Anlässlich der Bilanz des zu Ende gehenden parlamentarischen Jahres hat der DP-Fraktionspräsident Gilles Baum die soziale respektive sozialliberale Seite seiner Partei hervorgekehrt und dabei – vielleicht unbewusst – jene Frage aufgeworfen, die sich so manch politisch Interessierter sowohl hierzulande als auch in anderen Ländern stellt: Für was stehen die Liberalen noch? Unlängst hat sich der Podcast des Online-Magazins reporter.lu damit beschäftigt und die Frage mit einer weiteren verbunden: „Wie hat sich die Partei in der Koalition mit der CSV verändert?“ Ist sie unter den politischen Strömungen gänzlich ins neoliberale Fahrwasser, für das die Regierung von Luc Frieden steht, abgedriftet?
Das Urteil von reporter-Chefredakteur Christoph Bumb fiel hart aus: „Es gibt praktisch kein politisches Feld, in dem die DP es wagt, nach außen klar Position zu beziehen. Sie ist keine Partei, die inhaltlich Farbe bekennt.“ Begriffe wie „pragmatisch, offen, sozialliberal, unideologisch“, die von DP-Politikern verwendet würden, „bedeuten im Grunde nichts“. Bumb führt dies unter anderem darauf zurück, dass sich die DP zehn Jahre lang fast ausschließlich als „Ministerpräsidentenpartei“ definierte. Dies habe zur politischen Beliebigkeit und Inhaltslosigkeit beigetragen. Wurde die DP gar zum Opfer ihres eigenen Erfolgs? Dabei ist es, nachdem die Traditionsparteien ihr Glück vor allem in der politischen Mitte gesucht hatten, wieder opportun geworden, „ihr Profil zu schärfen“, wie es Franz Fayot (LSAP) mehrfach auch für seine Partei forderte.
Vielleicht liegt es auch an jener Richtung, die viele liberale Parteien in Europa eingeschlagen haben: Sie haben alte sozialliberale, an Bürgerrechten und Pazifismus orientierte Tugenden abgelegt oder zumindest links liegen lassen. Dabei hatten diese eine lange Tradition, die bis in die Zeit vor der Revolution von 1848 zurückreicht, als reformorientierte bürgerliche Kräfte für einen demokratischen und sozialen Liberalismus eintraten und ein allgemeines Wahlrecht und Volkssouveränität forderten. Schon damals leugnete ein Teil der Liberalen die soziale Frage und so entstand die Kluft zwischen Demokraten und Liberalen. Der liberale Zwiespalt hielt bis heute an. Sozialliberale sind heute Mängelexemplare. Der politische Liberalismus wurde zum „Diener marktradikaler Ideen“, schrieb der französische Philosoph Jean-Claude Michéas vor gut zehn Jahren und sprach von der „Metamorphose des Liberalismus“. Dabei brauchte der klassische Liberale keine hochfliegenden Utopien, sondern robuste Gesetze und Institutionen, eine funktionierende Gewaltenteilung und weltanschauliche Neutralität des Staates. Heute folgen viele Wirtschaftsliberale neuen Göttern wie der vermeintlichen Allmacht des Marktes oder der Idee vom permanenten Wachstum um jeden Preis.
Auf den Holzweg, den der Liberalismus einschlug, machte um 1980 eine politische Strömung in Nordamerika aufmerksam, die Kommunitarismus genannt wurde. Die „Kommunitarier“ kritisierten den übersteigerten Individualismus einer „atomisierten Gesellschaft“ und empfahlen als Gegenmittel den Gemeinsinn und die Bürgertugenden der Zivilgesellschaft. Das Individuum sollte sich nur so weit entfalten können, wie es sozial verträglich war. Doch mit den Begriffen Freiheit – etwa während der Corona-Krise – und Liberalismus wurde auch häufig Schindluder getrieben – zum Beispiel von der nationalistischen „Liberal-Demokratischen Partei Russlands“ bis hin zum „Partido Liberal“ des ultrarechten brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Neologismen wie „ultraliberal“ kamen auf. Dies alles sollte echte Liberale nicht entmutigen. Um die liberale Demokratie vor den „illiberalen“ Tendenzen zu verteidigen, bedurfte es jedoch einer gemeinsamen Kraftanstrengung.
De Maart

Eine 180 Grad Drehung von der DP ????