Donnerstag16. Oktober 2025

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UmweltBedrohte Umwelt im selbsterklärten Ökostaat Montenegro

Umwelt / Bedrohte Umwelt im selbsterklärten Ökostaat Montenegro
Schlechte geschützte Naturschönheit: der Crnojevica-Fluss beim Skadarsee in Montenegro Foto: Thomas Roser

Schon lange vor der Unabhängigkeit hatte sich Montenegro 1991 zum „Öko-Staat“ erklärt. Doch obwohl der Adria-Staat über einzigartige Naturschönheiten verfügt, tut er sich mit deren Schutz schwer. Umweltschützer hoffen auf neue Impulse durch den nahenden EU-Beitritt – und einen Mentalitätswandel.

Vögel zwitschern an den Ufern des langgezogenen Sees. Still ragen jahrhundertealte Stämme mächtiger Bergulmen, Rotbuchen, Grauerlen und Ahorne in den blauen Herbsthimmel. Im Unterholz überwuchert Moos die Überreste der von Stürmen gefällten Urwaldriesen.

Der Nationalpark „Biogradska Gora“ sei nicht nur eines der artenreichsten Naturschutzgebiete Montenegros, sondern auch eines der ältesten der Welt, doziert Bergführer Milan Rakocevic, während er seine Schützlinge auf einem steinigen Pfad um den Gletschersee „Biogradsko Jezero“ lotst: „Hier ist die Natur wie vor Jahrhunderten tatsächlich noch unberührt und haben wir die Chance, sie für die kommenden Generationen zu bewahren.“

Als die Bergregion um Kolasin 1878 von den Osmanen befreit wurde, überließen die Anwohner einen Teil ihrer Wälder aus Dankbarkeit Montenegros Fürst und späterem König Nikola I Petrovic-Njegos. Der Regent machte das Geschenk zum Schutzgebiet: Im sozialistischen Jugoslawien wurde das Naturreservat 1952 schließlich offiziell zum Nationalpark erklärt.

Bereits lange vor seiner 2006 erlangten Unabhängigkeit hatte sich Montenegro am 20. September 1991 zum ersten „ökologischen Staat“ der Welt erklärt. Doch trotz seiner Naturschönheiten tut sich das für seine tiefen Schluchten und hohen Gipfel bekannte Land der Schwarzen Berge mit deren Schutz noch immer schwer.

Auf das ungelöste Müllproblem, mehr als 300 wilde Deponien, durch fehlende Kläranlagen verschmutzte Flüsse oder durch Feuersbrünste bedrohte Wälder sowie illegale Bauten in Naturschutzgebieten verweist resigniert die Zeitung „Dan“: Über drei Jahrzehnte nach ihrer Verabschiedung sei die in den Verfassungsrang erhobene Ökostaat-Erklärung nur „tote Worte auf dem Papier“.

Einzigartiges Vogelschutzgebiet: Ausflugsboote auf dem montenegrinisch-albanischen Skadarsee
Einzigartiges Vogelschutzgebiet: Ausflugsboote auf dem montenegrinisch-albanischen Skadarsee Foto: Thomas Roser

Als hätten die Väter des 1991 ausgerufenen Ökostaats zu Beginn des blutigen Jahrzehnts der Jugoslawienkriege keine anderen Probleme gehabt: Eine bizarr anmutende Installation aus Pflanzentöpfen und grünen Äpfeln erinnert im Parlamentsfoyer in der Hauptstadt Podgorica an den 34. Jahrestag der „Erklärung über den ökologischen Staat Montenegro“.

Zumindest dem Widerspruch zwischen Sein und Schein ist der EU-Anwärter in den letzten Jahrzehnten konsequent treu geblieben. „Wenn man auf unsere zumeist von den EU-Staaten übernommenen Umweltschutzgesetze schaut, wirken diese einfach wundervoll“, berichtet die Biologin und Umweltschutzaktivistin Andrijana Micanovic: „Doch wenn Firmen gegen Umweltschutzauflagen oder Gesetze verstoßen, werden sie so gut wie nie bestraft.“

Wenn man auf unsere zumeist von den EU-Staaten übernommenen Umweltschutzgesetze schaut, wirken diese einfach wundervoll. Doch wenn Firmen gegen Umweltschutzauflagen oder Gesetze verstoßen, werden sie so gut wie nie bestraft.

Andrijana Micanovic, Biologin und Umweltschutzaktivistin

Doch es ist das nahende Ende von Montenegros EU-Beitrittsmarathon, das die Umweltschützer im vermeintlichen Ökostaat auf bessere Zeiten hoffen lässt. 2028 will Montenegro als 28. Mitglied der EU beitreten, so zumindest der ambitionierte Fahrplan der Regierung in Podgorica.

Veraltetes Kohlekraftwerk

Dafür müssten alle der noch offenen Verhandlungskapitel bis Ende 2026 geschlossen werden: Auch in Sachen Umweltschutz muss der EU-Anwärter Gesetze und Standards noch an die der EU anpassen. Das Verhandlungskapitel 27, das sich mit Umweltfragen beschäftigt, sei nicht nur komplex, sondern auch eines „der teuersten“, so der österreichische EU-Botschafter Johannes Sattler.

Bergführer Milan Rakocevic im montenegrinischen Nationalpark Biogradska Gora: „Die Folgen des Klimawandels sind offensichtlich“
Bergführer Milan Rakocevic im montenegrinischen Nationalpark Biogradska Gora: „Die Folgen des Klimawandels sind offensichtlich“ Foto: Thomas Roser

Denn außer der Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die EU-Direktiven habe der EU-Anwärter auch seine „Infrastruktur“ mit neuen Kläranlagen, nachhaltiger Müllverwertung und klimafreundlicher Energiegewinnung zu modernisieren, so Sattler: „Die EU hilft dabei auch finanziell, aber trägt nur 30 bis 40 Prozent der Kosten. Den Rest hat die Regierung aufzubringen.“

Auf rund eine Milliarde Euro werden von Montenegros Regierung die Kosten zur Erfüllung der Umweltschutzvorgaben der EU geschätzt – viel Geld für einen nur 620.000 Einwohner zählenden Kleinstaat. Vor allem die EU-Vorgabe, das veraltete Kohlekraftwerk im nordmontenegrinischen Pljevlja in absehbarer Zeit vom Netz zu nehmen, bereitet Podgorica Kopfzerbrechen. Denn bisher deckt es die Hälfte des heimischen Strombedarfs. Mit dessen Modernisierung und neuen Luftfiltern hofft Podgorica längere Übergangsfristen aushandeln zu können.

Die Regierungsabsicht, die betagte Dreckschleuder in Pljevlja langfristig durch mehr Wasserkraftwerke zu ersetzen, stößt bei den um die Biodiversität an den Flüssen bangenden Umweltschützern zwar auf Skepsis. Doch den sich nähernden EU-Beitritt ihres Landes sehen sie nicht nur wegen des geplanten Baus neuer Kläranlagen vor allem als Chance. „Wir versuchen, die EU-Annäherung für unsere Themen zu nutzen, um das Bewusstsein für Umweltfragen zu schärfen – und kontroverse Projekte zu stoppen“, so die Biologin Micanovic.

Gleichgültigkeit

Auf aus dem Wasser ragenden Ästen kauernde Kormorane plustern in der Morgensonne ihr Gefieder. Langsam tuckern Ausflugsboote über den von mächtigen Bergriesen umsäumten Skadarsee (Skutarisee). Doch obwohl nach Montenegro (1983) auch der benachbarte See-Anrainer Albanien (2005) den größten See der Balkanhalbinsel zum Naturreservat erklärt hat, dümpeln im Schilf und zwischen den Seerosen herrenlose Plastikflaschen.

Sie habe in ihrem bergreichen Land fast jeden Gipfel bestiegen – und leider „überall“ weggeworfene Zigarettenkippen entdeckt, seufzt die Umweltschutzaktivistin Micanovic: „An unseren Aktionen, die Landschaft nicht zuzumüllen, beteiligen sich oft nur die ausländischen Touristen. Es ist auch eine Mentalitätsfrage und die Einstellung zur Umwelt, die sich hier ändern muss.“

Doch nicht nur durch Gleichgültigkeit, die Land- und Geldgier von Baulöwen und (noch) mangelhafte oder nicht durchgesetzte Umweltgesetze werden die Naturschönheiten im malerischen Land der Schwarzen Berge bedroht. Der Wasserpegel im Gletschersee falle von Jahr zu Jahr, berichtet in Biogradska Gora Bergführer Rakocevic und weist besorgt auf verschlammte und ausgetrocknete Seeauen. Das Problem sei, dass es „im Winter immer weniger Schnee gibt“: „Und dann kommen die Leute und behaupten, dass es den Klimawandel nicht gibt. Doch dessen Folgen sind hier offensichtlich.“