Den Stein ins Rollen brachte ein Bericht der Anti-Korruptionseinheit der spanischen Polizei. Diese sieht Santos Cerdán, langjähriger enger Weggefährte von Sánchez sowie die „Nummer drei“ in Sánchez’ Sozialistischer Arbeiterpartei (PSOE), als Schlüsselfigur eines Korruptions-Netzwerks. Dieses soll für die Vergabe öffentlicher Aufträge Schmiergelder kassiert haben. Die Ermittler sprechen von „gravierenden Indizien“. Der Rücktritt von Cerdán als einer der leitenden Parteiführer und auch als Parlamentsabgeordneter war unausweichlich.
Der Schaden für Sánchez ist immens. „Ich übernehme die volle politische Verantwortung. Ich bitte die Bürger um Entschuldigung“, sagte Sánchez mit Beerdigungsmiene in einer Pressekonferenz. Doch auch nach dieser öffentlichen Reuegeste flaute der Sturm der Empörung nicht ab. Zumal der Fall auch einen großen Schatten auf Sánchez wirft und sich die Menschen fragen: Was wusste Sánchez, der seinen Vertrauten ins Amt als Parteimanager gehievt hatte und diesen auch dann noch eisern verteidigte, als die Indizien schon erdrückend waren?
Noch gibt sich Sánchez kämpferisch. Weder Neuwahl noch eine Vertrauensfrage seien notwendig, erklärte er. Das Regierungsschiff sei stabil, Cerdán habe kein Amt im Kabinett bekleidet. Doch die politische Wirklichkeit spricht eine andere Sprache: Im Fundament der Minderheitsregierung aus dem kleinen Linksbündnis Sumar und Sánchez’ Sozialdemokraten zeigen sich deutliche Risse. Sumar-Chefin Yolanda Díaz verlangt einen völligen „Neustart der Legislaturperiode“. Das Linksbündnis schloss nicht aus, eine Vertrauensabstimmung im Parlament einzufordern.
Auch die Unterstützung im Parlament, in dem Sánchez’ Minderheitskabinett von den Stimmen mehrerer kleiner Parteien abhängig ist, bröckelt: Die katalanische Unabhängigkeitspartei Junts von Separatistenchef Carles Puigdemont will das Fortbestehen der parlamentarischen Kooperation überprüfen. Die ebenfalls für Kataloniens Eigenständigkeit eintretende Bewegung ERC kündigte das Ende der Zusammenarbeit an, sollte sich der Korruptionsfall ausweiten. Und die Linkspartei Podemos stellte klar: „Eine Entschuldigung reicht nicht.“
Sympathisanten gehen auf Distanz
Der Partei- und Regierungschef Sánchez versucht derweil, die Vorwürfe gegen Cerdán als Einzelfall darzustellen. „Ich hätte ihm nicht vertrauen sollen. Leider gibt es in dieser Welt keine Null-Korruption, aber sehr wohl Null-Toleranz.“ Das Problem ist: Cerdán ist offensichtlich kein Einzelfall.
Bereits gegen Cerdáns Vorgänger als Parteimanager, José Luis Ábalos, laufen seit Längerem Korruptionsermittlungen. Auch bei Ábalos, der zudem von 2018 bis 2021 Minister für Verkehr und öffentliche Infrastruktur war, fand die Polizei eindeutiges Belastungsmaterial. Beide waren enge Mitarbeiter von Sánchez und beide gelten als Schlüsselfiguren in diesem Korruptionsskandal, in dem sie jahrelang Bestechungsgelder für öffentliche Aufträge kassiert haben sollen.
Selbst Zeitungen, die bisher mit der Mitte-links-Regierung sympathisierten, gehen nun auf Distanz und stellen offen die Frage, ob Sánchez noch der richtige Mann an der Spitze ist. Die jüngste Korruptionsaffäre sei „kein Einzelfall, kein Betriebsunfall – sondern ein strukturelles Versagen“, kommentiert La Vanguardia. „Die letzte Sicherung ist durchgebrannt. Sánchez bleibt keine Reserve mehr.“
El País, das einflussreichste Blatt des Landes, spricht von einem Skandal, „der gerade erst begonnen hat“, und fordert „vollständige und glaubwürdige Antworten“. Das progressive Onlinemedium eldiario.es beschreibt einen „eingekreisten Regierungschef“, der die Krise durch Ignoranz und falsch verstandene Loyalität zu seinen Vertrauten noch verschärft habe. Und wenig überraschend fordert die führende konservative Medienstimme El Mundo: „Sánchez muss gehen – das ist eine demokratische Notwendigkeit.“
Oppositionsführer fordert Neuwahlen
Der konservative Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo von der Volkspartei erklärte: „Der Fall Cerdán ist der Fall Sánchez. Sánchez darf sich nicht als Opfer inszenieren. Die Opfer sind die Spanier.“ Trotz scharfer Worte kündigte Feijóo keine sofortige Misstrauensabstimmung an – mangels ausreichender Mehrheit im Parlament. Er fordert Neuwahlen, verweist aber darauf, dass es nun an den Bündnispartnern von Sánchez sei, „sich nicht länger mitschuldig zu machen“.
Was Spaniens neuesten Korruptionsskandal so explosiv macht, ist nicht nur seine strafrechtliche oder parteipolitische Dimension. Sondern es ist der Eindruck in Spaniens Öffentlichkeit, dass sich die Korruption gleichermaßen durch Sozialdemokraten und Konservative zieht, welche sich in den letzten Jahrzehnten an der Macht abgewechselt haben. Das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System wankt.
Vom Verlust der Glaubwürdigkeit könnten – wie man auch andernorts in Europa sieht – populistische Kräfte profitieren wie die rechtsnationale Partei Vox. Sie bezeichnet die Regierung als „kriminelles Regime“. Und sie ist auf dem Weg, mit ihren Rufen nach Recht, Ordnung und einem starken Staat zunehmend Gehör zu finden.
		    		
                    De Maart
                
                              
                          
                          
                          
                          
                          
                          
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