Dass der selbsternannte CEO Luxemburgs die Gesellschaft spalten würde, war schon nach seiner Regierungserklärung ersichtlich geworden. Insbesondere die linken Oppositionsparteien LSAP, Grüne und „déi Lénk“ sowie die Piraten verrissen am Mittwoch bei der Debatte über die Rede zur Lage der Nation im Parlament CSV-Premierminister Luc Friedens Ansprache vom Dienstag. Etwas verhaltenere Kritik kam von der ADR, die bei den Themen Migration und innere Sicherheit die repressive Regierungspolitik größtenteils unterstützt. Luxemburgs NATO-Beitrag schon bis Ende des Jahres auf zwei Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, stieß zwar bei LSAP und Grünen auf Zustimmung, doch sie zweifelten an der finanziellen Umsetzbarkeit dieses Vorhabens. Selbst die Fraktionspräsidenten der Mehrheitsparteien CSV und DP stellten sich nicht bedingungslos hinter die Regierung.
Sam Tanson, Sprecherin der „Sensibilité politique“ der Grünen, lief am Mittwoch einmal mehr LSAP-Fraktionspräsidentin Taina Bofferding rhetorisch den Rang als Oppositionsleaderin ab. Tanson sprach den CSV-Premierminister häufig direkt an, ließ kein gutes Haar an seinen Ausführungen vom Dienstag. Nach 18 Monaten im Amt habe die Regierung noch immer nicht viel vorzuweisen, Frieden habe sich am Dienstag vor allem mit fremden Federn geschmückt: „Et gëtt villes einfach ëmgesat, wat scho laang decidéiert wor, Gesetzer gestëmmt, déi scho Joren um Instanzewee sinn“, bemängelte Tanson. Den Hauptakzent ihrer Rede legte sie auf den Natur- und Umweltschutz: „Mir hunn e Premierminister, deen a senger Ried zur Lag vun der Natioun den Zoustand vun der Natur an der Biodiversitéit mat kengem Wuert ernimmt, keng eenzeg Mesure nennt, déi d’Natur wäert stäerken.“ Die Natur werde von Frieden nur dazu benutzt, um sie gegen andere Bereiche wie Wohnungsbau oder Wirtschaftsentwicklung auszuspielen.
„Ideologesch Deregulatioun“
Das größte Verdienst der Regierung bislang sei die „extrem konfliktuell Situatioun mat de Gewerkschaften, du jamais vu an de leschte Joerzéngten“, sagte Sam Tanson. Die Arbeitspolitik der Regierung und Friedens Ankündigung, das tatsächliche Renteneintrittsalter nach und nach zu erhöhen, sei keine Modernisierung, wie er vorgibt, sondern „ideologesch Deregulatioun op Käschte vu Liewensqualitéit an dem Recht op Fräizäit a Familljenzäit“. Statt nach Wegen zu suchen, um den Faktor Arbeit zu entlasten, passiere genau das Gegenteil: „Déi schaffend Leit mussen nach méi liwweren. Si bezuelen elo dann ebe mat zousätzleche Liewensjoren.“
De Sozialdialog war a bleift entscheedend wichteg fir de soziale Fridden an déi sozial Kohäsioun. Ech wäert mech och weiderhi perséinlech dofir asetzen a stinn zu mengen Iwwerzeegungen a mengem Gewëssen
Dem „Ein-Mann-Sozialflügel“ der CSV, Marc Spautz, zollte die Grünen-Sprecherin Respekt und sicherte ihm ihre Unterstützung zu. Spautz, der sich in den vergangenen Wochen im Sozialkonflikt mit der Regierung hinter die Gewerkschaften gestellt hatte, war am Dienstag vom Premierminister zur Ordnung gerufen worden. Am Mittwoch reagierte Spautz, verwies auf die christliche Soziallehre, an der er sich orientiere, und bekräftigte sein Bekenntnis zum Sozialdialog: „De Sozialdialog war a bleift entscheedend wichteg fir de soziale Fridden an déi sozial Kohäsioun. Ech wäert mech och weiderhi perséinlech dofir asetzen a stinn zu mengen Iwwerzeegungen a mengem Gewëssen“, sagte Spautz. An seiner persönlichen Meinung habe sich nichts geändert, doch bei „wichtigen Themen“ wie der Sonntagsarbeit und den Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel müsse die Kammer die Gutachten des Staatsrats abwarten, bevor sie darüber diskutiert und Entscheidungen trifft. Die Rede zur Lage der Nation sei nicht der richtige Rahmen, um über Details zu beraten, meinte der CSV-Fraktionspräsident, der ebenfalls bedauerte, dass die Regierung die Grundrente nicht erhöhen will, wie er selbst vorgeschlagen hatte, sondern Altersarmut mit Sozialhilfe begegnen will.
„Kal Politik“
Auch LSAP-Fraktionspräsidentin Taina Bofferding forderte bei den Renten strukturelle Reformen statt Sozialabbau und Almosen für von Altersarmut Betroffene. Konkret müsse die Grundrente um 300 Euro erhöht werden. Dem Premier warf sie vor, eine „kal Politik“ zu machen, die wenig Rücksicht auf die Menschen nehme. Die Beitragsjahre zu erhöhen, sei ein Schlag ins Gesicht für die jüngeren Generationen, die künftig länger arbeiten müssten. Der Linken-Abgeordnete Marc Baum warf der Regierung vor, nach einem Jahr Beratungsgesprächen genau das zu tun, was keiner will – weder die Beschäftigten noch die Unternehmer und auch nicht die Bevölkerung. In einer vor zwei Wochen von RTL und Wort veröffentlichten Umfrage hatten sich 56 Prozent der Wähler dagegen ausgesprochen, das tatsächliche Renteneintrittsalter an das gesetzliche anzugleichen.
Sämtliche linke Oppositionsparteien übten auch scharfe Kritik an Friedens Ankündigung, die Kollektivverträge dahingehend abzuschwächen, dass Unternehmer die Möglichkeit erhalten sollen, bestimmte Themen direkt mit ihren Beschäftigten und ohne Gewerkschaften in Betriebsvereinbarungen auszuhandeln. Marc Baum sprach von einem Frontalangriff der Regierung auf die Gewerkschaftsrechte; Taina Bofferding warf CSV und DP vor, den Sozialdialog aktiv geschwächt zu haben; Sam Tanson bemängelte, die vom Premier organisierte „Sozialronn“ habe eigentlich überhaupt nichts gebracht, denn am Mittwoch habe er genau das Gleiche gesagt wie CSV-Arbeitsminister Georges Mischo am 8. Oktober, als OGBL und LCGB die CPTE-Sitzung wegen der geplanten Reform des Kollektivvertragsgesetzes verlassen hatten.
Gesundheit: Fehlanzeige
An der Wohnungsbaupolitik der CSV-DP-Regierung wurde von der Opposition vor allem kritisiert, dass die noch von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachten Gesetzentwürfe zum Baulandvertrag, zur Grundsteuerreform und zur Spekulationssteuer auf brachliegenden Grundstücken und leerstehenden Häusern offenbar zurückgezogen wurden. In Friedens Rede am Dienstag kamen sie jedenfalls genauso wenig vor wie die Gesundheitspolitik, die der Premier geflissentlich übergangen hatte. Dabei habe die CSV noch vor den Wahlen bei jeder sich bietenden Gelegenheiten private Ärztegesellschaften, mehr „Maisons médicales“ und zusätzliche Apotheken gefordert, monierte etwa Taina Bofferding.
Ohne ausdrücklich Kritik an der Regierung zu äußern, gingen die Fraktionspräsidenten der Mehrheitsparteien CSV und DP ausführlich auf die Gesundheitspolitik ein. DP-Fraktionssprecher Gilles Baum, der seine Ansprache mit einem Exkurs über die lebensbedrohliche Lage für Journalisten in Russland begonnen hatte, betonte anschließend, dass auch in Luxemburg die Pressefreiheit garantiert werden müsse. Eine Kritik an Luc Frieden war das in der Hinsicht, dass dieser als Medienminister einen Entwurf für ein Informationszugangsgesetz vorgelegt hat, der den Bedürfnissen der Journalisten in Luxemburg in keiner Weise gerecht wird.
In seiner Stellungnahme am Ende der Debatte relativierte Luc Frieden wieder einige seiner Ankündigungen vom Dienstag – beispielsweise die zu den Kollektivverträgen und zu den Renten –, beschwichtigte und ließ sich auf Diskussionen mit den Oppositionsabgeordneten ein, die sich genötigt sahen, ihm zu erklären, dass der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung seit Ende der 2000er Jahre nicht mehr so deutlich ist wie in den Jahrzehnten davor. Und dass für manche Menschen „Schaffen“ weniger selbstverwirklichend und zufriedenstellend sein kann als vielleicht für andere.
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De Maart

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