Donnerstag23. Oktober 2025

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Ausgrabungen in irischer KleinstadtGebeine von rund 800 Säuglingen und Kindern auf Heim-Gelände vermutet

Ausgrabungen in irischer Kleinstadt / Gebeine von rund 800 Säuglingen und Kindern auf Heim-Gelände vermutet
Die lokale Historikerin Catherine Corless auf dem Gelände des Heimes in Tuam, wo nun die Ausgrabungen stattfinden Foto: Paul Faith/AFP

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Vergangenheitsbewältigung auf Irisch: Seit Beginn dieser Woche unternimmt ein internationales Team von Fachleuten Ausgrabungen am Rande der Kleinstadt Tuam im westirischen Bezirk Galway.

Unter einem unscheinbaren Rasenstück der irischen Kleinstadt werden die Gebeine von rund 800 Säuglingen und Kindern vermutet. Achtlos wurden die Sprösslinge unverheirateter junger Frauen im 20. Jahrhundert in eine aufgelassene Klärgrube geworfen – Ausdruck der Missachtung, die ungewollten Menschen in der katholisch-theokratischen Gesellschaft zuteilwurde.

Die Archäologen, forensische Anthropologen und DNA-Spezialisten kommen aus aller Welt, von Australien und Kanada ebenso wie aus Kolumbien und Spanien. Um ihnen ungestörte Arbeit zu ermöglichen, errichteten Sicherheitskräfte einen 2,4 Meter hohen Sichtschutz. Das Massengrab wird rund um die Uhr bewacht. Frühere Insassen des Mutter-und-Kind-Heims sowie deren Angehörige waren zuvor zu einem Besuch an der Stätte eingeladen, wo die sterblichen Überreste ihrer Kinder oder Geschwister liegen dürften. Die nun begonnene Ausgrabung sei „willkommen und schwierig zugleich“, erläuterte Anna Corrigan den irischen Medien. Sie will ein „ordentliches christliches Begräbnis“ für ihre Brüder John und William, außerdem die umfassende Aufarbeitung der begangenen Straftaten.

Anna Corrigan will, dass ihre beiden Brüder John und William ein ordentliches Begräbnis erhalten
Anna Corrigan will, dass ihre beiden Brüder John und William ein ordentliches Begräbnis erhalten Foto: Paul Faith/AFP

Für Tuam ist die Geschichtsforschung anhand von Ausgrabungen nichts Neues. Denn das einstige, vom katholischen Orden Bon Secours („gute Hilfe“) betriebene Heim diente bereits zuvor als Schauplatz massenhaften Sterbens. Einst als Armenhaus gebaut, beherbergte es von 1846 an die ausgemergelten Opfer der großen Hungersnot, nachdem die Kartoffelfäule das Grundnahrungsmittel vernichtet hatte. Dutzende, womöglich Hunderte starben an Auszehrung und Begleitkrankheiten, begraben wurden sie gleich nebenan. Bei Reparaturarbeiten an der Wasserversorgung der Kleinstadt kamen 2012 die sterblichen Überreste von 48 Hungeropfern zum Vorschein. Anders als die Kinder des 20. Jahrhunderts waren sie wenigstens in Särgen beigesetzt worden.

Ähnlich verfuhr die Regierungsarmee 1923 im Bürgerkrieg mit den Leichen von acht exekutierten gegnerischen Kämpfern. Schon ein Jahr später wurden deren Särge exhumiert und auf einem ordentlichen Friedhof beigesetzt. An das Schicksal jener acht erinnert bis heute eine Gedenktafel, die an der letzten stehengebliebenen Mauer des einstigen Mutter-und-Kind-Heims befestigt ist. Für die toten Kinder gibt es einstweilen keine Erinnerungsstätte.

Der Skandal von Tuam stellt ein weiteres Kapitel in der Aufarbeitung der symbiotischen Beziehung zwischen Staat und katholischer Kirche auf der grünen Insel dar. Ledige Mütter wurden in der katholisch-theokratischen Gesellschaft Irlands bis in die 1970er-Jahre wie Bürger dritter Klasse behandelt. Zehntausende mussten in den sogenannten Magdalene-Waschhäusern wie Sklavinnen schuften, häufig wurden sie dazu gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Zu Beginn unseres Jahrhunderts fanden sich Dutzende von Frauen zusammen und erstritten in jahrelangem Kampf eine Entschädigung und eine angemessene Rente für die entgangenen Arbeitszeiten. Wie die Mütter, so die Kinder: Rund 30.000 Minderjährige wurden in staatlich subventionierten katholischen Kinderheimen und sogenannten Arbeitsschulen systematisch verprügelt, vergewaltigt und gedemütigt.

Die klerikale Rückständigkeit in der Verfassung der 1937 als irischer Freistaat gegründeten Republik haben mehrere Referenda inzwischen beseitigt. Inzwischen sind Scheidungen ebenso erlaubt wie Abtreibungen.

Daniel MacSweeney, der Leiter der Ausgrabungen erklärt das Vorgehen seiner Behörde
Daniel MacSweeney, der Leiter der Ausgrabungen erklärt das Vorgehen seiner Behörde Foto: Paul Faith/AFP

Nonnen warfen tote Kinder in Abwassertank

Die Verbrechen gegen Frauen und Kinder kamen durch die Erinnerungen von Überlebenden ans Licht. Was aber war mit all jenen geschehen, die den klerikalen Terror nicht überlebt hatten? Dieser Frage ging in Tuam die lokale Geschichtsforscherin Catherine Corless nach. Von Anwohnern auf das St.-Mary’s-Heim, das von 1925 bis 1961 an der Dublin Road gestanden hatte, aufmerksam gemacht, stieß sie bald auf Francis Hopkins und Barry Sweeney. Die beiden Freunde erinnerten sich mit Schaudern an einen Sommernachmittag 1975, als sie beim Spielen eine grausige Entdeckung machten. „Da waren zerbrochene Betonplatten, die haben wir beiseitegeschoben“, berichtete Sweeney dem irischen TV-Sender RTE. „Dann sahen wir sie: Totenschädel, einer auf dem anderen, zwei, drei Meter tief. Wir sind in Panik weggerannt.“

Die Buben waren auf einen stillgelegten Abwassertank gestoßen, in dem die Nonnen offenbar über Jahrzehnte hinweg die Opfer ihres Regimes entsorgt hatten. Konservativer Lehre zufolge durften die Kinder unehelicher Mütter nicht in geweihter Erde bestattet werden.

Corless ließ sich vom zuständigen Standesamt in Galway die Todesmeldungen aus dem Heim geben. Von 796 Verstorbenen im Alter zwischen wenigen Tagen und neun Jahren waren lediglich zwei in einem ordentlichen Friedhof bestattet worden. Probe-Grabungen erbrachten den Beweis „nennenswerter menschlicher Überreste“. Elf Jahre nach Corless’ erstmaligen Enthüllungen geht die zuständige Behörde nun dem Sachverhalt auf den Grund. Man werde „nach dem höchsten, international geltenden Standard“ verfahren, versichert Behördenleiter Daniel MacSweeney. Dafür sind zwei Jahre vorgesehen.

Jean-Marie GROBER
17. Juli 2025 - 15.42

Vor ein paar Tagen bezeichnete der Erzbischof von Bamberg, Herwig Gössl, in seiner Predigt die Nominierung der SPD von Frau Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht als "innenpolitischer Skandal, durch die geplante Nominierung einer Richterin für das Bundesverfassungsgericht, die angeblich das Lebensrecht ungeborener Menschen bestreitet" und warnte vor "einem Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung" und davor, "dass Schwächere, Ungeborene, Pflegebedürftige, Alte, psychisch Kranke, sozial Schwache und Verfolgte keine Stimme mehr haben würden.". Zum Thema Kindesmissbrauch, Vergewaltigung von Minderjährigen und sogar Mord an Kindern hatte der Kirchenfürst nichts zu sagen, so wie der gesamte Klerus dazu nichts zu sagen hat. Aber zum Thema Abtreibung melden sich diese Herren sofort zu Wort, obwohl keiner von ihnen verheiratet ist und den Frauen gegenüber oftmals eine sehr "zweideutige" Einstellung hat. Und immer noch sind es die Frauen, die die Kinder gebären und somit einzig und allein über ihren Körper zu entscheiden haben. Auch wenn der Klerus sich noch immer gerne mit komischen Soutanen und ulkigen Tüten auf dem Kopf abbilden lässt, sollte die ehrwürdige Christenobrigkeit besser über die vereinsinternen Verbrechen nachdenken!.

Miette
16. Juli 2025 - 22.13

In Irland, wie auch in anderen Ländern war es eine traurige Tradition, unerwünschte Kinder in Klostergärten zu verscharren. Die ungewollt schwangeren Mütter wurden wie Aussätzige behandelt. So sah/sieht christliche Nächstenliebe aus.

Hottua Robert
16. Juli 2025 - 18.09

Was darf ich öffentlich zu diesem und ähnlichen Themen sagen? Internationale DNA-Spezialisten und HistorikerInnen, die nach höchsten, international geltenden Standards verfahren, müssen auch noch in anderen Gegenden der Welt aktiv werden und Sachverhalten auf den Grund gehen. MfG, Robert Hottua, Ettelbrück und Niederfeulen