Samstag1. November 2025

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Gogol BordelloDie Gipsy Punks fegen am Sonntag wieder durchs Atelier

Gogol Bordello / Die Gipsy Punks fegen am Sonntag wieder durchs Atelier
Frontmann Eugene Hütz 2017 im Atelier Foto: Isabella Finzi/Editpress-Archiv

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Die New Yorker Folkpunk-Band Gogol Bordello hat mit ihrem rasant-wilden Stil bereits mehrfach hierzulande für Eindruck gesorgt. Am Anfang eher unpolitisch, engagiert sie sich mittlerweile für die Opfer des Krieges in der Ukraine. Von dort stammt Sänger Eugene Hütz.

Auf der Bühne scheinen sie in einen wahren Geschwindigkeitsrausch zu geraten und sich dabei zu überschlagen. Der Funke springt schnell auf das Publikum über. Die Menge tanzt und tobt. Bei einem Auftritt von Gogol Bordello im Atelier 2017 sind die Zuschauer noch eine Weile nach dem Konzert ganz benommen – nicht etwa von einem ausgelassenen Schnapsgelage, sondern vom Konzertauftritt der Band.

Es handelt sich um eine wilde Mischung der „Fucking Harlekine“, wie Frontmann Eugene Hütz, kurz Schenja genannt, dessen ursprünglicher ukrainischer Name Jewgenij Gudz ist, sagen würde. Er spricht in seinem unverkennbaren „Slenglisch“, einem Englisch mit stark slawischem Slang-Einschlag, von seiner Musik als „Gipsy-Punk-Cabaret“. Davon hat die Band hierzulande schon mehrfach eine Kostprobe gegeben.

Einst verließ Hütz, geboren in der Kleinstadt Bojarka nahe Kyjiw, seine „Batkiwstschina“, das ukrainische Vaterland, das in der Sowjetzeit vor allem ein Mängelland war, Mangel an Lebensmittelvielfalt und Mangel an Westkultur. Über Letztere informierte sich Schenja per Transistorradio über BBC World Service und Voice of America.

Am besten hängen blieben bei dem heute 53-Jährigen damals Punk und Iggy Pop, so wie er es noch heute in seiner Iggy-Coverversion „Real Wild Child“ zum Besten gibt. Hinzu kamen aber auch die Dead Kennedys und The Cramps. Und von klein auf hörte er Jimi Hendrix: „Das einzige Hendrix-Album in unserem Haus war die Liveplatte ‚Band Of Gypsys‘.“

Knallmischung und Yamamoto-Look

Seine Babuschka war Schneiderin, sodass Schenja sich sein eigenes Outfit selbst bastelte, seinen „Ukrainian post-war Yohji Yamamoto look“, wie er sagt. Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 zog die Familie in die Karpaten um und hinein in das Roma-Leben, das für ihn vor allem aus Musik bestand. Für Schenja war es eine wahre „Knallmischung“. Er selbst hat mütterlicherseits Roma-Wurzeln, sein Vater ist Russe. Nach Wanderjahren durch Europa landete er schließlich 1990 in den USA. Im Bundesstaat Vermont bestand sein Broterwerb aus Autowaschen, Kloputzen und Blumenlieferungen für Beerdigungen.

Nach einem weiteren Umzug landete Hütz 1996 in New York. „Ich war gerade in die Stadt gezogen und jede Nacht in einer anderen Bar unterwegs, traf ständig und überall interessante Leute, die mich auch musikalisch beeinflussten“, erzählte Hütz in einem von mehreren Interviews mit dem deutschen Musikmagazin Ox-Fanzine. Für ihn entscheidend und wegweisend sei nicht zuletzt Sonic Youth gewesen. Über die New Yorker Noise-Rocker und No-Wave-Band sagte er: „Ihr Konzert war so völlig anders als alles, was wir vorher an Rockmusik gehört hatten. Das Konzert war zu lang, zu laut, zu dissonant! Es war ein einziger psychotischer ‚Wall of Noise‘, der ewig dauerte.“

Eine wilde Mischung: Gogo Bordello im Atelier
Eine wilde Mischung: Gogo Bordello im Atelier Foto: Isabella Finzi/Editpress-Archiv

Zu den musikalischen Einflüssen kam für ihn, außer dass sich Schenja für Punkrock und Postpunk, Industrial und elektronische Musik interessierte, Béla Bartók. Der Ungar sei der Haupteinfluss, was sein Songwriting anbelangt: „Der hat jahrelang Ideen, ja Musik gesammelt, bereiste das ganze Land, die Dörfer und Städte, und schrieb dann sein erstes Streichquartett.“

Schließlich gründete Schenja 1999 die Band, die zuerst Roma-Musik auf Hochzeiten spielte. Die Combo, die heute aus neun Mitgliedern besteht, nannte sich zunächst Bulgakow Bordello, doch daraus wurde schließlich Gogol Bordello. Schließlich war Nikolai Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) wie Bulgakow und hatte viel Sinn für absurden, skurrilen Humor und Aberglaube. Die Band schickt den religiösen Namensgeber zumindest symbolisch ins Bordell.

Engagement für verletzte Soldaten

Das Debütalbum „Voi-La Intruder“, das 1999 erschien, handelt von tragikomischen Einwanderergeschichten, das zweite, „Multi Kontra Culti vs. Irony“ (2002), brachte den Durchbruch. Gogol Bordello traten sogar im legendären CBGB auf. Danach kamen „East Infection“ und „Gipsy Punks Underdog Worldstrike“ (beide 2005). Den Musiker zog es nach Rio de Janeiro, in die Stadt des Karnevals, eine Explosion von Emotionen, wie er sagt. Rund sechs Jahre lebte er in der brasilianischen Metropole.

Explosionen gleich sind auch die Auftritte von Schenja & Co.: Gogol Bordello fegen mit ihrer Stilmischung unaufhörlich über die Bühne. Sie liefern ein musikalisches Feuerwerk mit Akkordeon und Geige auf Englisch, Romani und Ukrainisch. Zwischendurch kam Hütz sogar zum Film und trat in Streifen wie „Everything Is Illuminated“ auf, der 2005 entstandenen Verfilmung von Jonathan Safran Foers gleichnamigem Roman.

Spätestens der russische Überfall auf die Ukraine im Februar brachte einen Einschnitt für die Band, deren Mitglieder aus Osteuropa, aber auch aus Schottland, Äthiopien, Ecuador und Mexiko stammen. Der Kern der Gruppe kommt seit jeher aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Zwar wollte Hütz sich immer von Politik fernhalten, das Weltgeschehen hat die Band jedoch dazu gebracht, unter anderem mit Benefizkonzerten für Hilfsorganisationen Spenden zu sammeln, um bspw. verletzte ukrainische Soldaten zu unterstützen.

Hütz reiste selbst in die Ukraine, um den Menschen vor Ort zu helfen. In einer Militärbasis überreichte er Kisten mit Hilfsgütern und spielte zudem ein Lied, das er der ukrainischen Armee gewidmet hat. Es heißt „Forces of Victory“. Das  jüngste Album, das – nach „Pura Vida Conspiracy“ (2013) und „Seekers And Finders“ – „Solidaritine“ (2022) heißt, beinhaltet Songs, die Schenja mit dem Begriff „Combat Rock“ zusammenfasst, angelehnt an den Punk-Klassiker von The Clash. Ein Lied ist den vor dem Krieg Geflüchteten gewidmet, ein weiteres der ukrainischen Territorialverteidigung.

Zum politischen Engagement meinte Hütz noch in dem Ox-Interview: „Morgens bin ich aufgewacht und dachte: Wir müssen die ACLU unterstützen, eine US-Organisation, die für die Rechte von Immigranten kämpft“, erinnert sich Schenja. „Die Aktion mit dem Boot war also ein Versuch, diese Sache zu supporten. Denn die Menschenrechte müssen unter allen Umständen gewahrt bleiben. Wir spielten also auf einem riesengroßen Schiff, das um Ellis Island schipperte. Eine Insel, die für lange Zeit Sitz der Einreisebehörde für New York und über 30 Jahre die zentrale Sammelstelle für Immigranten in die USA war.“

Morgens bin ich aufgewacht und dachte: Wir müssen die ACLU unterstützen, eine US-Organisation, die für die Rechte von Immigranten kämpft.

Eugene Hütz, Sänger von Gogol Bordello

Schließlich veröffentlichten Gogol Bordello mit einer Gruppe von lebenden Punk- und Hardcore-Legenden wie Jello Biafra (Ex-Dead-Kennedys), Joe Lally (Fugazi) und Roger Miret (Agnostic Front) die Charity-Single „United Strike Back“, deren kompletter Erlös an verwundete ukrainische Soldaten geht – an eine Organisation, die die Verwundeten mit Prothesen versorgt und bei der Reha unterstützt. Nun sind Gogol Bordello wieder in Luxemburg, um ihr Publikum am Sonntagabend im Atelier in Ekstase zu versetzen.

Gogol Bordello fegen über die Bühne
Gogol Bordello fegen über die Bühne Foto: Isabella Finzi / Editpress-Archiv