29. Oktober 2025 - 6.44 Uhr
Akt.: 29. Oktober 2025 - 7.47 Uhr
Luxemburg„Inter-Actions“ gibt Einblick in Erhebung zur Wohnungslosigkeit
Tageblatt: Zum sechsten Mal hat „Inter-Actions“ am 16. Oktober in Luxemburg-Stadt und in Esch gezählt, wie viele wohnungslose Menschen sich auf der Straße aufhielten. Wie lief das ab?
Virginie Giarmana: Die Zählung ist eine Initiative des Familienministeriums, das „Inter-Actions“ mit der Erhebung beauftragt hat. Insgesamt waren 105 Personen im Einsatz, 75 in der Hauptstadt und 30 in Esch. Sie kommen nicht alle von „Inter-Actions“, wir arbeiten dabei nämlich mit anderen Vereinigungen im sozialen Bereich zusammen. „Stëmm vun der Strooss“ war bereits dabei, auch „Médécins du monde“ oder „Hëllef um Terrain“ (HUT). Uns ist wichtig, dass es Fachleute sind. In Städten wie Brüssel oder Paris machen auch Freiwillige mit, in Luxemburg wollten wir bewusst Menschen einsetzen, die das Soziale im Blut haben.
Kurz zum Verständnis: Wie ist „Inter-Actions“ mit dem Ministerium oder auch Gemeinden – etwa der Stadt Luxemburg – verbunden?
V.G.: Wir haben keine Eigenmittel und erhalten – abgesehen von wenigen Aktionen – auch keine Spenden. Einige Projekte werden zwar von Stiftungen unterstützt, doch meist gibt es Vereinbarungen mit Akteuren des öffentlichen Sektors, wie eben Ministerien oder Gemeinden. Ein Beispiel: Unser Streetwork-Dienst „A vos côtés“ in der Hauptstadt wird von der Stadt Luxemburg finanziert.
Laetitia da Costa und Angie Reuter, Sie arbeiten beide bei „Inter-Actions“, sind in Ihrem Arbeitsalltag allerdings nicht im Bereich der Obdachlosigkeit tätig. Dennoch waren Sie bei der Zählung dabei. Wie lief das konkret ab?
Laetitia da Costa: Wir haben uns alle am Hamilius getroffen und waren dann zu dritt in Cessingen und entlang der route d’Esch unterwegs. Generell bleiben wir auf Straßen und betreten kein Privatgelände – wir stören auch niemanden in Squats. An möglichen Aufenthaltsorten schauen wir aber genauer hin, wie zum Beispiel in mobilen Toiletten. An dem Abend war es auf unserer Route ruhig, wir haben niemanden auf der Straße gesehen. Als wir später zu Fuß in Richtung Bahnhofsviertel gingen, haben wir viele gesehen. Sie haben wir aber nicht gezählt, weil ein anderes Team dort zuständig war – um Doppelungen zu vermeiden.
Angie Reuter: Wir haben uns in Esch getroffen und waren zu zweit unterwegs. Mit Taschenlampen und Westen ausgestattet, sind wir beim „Schlassgoart“ die Straßen abgegangen. Wenn wir jemanden gesehen haben, haben wir offen erklärt, was wir tun und nach Zustimmung den Fragebogen ausgefüllt. Die meisten waren sehr aufgeschlossen. Als kleines Dankeschön gab es ein Stück Schokolade.

Anfangs wurde nur in der Hauptstadt gezählt, inzwischen zum vierten Mal auch in Esch. Da lassen sich bestimmt Tendenzen erkennen.
V.G.: Es sind immer dieselben Viertel, aus denen die Teams am Abend der Zählung später zurückkehren. Dort treffen sie die meisten Menschen an und haben entsprechend mehr Arbeit. In Vierteln wie dem Bahnhofsviertel, der Oberstadt, dem unteren Teil von Bonneweg oder in Al Esch und Brill ist die Konzentration dauerhaft hoch, in anderen treffen wir niemanden an. Die Gesamtzahl bleibt relativ stabil. Viele leben schon seit Jahren auf der Straße. Es sind mehr Männer als Frauen. Die Daten sind allerdings noch zu frisch, um konkrete Zahlen zu nennen. Der Abschlussbericht liegt meistens nach etwa zwei bis zweieinhalb Monaten vor und wird anschließend von mir und dem Familienministerium gegengelesen – es ist immer besser, wenn mehrere Augen darüberschauen.
Haben tatsächlich mehr Männer kein Dach über dem Kopf, oder sind wohnungslose Frauen einfach weniger sichtbar – da sie zum Beispiel häufiger bei Bekannten übernachten?
V.G.: In unserem Arbeitsalltag begegnen wir deutlich mehr Männern als Frauen – das Verhältnis liegt etwa bei 90 zu 10. Das zeigt sich auch bei der Winteraktion und ebenfalls in anderen Ländern. Frauen bitten uns seltener um Unterstützung. Es ist jedoch möglich, dass es trotzdem mehr Frauen in prekären Lebenslagen gibt. Wie wir hören, übernachten sie häufiger bei Familie. Sicher sagen kann ich das nicht, da ich keine entsprechenden Statistiken habe.
Wer hat die Methodologie für die Erhebung entwickelt?
V.G.: Im Jahr 2022 hat ein kleines Team von „Inter-Actions“ das Konzept für die Zählung entwickelt. Seitdem wird es jedes Jahr überprüft und verbessert – in Abstimmung mit den Gemeinden und dem Ministerium. Luxemburg nimmt mit der Hauptstadt und Esch an einem europäischen Projekt zur Erfassung von Obdachlosen in 35 Städten teil. In dessen Rahmen haben Forscher der Universität Löwen 2025 unsere Methodologie überprüft, woraufhin wir einige Fragen ergänzt oder präzisiert haben. Unser Ansatz wurde insgesamt aber bestätigt. Dieses Jahr fand die Erhebung zeitgleich mit denen in anderen europäischen Städten statt.
Die Erhebung
Herausfinden, wie viele Menschen in Luxemburg-Stadt und in Esch auf der Straße leben – das ist das Ziel einer Erhebung, die am 16. Oktober in den beiden größten Städten des Landes stattfand. Bei der Zählung, die nun bereits zum sechsten Mal in Luxemburg organisiert wurde, sind Fachkräfte aus dem Sozialbereich – darunter die Interviewpartnerinnen Laetitia da Costa und Angie Reuter – in der Regel zwischen 17 Uhr und Mitternacht an einem Wochentag unterwegs. Personen ohne festes Dach über dem Kopf können dabei einen Fragebogen zu ihrer persönlichen Situation ausfüllen. Die Ergebnisse liefern jedoch keine landesweite Gesamtzahl, sondern eine Momentaufnahme der Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt angetroffen wurden. Entwickelt wurde die Methodologie u.a. von Virginie Giarmana, stellvertretende Direktorin von „Inter-Actions“. Die gemeinnützige Vereinigung führt die Zählung im Auftrag des Ministeriums für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen durch. Dessen Pressestelle teilt mit, dass es noch keine Pläne für Zählungen in anderen Gemeinden gibt. Momentan steht auch noch kein Datum für die nächste Erhebung fest.
Die Zählung wird dafür kritisiert, kein ganzheitliches Bild zu liefern. Spiegeln die genannten Zahlen die tatsächliche Anzahl der Wohnungslosen in Luxemburg wider?
V.G.: Wir haben uns dazu entschieden, Menschen auf der Straße, in Notunterkünften oder Obdachlosenheimen zu erfassen. Es gibt aber auch andere – die bei Bekannten auf dem Sofa, in Jugendherbergen oder in Squats übernachten. Menschen in Squats zählen wir nicht. Auch im Arbeitsalltag betreten unsere erfahrenen Streetworker solche Orte nicht, da das vor allem nachts zu gefährlich wäre. In keiner Stadt werden besetzte Häuser betreten und wenn, dann nur tagsüber. Die Menschen wären auch nicht glücklich, wenn man sie dort stört. Allgemein muss man klar definieren, worüber man spricht und was überhaupt machbar ist. Wir kennen einige Squats, aber längst nicht alle. Wie könnten wir also sagen, dass wir in Squats gezählt haben, wenn wir nicht sicher sind, alle Orte zu kennen?
Erwecken die Zahlen nicht den Eindruck von Vollständigkeit, sodass die Öffentlichkeit glaubt, dass das alle Menschen in Luxemburg ohne Dach über dem Kopf sind? Wie sieht es mit der Dunkelziffer aus?
V.G.: Wir behaupten nicht, dass die Zählung umfassend ist. Ich kann nur sagen, was wir sehen: Wir erfassen an einem Abend, wie viele Menschen tatsächlich auf der Straße sind – und meinen damit auch wirklich die Straße. Das haben wir mehrfach gemacht und das Ergebnis ist jedes Mal ähnlich: In Luxemburg-Stadt sind es etwa 200 bis 250 Personen. Wenn die WAK hinzukommt, sind es rund 150 bis 200 mehr. Ist das die richtige Anzahl oder nicht? Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, wie viele es an dem Abend waren.
Wie geht es weiter, wird die Zählung künftig auf andere Gemeinden ausgeweitet, um ein vollständigeres Bild für das ganze Land zu erhalten?
V.G.: Ob die Zählung ausgeweitet wird, kann ich nicht sagen – das liegt in der Verantwortung des Ministeriums. Wenn Gemeinden wissen, wie viele Menschen auf der Straße leben, können sie gezielter handeln. Gleichzeitig rückt man damit ein Thema in den Fokus, das bei Bürgern auch Ängste wecken kann. Ob eine Zählung stattfindet, ist letztlich eine politische Entscheidung. Obdachlosigkeit ist in Luxemburg ein politisches Thema geworden, doch davon halten wir uns fern. Es ist gut, dass es ein Plädoyer gibt, aber darin liegt nicht unsere Stärke. „Inter-Actions“ hat eine pragmatische Sicht der Dinge: Wir wollen das Leben der Menschen positiv beeinflussen und ihnen direkt helfen – dort, wo sie sind.
Mehr zu diesem Thema:
– Inter-Actions-Zählung: In Luxemburg gibt es mindestens 429 Wohnungslose
– Fragwürdiges Vorgehen bei Zählung von Wohnungslosen: Ministerium reagiert
– Neue Daten: So viele Wohnungslose wurden in der Hauptstadt und in Esch gezählt
– 462 Betroffene an einem Abend: Neue Daten zur Obdachlosigkeit liegen vor – Zahlen auch für Esch
– „Nackte Zahlen sagen nichts aus“: Reaktionen auf die Angaben der Familienministerin
– Erstmals konkrete Zahlen: Sozialarbeiter zählen 197 Obdachlose im Laufe eines Abends in der Hauptstadt
De Maart











E pompösen Trounwiessel ass vill vill méi wichteg. :-(
"Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade." (Pestalozzi)
Ein guter Satz der zum Nachdenken anregt. Mit Statistik ist das Problem nicht gelöst.Erkannt ist es allerdings seit langem. Das Problem des Bettlers wird durch eine Spende nicht gelöst,genau so wenig wie der Hunger in der Welt. Wir können unser Gewissen aber beruhigen. Wir kennen die Lösung: Arbeit,Wohnungen und Geburtenkontrolle. Scheint aber nicht machbar zu sein.Also,weiter wie bisher. "Gehet hin und mehret euch." Schlechter Satz, der aber auch zum Nachdenken anregt.
Statt all der Studien sollte man doch was konkretes unternehmen in dieser Angelegenheit}