Donnerstag30. Oktober 2025

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LUGA-GastWie Ulrike Kreuner durch Gartengestaltung alte Erinnerungen bei Demenzkranken hervorruft

LUGA-Gast / Wie Ulrike Kreuner durch Gartengestaltung alte Erinnerungen bei Demenzkranken hervorruft
Ulrike Kreuer aus Nettersheim (D) hat seit 2003 rund 50 Gärten für Seniorenheime angelegt (www.drittefruehling.de) Foto: Rendel Freude

„Bleib sitzen, das weißt du nicht mehr“, ist ein Satz, den Senioren mit Demenz oft zu hören bekommen. Ein Garten wirkt Wunder, sagt die Gartenbauingenieurin, Gartentherapeutin und -planerin, Referentin und Buchautorin Ulrike Kreuer (58). Ein Gespräch über die Kraft der Natur, Sinneserlebnisse und ungeahnte Fähigkeiten.  

Tageblatt: Warum haben Sie sich auf Gärten für Menschen mit Demenz spezialisiert?

Ulrike Kreuer: Es ist für mich eine Herzensangelegenheit. Ich will mit meiner Arbeit einen sozialen Aspekt und den Gartenbau verbinden. 2003, als ich mit Gärten für Senioren angefangen habe, war das Thema Demenz noch gar nicht so präsent. Ich möchte mit meiner Arbeit die Ressourcen der Senioren stärken und sie berühren und mich berühren lassen.

Demenzkranke verlieren Teilhabe, ihnen wird nichts mehr zugetraut. Angehörige stehen dem oft ohnmächtig gegenüber. Kann ein Garten das verändern?

Wenn ich sehe, wie heilsam ein Garten für Menschen – gerade für Menschen mit Demenz – sein kann, geht mir das Herz auf. Das Grün schafft Räume und Angebote, über die sich Prozesse in Gang setzen. Man begegnet sich auf Augenhöhe, was das Rollenverhältnis zwischen Demenzkranken und pflegenden Angehörigen oder dem medizinischen Fachpersonal verändert.

Etwas für die Sinne
Etwas für die Sinne Foto: Ulrike Kreuner

Wie meinen Sie das?  

Das ist beispielsweise der Fall, wenn Demenzkranke sich besser mit den Stangenbohnen auskennen als der pflegende Angehörige, weil es Erinnerungen weckt. Oder er weiß besser als das medizinische Personal, wie ein Spaten benutzt wird. Den Rollentausch habe ich übrigens auch während der Workshops anlässlich der LUGA beobachtet.  

Inwiefern?

Viele der Workshopteilnehmerinnen hatten sehr gute Deutschkenntnisse. Ihr Pflegepersonal stammte zum Teil aus dem französischsprachigen Raum. Da haben Demenzkranke die Übersetzung gemacht. Sie haben plötzlich selbstständig agiert und das Rollenverhältnis Pflegebedürftiger/Pfleger umgekehrt.

Eine Wegeführung, die gut ist
Eine Wegeführung, die gut ist Foto: Ulrike Kreuner

Sie haben in Seniorenheimen Gärten für Menschen mit Demenz gestaltet. Was muss man beachten?

Barrierefreiheit. Die Menschen müssen sich frei bewegen können, dem muss auch die Wegeführung Rechnung tragen. Sichtachsen sind wichtig, der Garten muss überschaubar und gleichzeitig interessant sein. Seit 2003 sind rund 50 solcher Gärten an Senioreneinrichtungen entstanden. Die ausgewählten Pflanzen müssen sinnlich wahrnehmbar sein. Kirschlorbeer- oder Thujahecken sind nicht der „Bringer“.

Sind Hochbeete eine gute Sache?

Grundsätzlich sind Hochbeete eine gute Sache. Aber die Generation der aktuellen Senioren kennt Hochbeete nicht aus ihrer Vergangenheit. Das gab es damals noch nicht. Demenzkranke gehen eher aus eigenem Impuls an Dinge heran, wenn sie sie aus der Vergangenheit kennen. Das hat einen ganz anderen Wert, als wenn Pfleger beispielsweise sagen: „Na, sollen wir heute mal wieder hinausgehen?“ Das macht schwach.

Minze duftet herrlich
Minze duftet herrlich Foto: Ulrike Kreuner

Gänseblümchen, Rosen oder doch lieber einen Lavendel? Gibt es Tipps für Pflanzen, die Demenzkranke ansprechen?

Es muss immer geschaut werden, wie die Biografie ist. Was kennen sie aus ihrem früheren Leben? Das kann eine Weinrebe sein, Erdbeeren oder andere Obstsorten. Manche reagieren auf Farben und Düfte. Es ist wichtig, ein breites Spektrum an Sinnen anzusprechen.  

Warum sind Naturerfahrungen so wichtig für Menschen mit Demenz?

Die Natur wirkt. Sinne und Emotionen sind Ressourcen, über die Demenzkranke nach wie vor verfügen. Das ist ja nicht erkrankt, das Fühlen baut nicht ab. Vogelgezwitscher oder der Wind auf der Haut sind Sinneseindrücke, die Demenzkranke sehr wohl wahrnehmen. Man muss nicht sprechen, nichts erklären. Darüber eröffnet sich der Zugang zu Demenzkranken.

Was ist denn, wenn man früher in einem eher städtischen Umfeld gelebt hat und keinen eigenen Garten hat?

In Parks gehen, Spaziergänge machen oder die Natur ins Seniorenheim bringen. Und man kann jahreszeitlich das ins Haus bringen, was die Natur so hergibt. Jetzt ist zum Beispiel die Zeit der Walnüsse, Kastanien oder Äpfel. Balkonpflanzen tun ebenfalls gut.  

Ein Begleiter mit Erinnerungswert
Ein Begleiter mit Erinnerungswert Foto: Ulrike Kreuner

Sie haben anlässlich der LUGA in Luxemburg Workshops gegeben. Was nehmen Betreuer, Angehörige und Pflegende daraus mit?

Für Angehörige und Betreuer war es spannend zu erfahren, was die Demenzkranken eigentlich noch alles können. Da konnten sie Dinge tun, die ihnen vorher überhaupt nicht mehr zugetraut wurden.

Was war das denn?

Manche hatten die Kraft, eine Vogelscheuche zu bauen oder andere haben plötzlich wieder angefangen zu sprechen, obwohl sie vorher eher geschwiegen haben. Wieder andere haben gelacht und konnten ihren eigenen Willen äußern. Darüber haben Pfleger Fähigkeiten an ihren Patienten entdeckt, die in einem Pflegealltag eher untergehen.

Gemüsegärten erinnern an früher
Gemüsegärten erinnern an früher Foto: Ulrike Kreuner

Und Angehörige?

Für Angehörige war es im Rahmen der LUGA wichtig, zu erleben, dass Demenz nicht mehr stigmatisiert und tabuisiert wurde. Wir saßen mitten im laufenden Betrieb in einem Biergarten, der Tisch war für uns reserviert, der auch hätte anders vergeben werden können. Das ist Teilhabe.  

Bücher zum Einlesen

Das Gartenjahr für Menschen mit Demenz
ISBN 978-3-497-03095-8 https://www.reinhardtverlag.de/55258_kreuer_gartenjahr_fuer_menschen_demenz/
Gartengestaltung für Menschen mit Demenz
ISBN 9783258081885 https://www.reinhardt-verlag.de/55258_kreuer_gartenjahr_fuer_menschen_demenz/