Die Sonne hat nach längerer Abwesenheit wieder ihren Weg nach Berlin gefunden. Nathalie Faber, alias DJ Ogazón, hat es sich unweit von ihrer Wohnung vor einem hippen Café in einem Kreuzberger Hinterhof gemütlich gemacht. Der Kontrast zu ihrem Arbeitsalltag könnte in diesem Augenblick nicht größer sein: Normalerweise legt die Luxemburgerin in dunklen Klubs oder auf Festivals auf – und Tausende Menschen tanzen und feiern zu den Beats. Die 31-Jährige ist in der Szene inzwischen voll angekommen. Auf dem Weg dorthin war vor allem eins nötig: absolute Hingabe.
Renommierte Clubs wie das „Berghain“, riesige Festivals wie das „Tomorrowland“ – oder beim Luxemburger Nationalfeiertag: Faber spielt mittlerweile auf den großen Bühnen. Dabei war das vor wenigen Jahren noch alles andere als selbstverständlich. Denn eigentlich hat sie einen Abschluss in Business gemacht. Doch in dem Bereich zu arbeiten hat sie nie so wirklich vorgehabt: „Ich wusste von Anfang an, dass ich etwas Kreatives machen will.“
Ihre Liebe zu elektronischer Musik hat Faber in Amsterdam entdeckt. Schnell kam der Wunsch in ihr auf, irgendwann mal selbst aufzulegen. „Ich habe nur noch darüber geredet“, erzählt sie. Freunde haben ihr dann kurzerhand ein DJ-Setup zum Geburtstag geschenkt: Der Grundstein war gelegt. Doch irgendwas hat noch nicht richtig gepasst, es „war ein bisschen zu flach“, wie sie sagt. Schallplatten sammelt Faber schön länger. Sie versuchte es also mit Plattenspielern – und es funkte. „Ich habe sofort gewusst: Das muss ich machen.“ Faber begann, sich das Auflegen mit Platten selbst beizubringen. Und sie gab von Anfang an hundert Prozent. Denn sie ist sich sicher, für sie gibt es „keine andere Option“.
Von Studentenpartys zum ersten Klubauftritt
Faber fing klein an: Ihren Anfang machte sie auf kleinen Studentenpartys, bis dann irgendwann größere hinzukamen – und vor allem sehr viele Afterpartys. Weil die Klubs in Amsterdam in den frühen Morgenstunden schließen, suchen sich die Feiernden einen anderen Ort, wo es weitergehen kann. Faber hat deswegen immer ihre Tasche mit Platten dabei, denn dort bietet sich immer wieder die Gelegenheit, ein Set zu spielen.
Ihren ersten Durchbruch erlebte sie bei der Party eines Freundes in einem großen Amsterdamer Klub. Er hatte ihr versprochen, dass sie dort auflegen darf – wenn sie davor ein Jahr lang trainiert. „Ich war total aufgeregt, es war wahrscheinlich auch nicht besonders gut“, sagt Faber. Im Publikum befanden sich Booker, also Menschen, die Künstler für Konzerte oder Klubs buchen. Diese fanden Gefallen an ihr und fragten sie kurzerhand für Auftritte an. Faber konnte es zu dem Zeitpunkt kaum glauben: „Das war wirklich so ein Moment, der krass war.“ Ihre Karriere kam ins Rollen.
Man muss das über Jahre lernen, um es gut zu können. Du hast nichts außer deinen Ohren. Wenn es zu schnell ist, gibt es keinen Bildschirm, der dir das sagt.
2020 wagte Faber dann den Schritt nach Berlin, das „Mekka“ des Techno. Dort wollte sie das nächste Level erreichen. Doch die Corona-Pandemie machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Faber begann in der neuen Stadt zwar nicht bei null, sie kannte einige aus der Szene. Doch die Klubs hatten trotzdem geschlossen. Also trainierte sie, um ihr Handwerk zu verfeinern. „Ich habe die ganze Zeit nur aufgelegt, aufgelegt, aufgelegt.“
Zu dieser Zeit organisierten verschiedene Plattformen Livestreams, um Künstlern eine Bühne zu verschaffen. Auch Faber machte mit – mit vollem Erfolg. Das Resultat: mehr als eine halbe Million Views. Danach rieselten die ersten Anfragen herein, auch eine Agentur meldete sich. Als die Klubs dann wieder öffneten, wurde sie eingeladen, im legendären „Berghain“ zu spielen. Damit wurde ein Traum für sie wahr, im wahrsten Sinne des Wortes: Immer wieder hatte sie sich im Schlaf ausgemalt, dort aufzulegen.
„Unique selling point“
Seit drei Jahren arbeitet Faber Vollzeit als DJ – und es läuft richtig gut. „Ich habe im Grunde fast nie weniger als zwölf Gigs im Monat“, erzählt sie. Die Schallplatten, mit denen sie exklusiv auflegt, sind zu einem Markenzeichen geworden. Ich glaube, es ist ein bisschen mein ‚unique selling point’“, sagt sie. Aber es macht die Arbeit auch schwerer: „Man muss das über Jahre lernen, um es gut zu können.“ Das ist wie bei einer Sportart oder anderen Fähigkeiten, sagt Faber. Anders als bei digitalem Equipment muss man sich auf sein Gehör verlassen können: „Du hast nichts außer deinen Ohren. Wenn es zu schnell ist, gibt es keinen Bildschirm, der dir das sagt.“
Wenn ich in einen Plattenladen gehe, um Schallplatten zu suchen, verbringe ich da drei, vier Stunden. Ich glaube, diese Verbindung, die ich zu meinen Platten habe, habe ich nicht zu einer digitalen Datei.
Die Schallplatten stellen Faber vor weitere Herausforderungen. Rund 8.000 Stück hat sie mittlerweile in ihrer Sammlung. In ihrer Studienzeit war der hohe Anschaffungspreis bereits eine Hürde. Heute kostet es sie vor allem viel Zeit: „Wenn ich in einen Plattenladen gehe, um Schallplatten zu suchen, verbringe ich da drei, vier Stunden.“ Manchmal findet sie dann eine oder zwei, die ihr gefallen. Aufgeben will sie das aber auf gar keinen Fall: „Ich glaube, diese Verbindung, die ich zu meinen Platten habe, habe ich nicht zu einer digitalen Datei.“

Um den Überblick zu behalten, hat Faber ein Archiv angelegt – mit eigenem Sortier-System. „Ich höre mir alle Tracks an und dann sortiere ich sie thematisch mit Etiketten“, sagt sie. Dort steht dann etwa A1 für „Anfang“ oder A2 für „Banger“. Mit Farbcodes markiert sie, in welche Richtung die Musik geht: Techno ist zum Beispiel knallorange. Wenn es dann mal schnell gehen muss, weiß sie, wonach sie greifen muss. Auch die Anreise zum Arbeitsplatz stellt sie manchmal vor logistische Herausforderungen. Nach Australien hat sie mal 45 kg an Schallplatten mitgenommen.
Geschichten erzählen
Die große Plattenauswahl hat Faber aus gutem Grund dabei: Mit ihren Tracks erzählt sie eine Geschichte, sagt sie. „Es ist eine musikalische Reise: Für mich ist es wichtig, nicht einfach einen Track nach dem anderen zu spielen, sondern etwas zu erzählen.“ Es müsse einen Raum geben, „wo man einfach loslassen und mal an nichts denken, sich treiben lassen kann“. Die richtige Musik am richtigen Ort kann etwas Heilsames haben, findet sie.
Trotz ihres jungen Alters denkt Faber bereits an ihre „Legacy“, ihr Vermächtnis. Deswegen will sie nächstes Jahr ein eigenes Label gründen. „Wenn ich einmal nicht mehr aktiv bin, kann man trotzdem in meine Diskografie schauen und sehen, welche Leute und welche Releases es auf meinem Label gab“, sagt sie. Dort will sie Platten von gestandenen und aufstrebenden Künstlern in kleiner Stückzahl veröffentlichen. Vielleicht erscheinen dann dort auch irgendwann eigene Produktionen. Dazu fehlte Faber bisher die Zeit – doch demnächst will sie es ein bisschen ruhiger angehen lassen und ihre Gigs selektiver aussuchen.
Bevor es so weit ist, hat Faber noch einen mit Shows vollgepackten Sommer vor sich. Am Ende ihrer Träume ist sie aber noch lange nicht. „Es gibt immer Dinge, die ich machen möchte“, sagt sie. Nächstes Jahr will sie auf jeden Fall mehr auf internationalen Bühnen unterwegs sein. Den Anfang macht sie im November mit einer USA-Tour – in Miami, New York, Philadelphia, L.A. und Washington. Und im Dezember geht’s nach Asien. Nach Berlin ist jetzt die Welt dran.
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