der „Bommeleeër“-Affäre. Diesmal stehen nicht die eigentlichen Attentate im Vordergrund, sondern die Falschaussagen von Zeugen im ersten Prozess. Angeklagt sind sieben ehemalige Ex-Gendarmen.

Der neue Prozess

Pierre Reuland beim Prozess 2013/14
Pierre Reuland beim Prozess 2013/14 Foto: Hervé Montaigu / Editpress-Archiv

Ein Funke genügte, schon brannte die fast zehn Jahre nach der Aussetzung des „Bommeleeër“-Prozesses erloschen geglaubte Lunte wieder, als das Bezirksgericht Luxemburg am 21. Februar 2024 mitteilte, dass es gegen die acht Angeklagten, gegen die 2014 vom zuständigen Untersuchungsrichter Ermittlungen eingeleitet wurden, ein Verfahren gebe. Dabei war die Glut nie erloschen. Nun stehen ab Montag, 17. November, sieben frühere Mitglieder der Gendarmerie und Polizeibeamte vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, als Zeugen im Bommeleeër-Prozess 2013/2014 unter Eid falsch ausgesagt zu haben. In dem Verfahren geht es um die Aussagen im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Justizpalast am 19. Oktober 1985, also vor fast genau 40 Jahren, sowie um die Beschattung des einstigen Tatverdächtigen Ben Geiben, dem Gründer und früheren Chef der „Brigade mobile“. Veranschlagt sind vier Wochen à vier Prozesstage. Sieben Beamte der Kriminalpolizei sollen die Ergebnisse der Ermittlungen (2014-2019) vortragen. Die Verteidigung hat einen zusätzlichen Zeugen geladen. In Bezug auf den früheren Polizeichef Pierre Reuland soll ein Experte für kognitive Neurowissenschaft einen Bericht vorstellen, um Näheres über die angeblichen Gedächtnislücken des Angeklagten zu erläutern. Es geht also nicht nur um Wahrheit und Lüge, sondern um Vergessen.

Die Angeklagten

Guy Stebens
Guy Stebens Foto: Hervé Montaigu / Editpress-Archiv

Angeklagt sind sieben ehemalige Offiziere und Mitglieder der Gendarmerie respektive der Polizei. Ein achter Angeklagter, der ehemalige Operationschef der Gendarmerie und erster Generaldirektor der fusionierten Polizei, Charles Bourg, verstarb am 24. Juli im Alter von 79 Jahren. Gegen die einstigen BMG-Offiziere bzw. -Mitglieder Guy Stebens (65), Pierre Reuland (67), Armand Schockweiler (70), Aloyse Harpes (97) und Marcel Weydert (68) lautet der Vorwurf, beim Prozess 2013/14 unter Eid falsch ausgesagt zu haben. Dagegen habe die Ratskammer festgestellt, hieß es, dass entgegen der Anträge der Staatsanwaltschaft kein Strafverfahren wegen einer etwaigen Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen eingeleitet werden müsse. Es habe keine ausreichenden Anhaltspunkte gegeben, um ein Verfahren wegen der Attentate einzuleiten. Auch die beiden früheren Beamten der „Sûreté“, Paul Haan (89) und Guillaume Buchler (76), sind angeklagt. Gegen sie lautet der Vorwurf, im Zusammenhang mit einer Observierung des BMG-Gründers Ben Geiben falsch ausgesagt zu haben. Ein weiterer Verdächtiger, Kriminalpolizist Lucien Linden, starb bereits kurz nach der Anklageerhebung.

Die Anschläge

Der Anschlag auf den Justizpalast
Der Anschlag auf den Justizpalast Foto: Guy Jallay

Bei den etwa 20 Sprengstoffanschlägen von Mai 1984 bis März 1986 entstand ein Sachschaden in Millionenhöhe, mindestens drei Personen wurden verletzt. Zum ersten Anschlag war es am 30. Mai 1984 auf einen Hochspannungsmast der Cegedel in Beidweiler gekommen. Beim ersten Mal ging es schief, beim zweiten Versuch drei Tage später hatten die Täter mehr Glück. Es folgten bis zum 25. März 1986 etwa 20 weitere Anschläge. Chronologie:

30. Mai 1984 und 2. Juni 1984: Strommast der Cegedel – Beidweiler

12. April 1985: Ferienhaus – Bourscheid (kein gesicherter Zusammenhang mit den anderen Taten)

27. April, 7. und 29. Mai 1985: Strommasten der Cegedel Stafelter bzw. Schléiwenhaff und Itzig

27. Mai 1985: Gendarmeriezentrale in Verlorenkost

23. Juni 1985: Gaswerk in Hollerich

5. Juli 1985: Sprengfalle Blascheid und Kasematten in der Hauptstadt

Mast in Schieflage 
Mast in Schieflage  Foto: Guy Jallay

28. August 1985: Polizeibüro Glacis und Straßenbauverwaltung auf Kirchberg

30. September 1985: Piscine olympique auf Kirchberg

20. Oktober 1985: Justizpalast

9. November 1985: Flughafen Findel

30. November 1985: Stormmast Cegedel – Grünewald

2. Dezember 1985: Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs auf Kirchberg

17. Februar 1986: Haus von Notar Hellinckx in Cents

25. März 1986: Haus von Colonel Wagner in Belair

Die Ermittlungen

Der BMG-Gründer Ben Geiben
Der BMG-Gründer Ben Geiben Foto: Editpress-Archiv

Die Ermittler tappten bei der Suche nach den Tätern lange im Dunkeln. Umso mehr schossen Spekulationen und Verschwörungstheorien ins Kraut. In Verdacht gerieten selbst Mitarbeiter des Sicherheitsapparats. Es hieß, sie hätten mit den Anschlägen zeigen wollen, dass die Sicherheitskräfte zu schlecht ausgerüstet und organisiert gewesen seien. Die Ermittlungen verliefen schleppend. Beweisstücke lagen offen herum und wurden verschlampt, Spuren vernachlässigt. Nachdem es einige Jahre um die Affäre still geworden war, wurde der frühere BMG-Chef und Gründer der Sondereinheit Ben Geiben Ende der 90er Jahre in einem Schreiben eines Zeugen und Informanten der Gendarmerie an die Staatsanwaltschaft als Urheber der Serie bezichtigt. Geiben, bereits 1984 in die Privatwirtschaft gewechselt, galt kurze Zeit als Hauptverdächtiger. Die Fälle wurden spätestens 2004 nochmals aufgegriffen, die Zahl der Ermittler erhöht und die Spuren neu ausgewertet. Die Ermittler schlugen teils abstruse Wege ein. So wollte etwa ein Hauptkommissar die Täter per Wünschelrute ausfindig machen. Unter Verdacht gerieten die zwei ehemaligen BMG-Mitglieder Marc Scheer und Jos Wilmes und wurden verhört. RTL Radio und Télé Lëtzebuerg, also vor allem die beiden Journalisten Nico Graff und Marc Thoma, starteten 2004 eine Dokureihe, die jeweils am 20. Jahrestag die verschiedenen Anschläge rekapitulierte, die Affäre neu aufrollte. Die zwei Polizisten Scheer und Wilmes, die jegliche Verwicklung in die Affäre bestritten, wurden schließlich suspendiert und am 23. November 2007 verhaftet. Gut zwei Jahre später schloss Untersuchungsrichterin Doris Woltz die Ermittlungen ab.

Zeuge Prinz Jean
Zeuge Prinz Jean Foto: Alain Rischard/Editpress-Archiv

Die Prinzen-Rolle

Anfang November 2005 meldete sich ein Zeuge namens Eugène Beffort bei RTL und sagte, er habe am 9. November 1985 eine Person des öffentlichen Lebens kurz nach dem Sprengstoffanschlag am Tatort Findel gesehen. Der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker schaltete sich ein und empfing in Präsenz der beiden RTL-Journalisten Marc Thoma und Nico Graff den Zeugen. Dieser soll gesagt haben, dass es sich bei der bekannten Person angeblich um Prinz Jean gehandelt habe. Kurze Zeit später fand im Palais ein Gespräch zwischen Großherzog Henri und Juncker statt, das mutmaßlich aufgenommen wurde – und das zu einem Auslöser der sogenannten SREL-Affäre werden sollte. Letztere hatte wiederum das Ende der Juncker-Regierung und die vorgezogenen Neuwahlen 2013 zur Folge. Übrigens hatte Prinz Jean, ein halbes Jahr nach dem Ende der Attentatsserie, den Prinzentitel niedergelegt. Als Grund wurde eine Affäre mit einer schwangeren Frau in Paris genannt. Die Gerüchte über mögliche Verbindungen zur Bommeleeër-Affäre tauchten bereits seit der Zeit der Anschläge auf. Allerdings konnte Jean für alle Anschläge ein Alibi vorweisen – außer für jenes auf Verlorenkost und in Itzig. Laut Maître Vogel wies ein Alibi erhebliche Lücken auf. Am Tag des Attentats auf Findel soll sich Prinz Jean auf einer Jagd südlich von Paris aufgehalten haben. Das Alibi lieferte unter anderem Louis Giscard d’Estaing, der Sohn des ehemaligen französischen Präsidenten. Demnach soll Prinz Jean am 8./9. November 1985 in Paris gewesen sein, seine Ex-Lebenspartnerin behauptete jedoch, es sei am 10. November gewesen. 

Der Prozess der Prozesse

Die beiden Verteidiger Gaston Vogel und Lydie Lorang
Die beiden Verteidiger Gaston Vogel und Lydie Lorang Foto: Hervé Montaigu/Editpress

Es ist der bisher größte und umfangreichste Kriminalprozess der luxemburgischen Geschichte. Ab 25. Februar 2013 mussten sich zwei frühere Polizisten der Spezialeinheit „Brigade mobile“ der Gendarmerie, Marc Scheer und Jos Wilmes, verantworten. Die Vorwürfe lauteten unter anderem auf versuchten Mord, Körperverletzung und Brandstiftung. Die prominenten Verteidiger waren Maître Gaston Vogel, Verteidiger von Marc Scheer, und Maître Lydie Lorang, Verteidigerin von Jos Wilmes. „Es werden harte Sitzungen werden, sehr harte Sitzungen“, hatte der 2024 verstorbene Vogel, berühmt und berüchtigt für seine wortgewaltigen Auftritte, im Vorfeld des Mammut-Prozesses gesagt. „Und ich freue mich darauf, dass ich noch die Energie habe, um diese Sitzungen anzugehen.“ Ursprünglich war davon ausgegangen worden, dass der Prozess drei Monate dauern würde. Etwa hundert Zeugen sagten vor Gericht aus, unzählige Pisten und Spuren wurden nachverfolgt und aufgearbeitet. Die Verteidigung ließ unter anderem die beiden ehemaligen Premierminister Jacques Santer und Jean-Claude Juncker sowie die beiden Prinzen Jean und Guillaume, Brüder des Großherzogs, vorladen. Einige Zeugenauftritte bleiben lange in Erinnerung. Der frühere BMG-Chef und Polizeidirektor Reuland gab eine Amnesie vor. Von der vorsitzenden Richterin Sylvie Conter wurde er mehrmals wegen seiner herablassenden Art zurechtgewiesen. Er verlas eine Stellungnahme und verweigerte danach die Aussage.

Am 2. Juli 2014 setzte die Kriminalkammer den Prozess nach 177 Verhandlungstagen in 16 Monaten (und mit einer Unmenge an Zeugen) auf unbestimmte Zeit und für die Dauer weiterer Ermittlungen aus. Die beiden bisherigen Angeklagten bleiben angeklagt. Ob und wann der Prozess fortgesetzt oder neu aufgerollt wird, bleibt unbeantwortet. Me Vogel hatte die überaus lange Dauer des gesamten Prozesses kritisiert und an den Artikel der europäischen Menschenrechtskonvention erinnert: „Toute personne a le droit d’être jugée dans un délai raisonnable.“ Im Falle des Bommeleeër-Prozesses – „ein Prozess, der auf Lügen basiert“, so Vogel – könne man nicht mehr von einer vernünftigen Zeitspanne reden. War also das gesamte Verfahren, das zur Wahrheitsfindung dienen sollte, voller Lügen, handelte es sich um ein Haus der Lügen? Und sprengte es jegliche Dimension der Vernunft? „Hier haben wir es mit einem ‚délai horriblement déraisonnable‘ zu tun“. Me Vogel sagte in einem Interview mit der Revue: „Wir werden die Wahrheit nie erfahren.“ Er sprach von „einer politischen und diplomatischen Omertà“, einem Schweigegelübde. Keiner Instanz werde es gelingen, diesen Bleideckel zu sprengen.

Politische Dimension

Mussten sie für die Fehler auf höherer Ebene herhalten – unter anderem in der Politik? Marc Scheer und Jos Wilmes.
Mussten sie für die Fehler auf höherer Ebene herhalten – unter anderem in der Politik? Marc Scheer und Jos Wilmes. Foto: Editpress-Archiv

„Eine Staatsaffäre“ nannte der frühere Untersuchungsrichter Prosper Klein die Bommeleeër-Affäre. Der damalige Polizeigeneraldirektor Pierre Reuland stellte sich in einer internen schriftlichen Stellungnahme hinter die beiden Beamten Scheer und Wilmes. Er war während der Anschläge selbst Kommandant der BMG gewesen. Daraufhin wurde Reuland von dem damaligen Justiz- und Polizeiminister Luc Frieden abgemahnt.  Am 25. November 2007 hielt Generalstaatsanwalt Robert Biever eine Pressekonferenz. Gegen Scheer und Wilmes wurde Anklage erhoben. Nach einem Brief Bievers an Frieden vom 30. Januar 2008 wurden Polizeigeneraldirektor Reuland und -generalsekretär Guy Stebens im Januar 2008 ihrer Ämter enthoben. Biever warf Reuland und Stebens vor, die Justiz in ihren Ermittlungen im Bommeleeër-Dossier behindert und Informationen vorenthalten zu haben. Reuland habe jahrelang Druck auf die Ermittler ausgeübt. Frieden sagte, die Amtsenthebung Reulands und Stebens tue ihm „mënschlech leed“. Und wie der oberste Staatsanwalt zum Besten gab, sollte sich Frieden als damaliger Justizminister genervt über die Ermittlungen gezeigt haben. Laut Medienberichten soll er versucht haben, diese sogar zu beeinflussen. Frieden wies die Anschuldigungen zurück. In einem Interview mit Radio 100,7 sagte Biever im April 2013, der frühere Ressortleiter sei skeptisch und „nicht amüsiert“ gegenüber den Ermittlungen gewesen.  

Die internationale Dimension

Die Eliteeinheit BMG
Die Eliteeinheit BMG Foto: Guy Jallay
Mitglieder der Brigade mobile
Mitglieder der Brigade mobile Foto: Guy Jallay

Unter anderem wurde über eine Verbindung zu „Stay Behind“ oder „Gladio“ spekuliert. So wurde ein Netzwerk beziehungsweise Geheimorganisation von NATO, CIA und des britischen Geheimdienstes MI6 während des Kalten Krieges genannt, die im Falle eines Überfalls der Truppen des Warschauer Paktes auf den Westen einen Guerilla-Kampf führen sollte. Eine internationale Dimension hatten auch die Ermittlungen, wenn zum Beispiel Belege vom Geheimdienst (SREL) an das Federal Bureau of Investigation (FBI) der USA übergeben wurden. Die Piste „Stay Behind“ wurde nicht zuletzt durch die Verteidigung im Bommeleeër-Prozess aufrechterhalten. Bereits 2005 hatte der Schweizer Historiker Daniele Ganser die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die „Geheimarmeen der NATO“ und über die „Operation Gladio“ in Westeuropa veröffentlicht. Daraus entwickelte sich nicht zuletzt in SREL-Kreisen die Theorie, dass eine Art von „Stay Behind“-Netzwerk für die Bombenanschläge verantwortlich gewesen sei. Eine Theorie, die übrigens auch Gaston Vogel aufgriff. Unter anderem wurde herausgefunden, dass Lucio Gelli, Gründer P2-Loge, eine Sozialversicherungsnummer in Luxemburg hatte und sich im Großherzogtum aufgehalten habe. Ganser sagte in einem Interview mit der Revue, dass dies so gewesen sein könnte.

Übung der Brigade mobile
Übung der Brigade mobile Foto: Guy Jallay
Julius
15. November 2025 - 16.33

ëch gi mol dovun aus, dar de Fall Bommeléër nie geklärt gët, wann de Gaston Vogel ët nët färdeg brouëcht houët, da brengt Keen ët färdeg..

just, de Gaston wor op enger Spuër, mä do kouëm séin Douëd..
schouëd..

ma dën Artikel hei ass gud, a gud ass ët och dat mol neess dra gewullt gët..

ma d'Liddy Lorang ass jo nach vläicht bereet..