Montag29. Dezember 2025

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SerbienPräsident Vucic wirkt angesichts der Protestwelle gegen die Korruption zunehmend rat- und orientierungslos

Serbien / Präsident Vucic wirkt angesichts der Protestwelle gegen die Korruption zunehmend rat- und orientierungslos
Protestierende im südserbischen Nis Foto: Andrej Isakovic/AFP

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Ob mit wüsten Rundumschlägen, Razzien bei missliebigen Bürgerrechtsgruppen oder der Aussperrung der Opposition: Auf die Protestwelle gegen die Korruption reagieren Serbiens nervöse Machthaber mit zunehmender Rat- und Orientierungslosigkeit.

Das Lichtmeer der in die Höhe gereckten Mobiltelephone erhellte in der Nacht zum Sonntag kurz vor Mitternacht die Innenstadt im südserbischen Nis. Vier Monate nach dem Einsturz des Vordachs des neu renovierten Bahnhofs in Novi Sad gedachten erneut Zehntausende von Demonstranten mit 15 Schweigeminuten den 15 Todesopfern, denen vermutlich Korruption und Vetternwirtschaft ihr Leben kostete.

Nicht nur in Nis wurden die Demonstranten am Wochenende mit Glockenläuten und Feuerwerk begrüßt. Ob auf dem Weg zu Großkundgebungen in Novi Sad, Belgrad, Kragujevac oder jetzt in Nis: Mit den Landesfahnen geschultert, ziehen seit Wochen Tausende von Studenten auf tagelangen Sternmärschen durch das Land und werden selbst in den abgelegensten Dörfern wie Befreier gefeiert.

Das Interesse an den Protesten gehe zurück, versichert derweil der autoritär gestrickte, immer nervöser wirkende Staatschef Aleksandar Vucic: In Nis hätten am Wochenende nur noch 6.000 Menschen demonstriert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Proteste weiten sich aus – und gewinnen an Zulauf: Am 15. März ist die nächste Großdemonstration in Belgrad geplant.

Weder Schmähungen und Verleumdungskampagnen der Regierungsmedien noch physische Attacken angeheuerter Schläger oder Ablenkungsmanöver wie die demonstrative Verhaftung von in Ungnade gefallenen Würdenträgern haben die sich auf bereits über 250 Kommunen ausgebreitete Protest- und Streikwelle bisher stoppen können. Statt souverän wirkt der dünnhäutige Vucic zunehmend rat- und orientierungslos. Statt mit Beifall sehen sich lokale SNS-Würdenträger selbst in der Provinz immer häufiger mit Buhrufen und Eierwürfen konfrontiert.

Staatsmacht will Proteste diskreditieren

Alle Versuche der SNS und der von ihr gesteuerten Medien, die Studentenproteste als von westlichen Geheimdiensten gesteuerte Bewegung zum Sturz von Vucic zu diskreditieren, schlugen bislang fehl. Verstärkt rücken daher wieder missliebige Bürgerrechtsgruppen und die Opposition ins Visier der SNS-Propaganda-Maschinerie.

Mit Polizeigewalt wurden oppositionelle Stadträte in Novi Sad letzte Woche am Zugang zum Rathaus gehindert, wo sie an der Stadtratssitzung zur Wahl eines neuen Bürgermeisters teilnehmen wollten. In Belgrad ordnete die Staatsanwaltschaft gleichzeitig Hausdurchsuchungen bei mehreren Bürgerrechtsgruppen an, deren Programme bisher von der vor der Auflösung stehenden US-Entwicklungsgesellschaft USAID gefördert worden waren.

Mit dem Verdacht auf Geldwäsche und der Veruntreuung von US-Steuergeldern begründeten selbst Justizbeamte und Regierungspolitiker die Hausdurchsuchungen, die sich früher auf USAID-Kosten selbst Fortbildungsreisen oder Reformprogramme hatten finanzieren lassen.

Opportunist Vucic biedert sich Trump an

Auch außenpolitisch scheint das zwischen Ost und West balancierende Politchamäleon Vucic verstärkt auf die Karte Trump zu setzen. Zwar hatte der EU-Anwärter Serbien bei den Vereinten Nationen (UN) vergangene Woche für die von mehreren europäischen Staaten eingebrachte Ukraine-Resolution gestimmt, doch Vucic sich hernach wortreich für das „Versehen“ entschuldigt. Gleichzeitig stimmt er seit Tagen das hohe Lied auf die „wahre Führung“ und die „mutigen Aktionen“ des neuen US-Altpräsidenten Donald Trump an.

Europa werde versuchen, sich als neuer „Leuchtturm der Freiheit“ zu positionieren, die liberalen US-Medien gleichzeitig ihre Angriffe gegen Trump intensivieren, warnte Vucic am Wochenende sein neues Vorbild im Weißen Haus: Er sei „sehr besorgt“ über das, was Trump nun zu überstehen habe. Serbien müsse als kleiner Staat seinen eigenen nationalen Interessen folgen – und „schauen, woher der Wind weht“, deutete er gar einen Kurswechsel hin zu den USA und weg von der EU an.

Während die EU-Kommission sich zu den Protesten weitgehend ausschweigt und ihre Emissäre bei Belgrad-Visiten noch immer diplomatisch vermeintliche „Reformfortschritte“ preisen, schlägt das Europaparlament angesichts der Entwicklungen bei dem autoritär geführten Beitrittskandidaten Alarm.

Die EU verhalte sich gegenüber Belgrad wie die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel einst gegenüber Moskau, warnt der kroatische Serbien-Berichterstatter des Europaparlaments Tonino Picola davor, der „Stabilokratie“ auf dem Westbalkan Vorrang vor der Stärkung demokratischer Strukturen zu geben. Die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen führe keineswegs automatisch zu einer Demokratisierung: „Man benötigt Partner, die die EU als Wertegemeinschaft und nicht nur als Geldautomat schätzen.“