Mittwoch22. Oktober 2025

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AnalyseDie Sozialrunde als Machtprobe: Zwischen Kompromissnarrativ und einseitiger Entscheidung

Analyse / Die Sozialrunde als Machtprobe: Zwischen Kompromissnarrativ und einseitiger Entscheidung
Die Regierung hat einen Kompromiss – fragt sich nur: mit wem? Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Die Regierung spricht von einem Kompromiss, Gewerkschaften und Patronat haben eine gegensätzliche Interpretation des abrupten Endes der Sozialrunde am Mittwoch. Die Entscheidung, einen Schlussstrich unter die Verhandlungen zu ziehen, ist auch eher die eines CEO als eines Premierministers, der an Kompromisslösungen interessiert ist.

Premierminister Luc Frieden (CSV) hat mitsamt seinen Regierungskollegen Verantwortung übernommen und angesichts unüberbrückbarer Differenzen zwischen Gewerkschaften und Patronat das Heft in die Hand genommen und in Zeiten struktureller Probleme „verständliche, verantwortungsvolle und mutige“ Schlussfolgerungen gezogen. So kann man das Narrativ zusammenfassen, das der Luxemburger Regierungschef am Mittwochnachmittag im Anschluss an die dritte Sozialrunde gegenüber der Presse verkündete. „Politik ist die Kunst des Kompromisses“, sagt Frieden. Wenn im Ausland so manches schiefläuft, dann weil den politischen Parteien und Akteuren der Kompromiss nicht gelinge. In Luxemburg sei das anders, so die implizite Deutung.

Von einer Kompromisslösung aber sprachen auf der Pressekonferenz letztlich nur Frieden, Vizepremier Xavier Bettel (DP) und die Ministerin für soziale Sicherheit Martine Deprez (CSV), sprich die Regierung. Bezeichnend für die Stimmung nach der dritten Sozialrunde ist, dass der Luxemburger Premier nicht etwa mit Gewerkschafts- und Patronatsvertretern vors Mikro trat, sondern von seinen Regierungskollegen flankiert wurde. Die Gewerkschaftsseite hatten sich geweigert, zusammen mit der Regierung aufs Podium zu steigen. Nora Back, Patrick Dury und Romain Wolff beanspruchten die Pressetribüne geschlossen für sich, nachdem im Anschluss an die Regierung Michel Reckinger als Patronatsvertreter einzeln vor die Presse getreten war.

Entscheidung um 10.00 Uhr

Insgesamt lassen die äußeren Umstände der dritten Sozialrunde tatsächlich Fragen am Willen und an der Kompromissbereitschaft der Regierung aufkommen. Die „Kompromisslösung“, wie sie von Luc Frieden um 16.20 Uhr vorgestellt wurde, sei laut Personen, die bei den Verhandlungen anwesend waren, genau die gleiche gewesen, die die Regierung um 10.00 Uhr morgens den Verhandlungspartnern vorgelegt hatte. Anschließend sei die Regierungsseite nicht mehr von ihrer Linie abgerückt. Gegen Mittag – also noch vor dem eigentlichen Abschluss der Verhandlungen – meinte die Abgeordnete Djuna Bernard („déi gréng“) gegenüber Journalisten, dass die von den Grünen angefragte Chambersitzung am Donnerstag wohl stattfinden werde. Zu einem Zeitpunkt, als die Verhandlungen stockten und eine Einigung nicht in Sicht war. Und für den frühen Nachmittag wurde von Regierungsseite ein Techniker einbestellt, um die abschließende Pressekonferenz live übertragen zu können. All das, bevor die Verhandlungen ihren eigentlichen Abschluss gefunden hatten. Am späten Nachmittag dann die Gewissheit per SMS aus dem Verhandlungsraum: „Es gibt keinen ,Accord‘. Die Regierung übernimmt ihre Verantwortung.“

Eine ähnliche Lesart hat OGBL-Präsidentin Nora Back, die im Anschluss von einem Scheitern in der Form und weniger im Inhalt spricht. „Wir stehen jetzt mit einer einseitigen Entscheidung der Regierung, ohne Einigung mit den Sozialpartnern, da“, sagt Back. Die Befürchtung, dass die Regierung entgegen den vorgelegten Vorschlägen vom 14. Juli noch einmal zurückrudern wolle, habe sich leider bestätigt. „Das, was heute passiert ist, ist nicht im Sinne des Luxemburger Sozialdialogs und Sozialmodells“, sagt Back. Man hätte durchaus noch weiterdiskutieren können, um gemeinsam aus der Situation herauszukommen. „Und wenn die Positionen so weit auseinanderlagen, dann weil die Regierung dem Patronat von Anfang an eine Reihe an Zugeständnissen gemacht hat, die die Diskussionen erschwert haben“, sagt Nora Back. „Die Regierung hätte ihre Verantwortung übernehmen müssen und die gegensätzlichen Positionen wieder aufeinander zuführen.“ Ein klarer Widerspruch zu den Aussagen von Bettel, der meinte, es hätte keinen „Wert gehabt, die Positionen von Gewerkschaften und Patronat zusammenzuführen“.

Präzedenzfall bis Übergangslösung

Patrick Dury spricht von einem Präzedenzfall, dass sich einer der drei Verhandlungspartner „einseitig durchsetzt“. „Die Situation war nicht so, als dass man heute unbedingt einen Abschluss der Verhandlungen herbeiführen musste“, sagt Dury. Ohne die Vorgeschichte der vergangenen zwölf Monate hätte man an diesem Tag eventuell auch zueinander gefunden. Die Sozialrunden aber hätten gezeigt, dass ein Umdenken der Regierung nur aufgrund des gewerkschaftlichen Engagements zustande gekommen sei. „Die Lehre sollte sein, dass intensiver miteinander geredet wird. Die Menschen wissen jetzt, was passiert wäre, wenn sich die Gewerkschaften nicht engagiert hätten. Dann fehlt ein in der Politik nötiges Korrektiv.“

Während sich Michel Reckinger (r.) kritisch-abwartend gibt, machen die Gewerkschafter aus ihrem Missfallen keinen Hehl
Während sich Michel Reckinger (r.) kritisch-abwartend gibt, machen die Gewerkschafter aus ihrem Missfallen keinen Hehl Foto: Editpress/Hervé Montaigu

UEL-Präsident Michel Reckinger spricht im Anschluss an die sechs Stunden Verhandlungen nicht von einem Kompromiss. Auch ein „Gesamtpackage“, wie es sich der UEL-Vertreter öffentlich gewünscht hatte, hat es nicht gegeben. „Das war vielleicht zu ambitioniert“, sinniert Reckinger auf der Pressekonferenz. Stattdessen sei alles aufgebröselt worden, die Regierung habe ihre Entscheidungen „en toute connaissance de cause“ getroffen. Die Übergangslösung bei der Rentenreform sieht Reckinger kritisch. „Komm, wir nutzen die nächsten drei Jahre, um richtige Lösungen auszuarbeiten. Idealerweise wird vor dem nächsten Wahlkampf noch darüber diskutiert.“ Ein Appell, der ob der Brisanz der Materie höchstwahrscheinlich verpuffen wird.

Wie politisiert die Rentendiskussion mittlerweile ist, veranschaulicht nicht zuletzt eine Aussage von Luc Frieden am Mittwochmorgen vor der Sozialrunde. „Als ich meine Rede zur Lage der Nation gehalten habe, wurde mir vorgeworfen, die Vorschläge würden viel zu weit gehen“, sagte Frieden. Fakt ist: Nicht das ausgegebene Reformziel, das Rentensystem auf 15 Jahre hin abzusichern, sondern die Art, wie dieses Reformziel erreicht werden soll, rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Die heftigen Reaktionen veranlassten die Regierung, die dekretierten Maßnahmen – fünf Jahre längere Beitragszeit – als „Stoßrichtung“ zu verkaufen, ehe die Großdemo vom 28. Juni sie letzten Endes zum Einlenken zwang.

So aber wird die Rentendiskussion die Luxemburger Politik über die CSV/DP-Legislatur hinweg beschäftigen. „Ich bin lediglich beruhigt, dass die Regierung erkannt hat, dass sie kein Wählermandat hat, um eine Reform durchzuführen“, sagt CGFP-Präsident Romain Wolff auf der Pressekonferenz. „Wir haben kein Mandat, niemand hatte eine Rentenreform im Wahlprogramm“, hat Bettel kurz zuvor am Mikrofon erklärt. Die Regierung habe erst gehandelt, als die Alarmglocken schrillten, und „keine Straußenpolitik“ betrieben. Eine Evolution und keine Revolution liege somit auf dem Tisch. Denn Revolutionen, so Bettel, „hätten noch nie etwas Gutes gebracht“.

Das sind die Ergebnisse der Sozialrunde

Premierminister Luc Frieden (CSV) wird nicht müde, zu betonen, dass es sich nicht um eine „Tripartite“ handelte, sondern um eine Sozialrunde, bei der strukturelle Probleme besprochen wurden. Bei einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag gegen 16.20 Uhr präsentiert er im Staatsministerium die Ergebnisse drei langer Verhandlungstage.  Folgendes ändert sich konkret für die arbeitenden Menschen im Land.

Rente: Leichte Erhöhung der Beiträge und des Eintrittsalters
Das gesetzliche Pensionsalter bleibt zwar unangetastet bei 65 Jahren, doch wer früher gehen will, muss künftig länger durchhalten. Ab 2026 steigt die Mindestbeitragszeit für eine Frühverrentung ab 60 schrittweise um insgesamt acht Monate: ein Monat pro Jahr in den Jahren 2026 und 2027. Ab 2028 wird schneller gedreht: zwei Monate mehr pro Jahr. Die Möglichkeit der Frühpension ab 57 bleibt aber bestehen.
Gleichzeitig sollen höhere Beiträge das System stabilisieren: Der Satz steigt von 24 auf 25,5 Prozent – ein halbes Prozent mehr also aus den jeweiligen Taschen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Papa Staat. Damit nicht genug: Wer trotz Anspruch auf Rente freiwillig bis 65 weiterarbeitet, soll steuerlich belohnt werden.
Neu sind auch eine progressive Teilrente nach dem Modell des öffentlichen Dienstes und eine Sozialhilfe für Rentner:innen mit kleinem Haushaltsbudget. Studienjahre sollen sich künftig flexibler anrechnen lassen. Und die private Altersvorsorge lässt sich zukünftig mit 4.500 Euro pro Jahr steuerlich absetzen. Bislang galt eine Obergrenze von 3.200 Euro. Die Jahresendprämie bleibt – entgegen ursprünglicher Pläne, sie zu streichen.

Arbeitszeiten: Sonntagsarbeit und längere Öffnungszeiten kommen
Beim Thema Arbeitszeitorganisation übergibt die Regierung das Dossier an den CPTE, den ständigen Ausschuss für Arbeit und Beschäftigung. Dort soll ausgelotet werden, wie sich das gesetzliche Rahmenwerk modernisieren lässt.
Etwas weiter ist man beim Dauerthema Sonntagsarbeit. Die Regierung will das bestehende Gesetz (Entwurf 8456) so nachschärfen, dass längere Öffnungszeiten am Sonntag – bis zu acht Stunden – künftig an klare Bedingungen geknüpft sind: Es braucht entweder einen Kollektivvertrag oder ein interprofessionelles Abkommen, zumindest für Unternehmen mit mehr als 30 Vollzeit-Äquivalenten. Für kleinere Betriebe soll eine gesetzliche Regelung gefunden werden. Damit wäre der Sonntagsschutz nicht abgeschafft, aber stark flexibilisiert.
Auch die allgemeinen Öffnungszeiten sollen gelockert werden: Unter der Woche dürfen Geschäfte künftig bis 21.00 Uhr regulär offen haben, mit Ausnahmegenehmigung qua Kollektivvertrag sogar bis 1.00 Uhr morgens. Für Wochenenden gelten ähnliche Regeln – und wer Grundnahrungsmittel verkauft, kann sich per Tarifvertrag ganz von allen Limits befreien.

Altwies Yves
4. September 2025 - 18.42

Der parteipolitische Entschluss, b. z. w., die Weigerung der Regierung Verantwortung zu uebernehmen, stand von Anfang an fest, und dies spaetestens bei Bekanntwerden einer geplanten "Buergerkonsultation" mittels "schwaetzmat.lu". Diese Finte wurde bereits bei der Verfassungsreform vorgeschoben, damals mit dem Ziel eine fest geplante und angekuendigte Volksbefragung (Referendum) in letzter Minute zu verhindern. Es erscheint aktuell, hinsichtlich der Rentenreform im hoechsten Masse befremdlich dass die Regierung es vorzieht diesen Schritt, bzw, die doch lauthals geforderte Meinung der Buerger, im Zuge der heute vorgebrachten Ausreden, total zu ignorieren. Herr Bettel faselt sogar, total aus dem Kontext gerissen, etwas ueber ein durch den Waehler nicht erhaltenes betreffendes Mandat (Rentenreform). Der Koalitionsvertrag sieht eine solche Reform jedenfalls vor wie es mir scheint ?

Roude Robbie
4. September 2025 - 11.41

Mit Leuten wie Frieden, Reckinger, Deprez und anderen Dickköpfen die nur sich und ihre Ideeen und Interessen durchsetzen wollen ist keine gemeinsame Lösung in dieser Sache zu finden.

Reinertz Barriera Manfred
4. September 2025 - 7.26

Es war doch wohl sonnenklar, dass unser CEO am Ende entscheiden wollte, wo es lang geht, das luxemburger Sozialmodell ist selbstherlich begraben worden vom Luc....aus Amen!