Tageblatt: Es sind noch zwei Tage bis zum OGBL-Kongress, zwei Monate sind mittlerweile seit dem Zusammentreffen der Gewerkschaften mit Premierminister Luc Frieden vergangen. Wo bleibt der angekündigte Sozialtisch?
Nora Back: Der hat leider noch immer nicht stattgefunden. Es sieht, besonders beim Streitthema Kollektivverträge, nicht nach Entspannung aus. Demnach wird das Thema auch zentral für unseren Kongress sein. Wir sind in unseren gewerkschaftlichen Freiheiten angegriffen.
Wurde denn hinter den Kulissen noch weiter verhandelt, auch wenn es diese große Zusammenkunft nicht gegeben hat?
Dass der Sozialtisch nicht stattgefunden hat, ärgert uns natürlich. Premierminister Frieden hat uns jedoch für weitere informelle Gespräche zum Thema Kollektivverträge kontaktiert und diese haben teilweise auch schon stattgefunden. Es bringt jedoch nichts, wenn wir zum hundertsten Mal erklären, warum Kollektivverträge wichtig sind, wir brauchen Resultate. Wir wiederholen uns als Gewerkschaften in dem Punkt immer wieder – jedoch können wir uns nicht zufriedengeben, bis endlich Fortschritte zu erkennen sind.
Kam bei den informellen Gesprächen denn etwas Bewegung ins Dossier?
Beim Thema Kollektivverträge gibt es zwei Punkte zu beachten. Zum einen hat die Regierung uns ja frontal angegriffen und will eine Regression unserer heutigen Rechte durchsetzen. Da befinden wir uns in der Defensive und müssen eine Verschlechterung des Kollektivvertragswesens abwenden. Es kann nicht sein, dass auf Basis der EU-Direktive, die eine höhere Abdeckung der Arbeitnehmerschaft durch Kollektivverträge fordert, unsere Rechte abgeschwächt werden. Zum anderen sollte dann auch noch der Inhalt, über den wir verhandeln dürfen, verwässert werden. Selbst wenn wir das abwenden, haben wir nicht einen Kollektivvertrag zusätzlich abgeschlossen. In beiden Punkten dreht die Regierung immer wieder Pirouetten: Macht inakzeptable Vorschläge, zieht sie wieder zurück, etc. Es ist ständig Bewegung, erreicht wurde jedoch nichts.

Das CPTE-Treffen am 4. März brachte auch keinen Fortschritt. Ist der Sozialdialog dermaßen festgefahren?
Ja. Wir haben als Gewerkschaften die Forderung gestellt, dass in dieser Sitzung über die Kollektivverträge verhandelt werden müsste. Dieser Forderung wurde nicht stattgegeben. Trotzdem haben wir uns als Gewerkschaften entschieden, an der Sitzung teilzunehmen, um den Sozialdialog am Leben zu erhalten. Unser Vertrauen in die Regierung wurde jedoch gebrochen, als sie unsere Legitimität infrage gestellt hat. Ein gutes Beispiel ist die Energiepolitik. Ein Thema, das unter der Regierung Bettel in einer Tripartite beredet wurde. Auch jetzt stehen die Menschen vor massiven Kaufkraftverlusten. Ich könnte auch die Steuerpolitik nennen. Uns Gewerkschaften wird dann gesagt: Politik wird von der Regierung gemacht. Nein, bei Steuern geht es grundsätzlich um die Frage der Umverteilung. Da kann Gerechtigkeit in einer Gesellschaft hergestellt werden. Sogar die OECD, der wahrlich keine Nähe zu uns Gewerkschaften nahegelegt werden kann, sagt, dass unser Steuersystem ungerecht ist. Das Kapital wird weniger besteuert als die Arbeit.
Steuern sind aber vor allem bei einer CSV ein schwieriges Thema, wenn man auf die jüngste Vergangenheit blickt.
Man sollte doch erklären können, dass eine Erbschaftssteuer bei Normalsterblichen gar nicht erst greift. Es kommen aber unzählige Ausgaben im Verteidigungsbereich auf uns zu, die Minister Mischo und Delles haben eben 300 Millionen Euro für Start-ups lockergemacht. Das alles während sogenannte High Net Individuals die Hälfte ihres Einkommens steuerfrei bekommen, während wir uns dumm und dämlich zahlen. Das alles übrigens, während Ausgaben im Umweltbereich zurückgefahren werden.
Die jungen Generationen können sich kein Dach über dem Kopf leisten und müssen im Gegenzug ansehen, wie sich andere an ihrer Misere bereichern. Gleichzeitig wird ihnen eingetrichtert, dass sie nicht mehr die Altersrente wie ihr Vater oder Großvater haben werden. Diese neoliberale Politik ist der Nähboden für Sozialkriege und die extreme Rechte.
Luc Frieden meinte auf dem CSV-Kongress, die Verteidigungsausgaben sollen nicht zulasten der Sozialtransfers gehen. Wie blickt der OGBL auf die Debatte?
Die Friedensbewegung entstammt ja aus der Gewerkschaftsbewegung. Es ist nun einmal so, dass bei einem Krieg und seinen Folgen die „normalen“ Menschen immer die ersten Leidtragenden sind. Es ist eine heikle Frage. Weil wir ein starkes, souveränes Europa mit einer starken Industriepolitik brauchen, das sich im Notfall wehren kann. Wir stehen auch weiterhin dafür ein, dass die Ukraine die nötige Unterstützung erhält. Wir werden uns jedoch davor hüten, einem Aufrüstungshype zu verfallen und werden die Regierung und Luc Frieden an dessen Worte erinnern. Es ist gut, dass er das so gesagt hat. Er muss es in Zukunft aber unter Beweis stellen. Zu den Verteidigungsausgaben sollte auch angemerkt werden: Bisher war nie Geld vorhanden, wenn es um Sozialpolitik oder auch den Logement geht. Die jungen Generationen können sich kein Dach über dem Kopf leisten und müssen im Gegenzug ansehen, wie sich andere an ihrer Misere bereichern. Gleichzeitig wird ihnen eingetrichtert, dass sie nicht mehr die Altersrente wie ihr Vater oder Großvater haben werden. Diese neoliberale Politik ist der Nähboden für Sozialkriege und die extreme Rechte.
Gewerkschaften haben den Wohlstand des Landes mit aufgebaut. Und deswegen wehren wir uns mit der gegebenen Härte. Wenn die Attacken aggressiver werden, werden wir lauter.
Ist eine martialische Rhetorik – Sie haben eben von Sozialkrieg gesprochen – in der Hinsicht hilfreich?
Ich finde es interessant, dass das vor allem auf Gewerkschaftsseite angemerkt wird. Ich finde es viel aggressiver, die Legitimität der Gewerkschaften infrage zu stellen. Das wird dann untermauert mit Behauptungen, dass wir Gewerkschaften schwindende Mitgliederzahlen haben, nicht mehr volksnah sind und mit der Menge an Kollektivverträgen nicht klarkommen, nicht in allen Sektoren vertreten sind. Das ist alles gelogen. Fakt ist: Gewerkschaften haben den Wohlstand des Landes mit aufgebaut. Und deswegen wehren wir uns mit der gegebenen Härte. Wenn die Attacken aggressiver werden, werden wir lauter. Das ist der Weg, über den wir uns wehren müssen. Sonst geht es an die Substanz.
Die Legitimität der Gewerkschaft infrage stellen ist ein Muster, dem sich sowohl Arbeitsminister Mischo als auch das Patronat bediente. Unzählige Unternehmen hätten keine Gewerkschaften oder sogenannte neutrale Delegierte. Müsste man dem nicht trotzdem Rechnung tragen?
Es ist ein Märchen zu behaupten, es gäbe neutrale Delegierte. Das sind alles Individuen, die nicht in einer Gewerkschaft föderiert sind. Das ist also kein großer Block, den man uns Gewerkschaften entgegenstellen kann, sondern alles Einzelkämpfer. Ganz oft sind das sogenannte „Patronsdelegéierter“, die nach den Sozialwahlen fünf Jahre lang nichts tun. Und die sollen jetzt, in einem Subordinationsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber, Kollektivverträge aushandeln – ohne genauere Kenntnisse oder Fortbildungen? Neutral ist in dem Kontext der falsche Ausdruck.

Wie können denn Kollektivverträge in Unternehmen abgeschlossen werden, wo keine Gewerkschaften präsent ist?
Das Arbeitsrecht erlaubt es uns bereits heute, in Unternehmen Kollektivverträge auszuhandeln, wo wir nicht vertreten sind. Das machen wir bereits jetzt jeden Tag. Für mehr Kollektivverträge braucht es jedoch vor allem mehr sektorielle Kollektivverträge.
Auf dem LCGB-Kongress mussten sich gleich drei Minister, Georges Mischo, Lex Delles und Xavier Bettel, die Beschwerden der Gewerkschafter anhören. Welchen Regierungsvertreter werden Sie denn auf Ihrem Kongress begrüßen?
Wir haben niemanden aus der Regierung eingeladen. Beim LCGB-Kongress gingen die Einladungen noch vor Beginn des Sozialkonfliktes raus. Wir sind der Meinung, dass das einfach nicht angebracht wäre, wenn ein Vertreter der Regierung, die uns frontal angreift, auf unserem Kongress präsent wäre. Es ist ein Paradigmenwechsel, ein politischer Wandel, den wir gerade durchleben. Der OGBL ist die größte Gewerkschaft im Land und hat das Recht, selbst zu entscheiden, wer auf dem für die Gewerkschaft wichtigsten Event des Jahres dabei sein darf und Redezeit erhält. Wir haben uns jedoch entschieden, die Fraktionspräsidenten der CSV, Marc Spautz, und der LSAP, Taina Bofferding, einzuladen. Beides sind auch frühere Gewerkschafter. Zudem wird Nicolas Schmit, der Vater der angesprochenen EU-Direktive, ebenfalls anwesend sein.
Könnte das nicht auch als Bruch mit dem (Sozial-)Dialog interpretiert werden, wenn der OGBL die Regierung nicht einlädt?
Nein, das ist unser Kongress und nicht der Ort, an dem der Sozialdialog geführt werden sollte. Es ist das oberste Gremium des OGBL, das über die politische Richtung der kommenden Jahre entscheidet. Wir laden auswärtige Redner ein, um der politischen Aktualität Rechnung zu tragen. Es ist meines Erachtens jedoch kein Zeichen, dass wir die Regierung oder den Sozialdialog nicht respektieren würden. Der Sozialdialog wird in der Tripartite oder im CPTE und nicht im feierlichen Moment unseres Kongresses geführt.
LCGB-Präsident Patrick Dury wird aufgrund der gemeinsamen Resolution von OGBL und LCGB anwesend sein. Wie geht es weiter mit der Gewerkschaftsfront?
Wir haben einige Aktionen im Handel gestartet und wenden uns fast jeden Tag mit Pressemitteilungen nach außen. Die zwei Geschäftsführungen treffen sich regelmäßig, beraten sich zu den verschiedenen Themen. Außerdem laufen die Vorbereitungen auf unsere große gewerkschaftliche Aktion im Juni auf Hochtouren. Da passiert vieles im Hintergrund, doch es tut sich was.
Gibt es schon weitere Details zur Gewerkschaftsaktion?
Wir treffen uns am 28. Juni um 11.00 Uhr auf der place de Paris und wollen dann in die Oberstadt marschieren. Wo genau wir ankommen werden, ist noch nicht endgültig geklärt.
Uns wurde bewusst, dass wir das nicht schaffen, wenn wir uns nicht zusammenschließen, um diese harten fünf Jahre unter dieser Regierung zu überstehen. So ist die Gewerkschaftsfront entstanden.
Zwei Geschäftsführungen, die sich regelmäßig treffen … Patrick Dury wollte im Tageblatt-Interview nicht viel zur Zukunft der Gewerkschaftsfront verraten. Geht es Richtung Einheitsgewerkschaft oder nicht?
Ich würde das Wort Einheitsgewerkschaft nicht benutzen. Der OGBL hat noch immer die Auffassung vertreten, dass man gemeinsam stärker ist und man sich gegen jede Zersplitterung der Arbeitnehmerschaft wehren muss. Das liegt in unserer DNA. Was aber gerade passiert ist so wichtig, weil es aus einer Notwendigkeit heraus entstanden ist. Über das Rentendossier, die Kollektiverträge, die Ladenöffnungszeiten, Sonntagsarbeit bis hin zum Streikrecht – der Schulterschluss ist eigentlich über die unzähligen Streitpunkte zustande gekommen. Uns wurde bewusst, dass wir das nicht schaffen, wenn wir uns nicht zusammenschließen, um diese harten fünf Jahre unter dieser Regierung zu überstehen. So ist die Gewerkschaftsfront entstanden. Und wir werden dem Ganzen noch einen festeren Rahmen geben, wie und wann wir zusammenarbeiten wollen.
Sie haben das Streikrecht angesprochen. Wie sehen Sie den Entwurf der Regierung?
Auch das ist ein Thema, bei dem die gewerkschaftlichen Freiheiten unter Beschuss stehen. Unter dem Eindruck der Covid-Krise werden gerade derart restriktive Gesetze geschrieben, dass selbst gewerkschaftliche Aktionen nicht mehr stattfinden könnten. Wir Luxemburger Gewerkschaften sind im Vergleich mit dem Ausland ja sehr friedlich. Wir haben wenige Streiks in Luxemburg, was ein Ergebnis des Luxemburger Sozialmodells ist. Wenn das aber derart infrage gestellt wird, besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass wir unsere Aktionen auf die Straße verlagern müssen. Das ist unser letztes Mittel, das uns nicht genommen werden darf. Die Verfassung verlangt ein Gesetz – wir sind der Meinung, dass wir dieses Gesetz nicht brauchen. Die Polizei hatte noch immer die Möglichkeit, wenn nötig einzugreifen. Deswegen uns jetzt weismachen wollen, dass eine Gewerkschaftsflagge eine Waffe sein kann – das kann nicht der richtige Weg sein. Bereits jetzt haben wir Probleme, unsere Demonstrationen anzumelden.
Morgens aufzustehen und zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht: Das trägt mich durch den Job

Sie haben erwähnt, dass es harte fünf Jahre werden unter dieser Regierung. Wie viel Energie haben Sie denn noch, sich dem entgegenzustellen?
Gerade solche Momente geben Kraft. Ganz einfach deswegen, weil wir keine andere Wahl haben, als uns als OGBL dagegen zu wehren. Der OGBL ist nicht seine Präsidentin, sondern seine 77.000 Militanten. Deren Engagement werden wir in den kommenden Jahren brauchen. Morgens aufzustehen und zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht: Das trägt mich durch den Job. Wenn so viele Leute für eine Sache einstehen, dann entsteht eine Solidarität, die man sonst nur selten im Leben erlebt.
Wollen Sie denn mit derselben Mannschaft wie bisher weiter agieren?
Wenn der Kongress das absegnet, ja. In der Geschäftsführung wird es voraussichtlich keine Änderungen geben.
De Maart

Se, d'Gewerkschaften, ware scho lâng net méi esou wichteg wéi haut wéinst deem Mischo sénge verwuerelten Iddien.
Die Gewerkschaften sind die "forces vives de la nation" also sollte sich Herr Mischo sich in Acht nehmen was er so im Schilde führt!