Montag20. Oktober 2025

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Renovieren statt NeubauEU-Bürgerinitiative zum Substanzschutz braucht 4.500 Unterschriften in Luxemburg

Renovieren statt Neubau / EU-Bürgerinitiative zum Substanzschutz braucht 4.500 Unterschriften in Luxemburg
Eine Million Unterschriften EU-weit beziehungsweise 4.500 für Luxemburg möchte die von Arno Brandlhuber (l.) ins Leben gerufene Bürgerinitiative für einen besseren Substanzschutz in einem Jahr sammeln Foto: Editpress/Alain Rischard

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„House Europe!“ heißt die Bürgerbewegung, die sich auf EU-Ebene für einen besseren Substanzschutz und den Erhalt des architektonischen Erbes einsetzt. Damit es das Thema in die EU-Kommission schafft, müssen eine Million Bürger die Petition unterschreiben. In sieben Ländern muss zudem das Quorum überschritten werden. Für Luxemburg bedeutet das 4.500 Unterschriften.

300 Interessierte hatten sich am Mittwochabend im Limpertsberger „Tramsschapp“ eingefunden, um die Auftaktveranstaltung von „House Europe!“ zu verfolgen. Die Initiative zum Erhalt des architektonischen Erbes starteten die deutschen Architekten Arno Brandlhuber und Olaf Grawert. Sie und ihre Mitstreiter aus Europa wollen erreichen, dass auf EU-Ebene die Weichen gestellt werden, damit das Renovieren und der Umbau von bestehender Bausubstanz attraktiver wird als ein Abriss mit anschließendem Neubau. 

Luxemburg ist in Sachen Substanzschutz ein gebranntes Kind. Die Zerstörungs- und Bauwut hat das Land seit vielen Jahren fest im Griff, mit teils drastischen Folgen für das Erscheinungsbild der Städte und Dörfer. Die Bürgerinitiativen für einen besseren Substanz- und Denkmalschutz liefen allesamt ins Leere. Gleich zwei Petitionen für eine Verbesserung des Schutzes alter Bausubstanz schafften das Quorum der 4.500 Unterschriften und wurden im Parlament debattiert. Allerdings änderte sich nichts. Stattdessen verabschiedete das Parlament 2022 ein neues Denkmalschutzgesetz, das durch eine Reihe von Unzulänglichkeiten (das Tageblatt berichtete) keinen unmittelbaren Schutz für historische Bausubstanz bieten kann.  

Koordinator für Luxemburg: Uniprofessor Florian Hertweck
Koordinator für Luxemburg: Uniprofessor Florian Hertweck Foto: Editpress/Julien Garroy

4.500 Unterschriften braucht es auch jetzt, allerdings müssen diese im Gegensatz zu einer Chamber-Petition von Luxemburger Staatsbürgern kommen. Die Stimmen der in Luxemburg lebenden Ausländer werden in ihrem jeweiligen Heimatland totalisiert, denn die Petition läuft in allen EU-Ländern. Immerhin kann sie zwölf Monate lang, also bis Anfang Februar 2026, unterschrieben werden (Chamber-Petitionen: zwölf Wochen). Sie muss insgesamt eine Million Signaturen erhalten und in mindestens sieben Ländern jeweils eine Mindestanzahl, die sich nach der Bevölkerungszahl richtet, erreichen. Für Luxemburg sind das 4.500 Unterschriften.   

Verheerende Ökobilanz

Damit die auch zusammenkommen, fand am Mittwoch die Auftaktveranstaltung zu „House Europe!“ statt. Gastgeber war Prof. Florian Hertweck von der Universität Luxemburg. Hertweck kümmert sich um den Luxemburger Teil der Initiative. „Ich freue mich, dass ich dabei elf Akteure aus unterschiedlichen Bereichen als Unterstützer gewinnen konnte“, sagt er im Gespräch mit dem Tageblatt. Mit im Boot sitzen zum Beispiel der „Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils“ (OAI), das Architekturzentrum Luca, das „Mouvement écologique“, die nationale Denkmalschutzbehörde INPA oder aber die Industriekultur-Vereinigung CNCI.     

House Europe!

Ziel von „House Europe!“ ist es, eine Million Unterschriften innerhalb eines Jahres zu sammeln. Dabei muss das von der Bevölkerungszahl abhängige Quorum in mindestens sieben europäischen Ländern erreicht werden. In Luxemburg liegt es bei 4.500 Unterschriften. Wird das Ziel bis Anfang Februar 2026 erreicht, dann muss sich die Europäische Kommission mit dem Anliegen beschäftigen. Die Initiatoren hoffen dabei auf neue Leitlinien im Bauwesen für alle EU-Länder, die der Renovierung alter Bausubstanz Priorität vor Abriss und Neubau geben. Unterschrieben werden kann die Petition in wenigen Schritten unter www.houseeurope.eu

„Der Substanzschutz ist unser Anliegen“, sagt Florian Hertweck, „wichtig ist dabei zu zeigen, dass der Substanzschutz kein wirtschaftsfeindliches Modell ist.“ Weshalb das so wichtig ist, beantwortete Arno Brandlhuber am Mittwoch: „50 Prozent des Kapitals weltweit stecken im Immobiliensektor“, so der Architekt. Wichtigstes Argument seiner Initiative ist der Umweltschutz. Die CO2-Bilanz bei Abriss und Neubau ist verheerend. Zudem werden dabei Ressourcen verschwendet. Der Escher Architekt Philippe Nathan, ebenfalls Teilnehmer des Rundtischgesprächs am Mittwoch, hatte die Ökobilanz des Abrisses vor wenigen Wochen wie folgt auf Luxemburg heruntergebrochen: Neun Millionen Tonnen Bauschutt fallen im Großherzogtum pro Jahr an. Das entspricht 400.000 Lastwagenladungen. Und wenn diese Lkw 40 Kilometer weit zu einer Deponie fahren, dann bedeute dies allein 12.000 Tonnen CO2-Ausstoß pro Tag, dem Äquivalent von 6.000 „Economy-Class“-Flügen zwischen Luxemburg und New York.  

Die Forderungen

1) Steuerermäßigungen für Renovierungsarbeiten und wiederverwendete Materialien
2) faire Regeln für die Begutachtung der Risiken und Potenziale bestehender Gebäude
3) neue Werte für das in Bestandsgebäuden gebundene CO₂ (graue Energie)

Fakt ist: Die Baubranche ist der größte Umweltverschmutzer der Welt, verantwortlich für fast 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes und für 60 Prozent des globalen Mülls. Diese Zahlen würden sich deutlich verbessern, wenn der Renovierung gegenüber dem Abriss und Neubau Priorität eingeräumt würde. Genau das ist das Anliegen von „House Europe!“. „In Europa liegt das Verhältnis Renovierung zum Neubau bei 50 zu 50, unser Wunsch wären 80 zu 20. Das mittelfristige Ziel ist eine Marktverlagerung vom Neubau zur Renovierung“, erklärt Florian Hertweck. Und weiter: „Leider gibt es für Luxemburg keine Zahlen. Niemand weiß, was in den letzten Jahren abgerissen wurde. Dabei wäre es spannend zu sehen, was alles verschwunden ist und wie viel graue Energie das ausmachen würde, ganz abgesehen vom kulturellen und architektonischen Verlust.“ 

Als graue Energie wird die Energiemenge bezeichnet, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes – in diesem Fall eines Gebäudes – aufgewendet werden muss. Vereinfacht gesagt ist es die Energie, die in einem Gebäude drinsteckt. Bei einem Abriss und Neubau geht die graue Energie des alten Gebäudes verloren und es muss für den Aufbau neue eingesetzt werden. Wenn man die graue Energie in die Rechnung mit einfließen lässt, dann hat ein Neubau, so CO2-neutral er auch sein mag, immer eine schlechtere Ökobilanz als die Renovierung. Und das Argument der Verdichtung in Zeiten der Wohnkrise lassen Hertweck und Co. nicht gelten. Wenn in Luxemburg zehn Prozent aller Gebäude um ein Stockwerk erhöht würden, dann würde Wohnraum für über 100.000 Menschen geschaffen, sagt Hertweck. Und das Land hätte eine weitere Versiegelung gespart.  

Rund 300 Menschen waren bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch in den Limpertsberger „Tramsschapp“ dabei
Rund 300 Menschen waren bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch in den Limpertsberger „Tramsschapp“ dabei Foto: Editpress/Alain Rischard