Montag10. November 2025

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Cent-ButtekWenn alles teurer wird: Wie Luxemburgs Preisexplosion die Schwächsten trifft

Cent-Buttek / Wenn alles teurer wird: Wie Luxemburgs Preisexplosion die Schwächsten trifft
Der „Cent-Buttek“: Ein unscheinbarer Ort – und doch für viele ein Anker im Alltag Foto: Carole Theisen

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Während andere übers Sparen sprechen, kämpfen diese Menschen ums Überleben. Im „Cent-Buttek“ zeigt sich, was Armut in einem reichen Land wirklich bedeutet.

Es beginnt meistens ganz langsam. Die Miete steigt. Der Strom ist plötzlich doppelt so teuer. Das Fleisch im Supermarkt wird zum Luxusprodukt. Und irgendwann passt das Einkommen nicht mehr zum Alltag. Wer in Luxemburg lebt, kennt diese Dynamik inzwischen nur zu gut.

In den vergangenen Jahren haben sich die Lebenshaltungskosten dramatisch verändert. Mieten, Lebensmittel, Energie, Versicherungen – es gibt kaum einen Bereich, der verschont geblieben ist. Die Inflation hat ein Niveau erreicht, das selbst langjährige Einwohnerinnen und Einwohner überrascht. Besonders hart trifft es jene, die am wenigsten Spielraum haben.

Während manche dies durch sparsameres Verhalten ausgleichen, fallen andere durch das Raster. Das Tageblatt war im „Cent-Buttek“ in Bettemburg und hat mit den Menschen gesprochen, die dort einkaufen. Ihre Geschichten zeigen, wie sich globale Krisen, steigende Preise und politische Versäumnisse in einem der wohlhabendsten Länder Europas ganz konkret auf das Leben Einzelner auswirken.

Steigende Mieten

Balu, ein gelernter Elektriker, erzählt, wie sich sein Leben durch die Preisexplosion verändert hat. Als er noch mit seiner Ex-Freundin zusammenwohnte, kamen sie gemeinsam mit dem Einkommen gerade so über die Runden. Jetzt lebt er allein in einem kleinen Zimmer – 15 Quadratmeter für 1.550 Euro im Monat. Viel zu viel, aber er hat keine andere Wahl. Denn wer in Luxemburg Sozialhilfe – den sogenannten Revis – beziehen will, darf nicht in einer Wohngemeinschaft leben. Wohnt man bei der Familie oder teilt sich ein Zimmer, wird die Unterstützung gestrichen oder stark gekürzt.

Grund dafür ist, dass die Höhe des Revis nicht nur vom Einkommen des Antragstellers abhängt, sondern vom gesamten Bruttoeinkommen und Vermögen der häuslichen Gemeinschaft – also aller Personen, mit denen man zusammenlebt. Das macht alternative Wohnformen oft unattraktiv – selbst wenn sie deutlich günstiger wären.

Jeden Tag retten Freiwillige Lebensmittel vor dem Müll – und verteilen sie an Menschen in Not
Jeden Tag retten Freiwillige Lebensmittel vor dem Müll – und verteilen sie an Menschen in Not Foto: Carole Theisen

Nach Abzug der Miete bleiben Balu rund 400 Euro im Monat. Davon muss er sein Handy, Versicherungen und Schulden begleichen. Kochen? „Das kann ich mir nicht mehr leisten. Fleisch ist viel zu teuer. Ich bin froh, wenn ich im Discounter überhaupt etwas finde.“ Er lebt von dem, was er im „Cent-Buttek“ bekommt: Brot, Gemüse, Obst. Für Fleisch reicht es nur in Ausnahmefällen.

Balu würde lieber bei seiner Mutter wohnen, sagt er. Dort würde ihn das Zimmer nur 400 Euro kosten. Aber dann würde ihm der Revis gestrichen. Ein absurdes Dilemma, das zeigt, wie wenig flexibel und realitätsnah das luxemburgische Sozialhilfesystem derzeit funktioniert. Was er sich wünschen würde? „Dass die Mieten gedeckelt werden. 700 Euro für eine kleine Wohnung – das würde schon helfen.“

Arbeitslosigkeit, Behinderung, Chancenlosigkeit

Auch Mohammed kämpft mit den gestiegenen Preisen – und mit einem System, das ihm kaum Perspektiven bietet. Er sitzt im Rollstuhl und erhält seit fünf Jahren eine staatliche Unterstützung von 1.125 Euro im Monat. Die Summe ist seitdem gleich geblieben, während alles um ihn herum teurer geworden ist. Weil er behindert ist, findet er keine reguläre Arbeit. Eine Beschäftigung in einer geschützten Werkstatt wäre eine Option – aber auch dafür muss er sich gedulden: Die Wartezeit beträgt mehr als ein Jahr, erklärt er.

Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in einem Wohnheim. Seine Frau sucht Arbeit, doch ohne Erfolg. Zwei seiner Söhne haben die Schule abgebrochen, um zu arbeiten. Sie sind 16 und 17 Jahre alt. Es gibt keine andere Möglichkeit, sagt er – das Geld reicht einfach nicht mehr.

Vergessen im System

Sarah lebt mit ihrem Kind in einer kleinen Wohnung. Sie bezieht Arbeitslosengeld, etwa 1.800 Euro im Monat. Die Miete frisst 1.300 davon. Sie hat gelernt, wie man mit sehr wenig auskommt. „Ohne den Cent-Buttek wäre es nicht möglich. Ich komme zweimal die Woche her. Es ist nicht alles da, aber es hilft.“ Ihre Hoffnung liegt auf einer Weiterbildung, um danach einen Job zu finden, der mehr als das Existenzminimum bringt. Aber sie sagt auch: Selbst 2.000 oder 2.200 Euro netto würden heute kaum reichen.

Auch Cassandra, alleinerziehende Mutter, musste ihren Job aufgeben, um sich um ihren Sohn zu kümmern. Der Junge braucht intensive psychologische und psychiatrische Betreuung. Zurzeit hat sie keinerlei Einkommen. Der Staat hat ihr einmalig beim Begleichen des Mietrückstands geholfen, aber die laufenden Kosten bleiben – ohne Unterstützung. Auch sie ist auf die Lebensmittelhilfe angewiesen.

Zwei Euro für einen vollen Korb: Für viele Familien macht das den Unterschied
Zwei Euro für einen vollen Korb: Für viele Familien macht das den Unterschied Foto: Carole Theisen

Marianne ist 63 Jahre alt. Sie bezieht eine kleine Witwenrente. Ihre Wohnung kostet 1.300 Euro, die Nebenkosten betragen mittlerweile fast 500. Viel bleibt ihr nicht. Arbeiten kann sie nicht mehr, sagt sie. Aber die Altersrente erhält sie erst mit 65. Würde der Staat hier flexibler agieren, könnte sie sich das Leben leichter machen – und sich den Gang zum „Cent-Buttek“ vielleicht sparen. Doch aktuell bleibt ihr keine Wahl. Sie spart, wo sie kann. Bei Medikamenten und Arztrechnungen erhält sie Hilfe von der Gemeinde, für den Rest helfen ihre Kinder.

Zwischen Armut und Abfall

Luxemburg ist reich. Aber dieser Reichtum ist ungleich verteilt. Das System funktioniert für viele – aber nicht für alle. Wer auf staatliche Hilfe angewiesen ist, kämpft sich durch ein Netz aus Regeln, Einschränkungen und Abhängigkeiten. Die explodierenden Preise wirken wie ein Brandbeschleuniger in einem ohnehin labilen Gleichgewicht.

Der „Cent-Buttek“ selbst ist ein Beispiel für gelebte Solidarität – und gleichzeitig ein stiller Anklagepunkt gegen die Schieflage des Systems. Seit seiner Gründung 2009 rettet er jährlich rund 550 Tonnen Lebensmittel vor dem Müll und verteilt sie an Menschen in Not. Für zwei Euro erhalten sie hier zweimal pro Woche das Nötigste: gerettetes Brot, Obst, Konserven. Die Arbeit wird fast vollständig von Ehrenamtlichen getragen – über 200 Menschen helfen mit.

Zwischen all der Not und Frustration trifft man im „Cent-Buttek“ jedoch auch auf Menschen wie Fatima. Für sie ist klar: „Die Preise steigen überall. Nicht nur in Luxemburg. Essen, Kleidung, Strom – alles ist teurer geworden. Aber wir müssen trotzdem irgendwie weitermachen.“ Als gläubige Muslimin schöpft sie viel Kraft aus ihrem Glauben. „Ich danke Gott, dass wir gesund sind. Dass wir leben. Es gibt Menschen, die haben alles verloren – ihre Familie, ihr Zuhause. Im Vergleich dazu geht es uns gut.“

Fatima ist kein Mensch der großen Klagen. „Es bringt nichts, sich zu beschweren. Wir haben keinen Zauberstab, mit dem wir die Welt verändern können. Aber wir haben uns. Und Hoffnung. Und Geduld. Das ist wichtig.“

Reinertz Barriera Manfred
16. April 2025 - 9.10

Die neue Regierung hatte doch versprochen mehr Netto vom Brutto, also wieder eine Fehlanzeige oder Verxxxchung?