Noch sitzt Marc Scheer, u.a. Programmleiter bei „Cooperations“, in seinem Büro. Eric Mangen, freischaffender Künstler, hockt derweil im „Creative Hub 1535“ in Differdingen, wo er an dem Tag zu Gast ist. Zum Zeitpunkt des Interviews ist es noch eine Woche hin bis zum heutigen „Kick-off“ des Kulturprojekts „Dialogue“ in Wiltz. Scheer und Mangen können es kaum erwarten – konkrete Fragen braucht es nicht, um ins Gespräch zu kommen.
Zur Entstehung
Der Anstoß für ein neues Kulturprojekt kam von der Gemeinde. Sie beauftragte „Cooperations“, das Konzept „Arts Wiltz“ weiterzuspinnen: Dort standen Skulpturen und Bildhauerei im Mittelpunkt. „In der Vergangenheit lag der Fokus auf Veranstaltungen statt auf der Kreation“, sagt Scheer, „deswegen beschlossen wir jetzt, auf Residenzen zu setzen.“
Eine neue Institution oder ein Gebäude braucht es dafür nicht. Die Stadt kämpfe mit Leerstand, so Scheer. Die freien Häuser nutze das Gründungsteam – neben Scheer und Mangen zählen auch Rachel Hoffmann (Studio Abricot), Joël Rollinger (Künstler) und Didier Scheuren (Cooperations) dazu – nun als Arbeitsort für Künstler*innen. Als Inspiration dienten Projekte von Joël Rollinger, der u.a. mit „Schwaarzt Haus“ unbelebte Orte mit Kunst bespielte. In Wiltz wird der Fotoladen „Deltgen“ in der Grand-rue auf diese Weise zunächst für ein Jahr zum Kunsthaus.
Fehlende Arbeitsorte
Damit will das Team eine Lücke schließen, die selbst im Koalitionsvertrag anerkannt wird: Dort nimmt sich die Regierung vor, die Anzahl temporärer Kulturresidenzen in urbanen und ruralen Gebieten zu erhöhen. „In Luxemburg fehlt es an Arbeitsorten für Kulturschaffende“, bestätigt Eric Mangen. Außer dem „Creative Hub 1535“ in Differdingen suche man vergeblich nach vergleichbaren Plätzen in Luxemburg. Er hofft auf die Entwicklung von Wiltz zur „ville des ateliers“. Der CSV-DP-Koalition schwebt derweil – laut Regierungsprogramm – gar die Entstehung einer „cité des arts“ vor. Die Umsetzung soll in der laufenden Legislaturperiode analysiert werden; ein möglicher Standort oder eine Frist wird nicht genannt.

Momentan ist die Teilnahme an Residenz-Programmen oft an eine Abschlussarbeit gebunden. Die Bedingung wollen Künstler*innen aufheben, wie aus einem Bericht des Kulturministeriums zu Kunstresidenzen in Luxemburg (November 2024) hervorgeht. Genau das tut das Team von „Dialogue“. Die Residenz richtet sich nach den Bedürfnissen der Bewerber*innen – ein Projekt auf Maß, wenn man so will. In Wiltz soll sowohl die Fotografin auf der Suche nach neuen Motiven als auch der Künstler in der Schaffenskrise Platz finden. „Statt ins Kloster zu gehen, kommst du zu uns“, scherzt Mangen.
Die Vorstellung, freischaffende Künstler*innen hätten genug Zeit, sich ihrem Beruf hinzugeben, sei ein Trugschluss. „Wer seinen Lebensunterhalt mit Kunst verdient, ist auf den Verkauf seiner Werke und Auftragsarbeiten angewiesen“, gibt Mangen zu bedenken. Er nennt die hohen Immobilien- und Mietpreise in Luxemburg; die Schwierigkeit, den Unterhalt für eine Familie aufzubringen. „Der Staat investiert in die Kulturszene, doch die Beihilfen für freischaffende Künstler reichen höchstens für ein WG-Zimmer im Nirgendwo“, sagt er.
Auf Leistung getrimmt
Wer sich an „Dialogue“ beteiligt, erhält deswegen eine Vergütung, gemäß der Tarifempfehlungen der verschiedenen Dachverbände aus dem Kulturbereich. Mangen geht bei dem Thema in die Defensive: „Die öffentliche Debatte über die faire Bezahlung von Kulturschaffenden ist interessant. Oft folgt eine sogenannte ‚Milchmädchenrechnung‘ mit dem Fazit: ‚Du hast einen höheren Stundenlohn als ich!‘ Das sind dieselben Menschen, die bereitwillig über 300 Euro für ein Konzertticket hinblättern. Dass der Veranstaltung ein intensiver Kreationsprozess vorausgeht, der bezahlt gehört, sehen viele nicht ein.“
Zum Projekt
„Dialogue“ ist ein neues Kulturprogramm in Wiltz. Es setzt sich aus wechselnden Residenzorten und einem Ausstellungsprojekt im „Prabbeli“ zusammen. Dort sollen langfristig u.a. die Künstler*innen ihre Werke darbieten, die sich an der Residenz beteiligt haben.
Für das Jahr 2025 wählte das Team von „Dialogue“ die Teilnehmenden an der Residenz selbst aus – der erste Resident ist der Kanadier David Haines, bekannt für großformatige Ölmalereien. In Wiltz wird er sich über sechs Wochen hinweg mit der dortigen Umgebung auseinandersetzen. Er zieht im März nach Wiltz in den ehemaligen Fotoladen „Deltgen“.
Ab 2026 ist die Bewerbung auf die zwei- bis sechswöchige Residenz offen.
Die Eröffnung findet am 31. Januar ab 17.30 Uhr, in Wiltz (35, Grand-rue) statt. Weitere Informationen: dialogue.lu.
Das Team bevorzuge deshalb die faire Entlohnung der Teilnehmenden und versuche, alle weiteren Kosten niedrig zu halten. „Wir werfen kein Geld aus dem Fenster“, sagt Scheer. Auch versuche die Gruppe, auf lokale Akteur*innen zurückzugreifen, wenn es besonderer Geräte o.ä. bedürfe. „Wir schaffen uns keinen eigenen Ofen an, wenn es einen in der Schule gibt“, führt Scheer ein Beispiel an.
In dem Kontext wenden sich Scheer und Mangen erneut den Bedürfnissen der Kunstschaffenden zu. „Wenn ein Kulturbudget bereitsteht, muss ein Teil der Kreation zugutekommen“, fordert Scheer. „Die Politik muss akzeptieren, wenn eine Institution den Großteil ihres Budgets in kreative Prozesse steckt. Es darf nicht ausschließlich um den Konsum gehen.“ Die Eventkultur in Luxemburg habe überhandgenommen; die Kulturhäuser seien auf die Einnahmen angewiesen. „Es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen“, betont er. „Die Philharmonie, das Atelier, das ‚Gudde Wëllen‘ sind genauso wichtig für die Weiterentwicklung der Szene – aber es braucht auch ein Bewusstsein für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kunstschaffenden.“
Fallbeispiel Alborz Teymoorzadeh
Das Interesse daran war 2024 besonders groß, als es um die Ausweisung des iranischen Fotografen Alborz Teymoorzadeh ging: Der Asylantrag des Künstlers wurde vergangenes Jahr abgelehnt, obwohl er sich in Luxemburgs Kulturszene etabliert hat und einen Arbeitsvertrag vorlegen konnte. Im Ablehnungsschreiben wurde der Mehrwehrt seiner Kunst für die Gesellschaft aberkannt. Das sorgte sowohl bei den Oppositionsparteien wie auch in der Kulturszene für einen Aufschrei.
Das Echo hallt nach, denn die Gründungsmitglieder von „Dialogue“ starten ihr begleitendes Ausstellungsprogramm ausgerechnet mit Alborz Teymoorzadeh – eine Schau, die obendrauf von Enrico Lunghi, dem ehemaligen Direktor des Mudam und Unterstützer von Teymoorzadeh, kuratiert wird. Eine gewollte Provokation? „Auf Teymoorzadehs Ausweisung folgte eine Welle der Solidarität“, erinnert Mangen. Scheer thematisiert den kürzlichen Entschluss von Marianne Donven: Sie trat aus Protest gegen Luxemburgs Asylpolitik aus dem „Conseil supérieur de la sécurité civile“ zurück und kündigte als Staatsbeamtin. Scheer und Mangen sind sich deshalb einig: „Das sind Themen, die wir unbedingt aufgreifen müssen.“
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können