Das süße Leben hat seinen Preis – und der ist für Schokolade dieses Jahr deutlich gestiegen. In Deutschland etwa sind die von der Süßwarenindustrie produzierten Weihnachtsmänner je nach Marke und Größe bis zu 50 Prozent teurer geworden. Der Preis für eine Tafel Schokolade lag bereits im Oktober um 9,1 Prozent höher als im Vormonat. Es handelt sich um eine Explosion der Kakaopreise auf dem Weltmarkt. Im April kletterte der von der Internationalen Kakao-Organisation (ICCO) ermittelte Tagespreis mit 12.261 US-Dollar pro Tonne auf einen Rekordwert. Am vergangenen Donnerstag lag er bei 12.102 Dollar, im Vergleich zu rund 4.500 im Vorjahr.
Die Gründe für diesen historischen Preisanstieg liegen in der steigenden Nachfrage bei gleichzeitigem Rückgang der Kakaoproduktion. Ein Ansturm von Hedgefonds beschleunigte den Anstieg. Die Aktienmärkte seien äußerst volatil, was ein stabiles Einkommen für die Produzenten unmöglich mache, erklärt Jean-Louis Zeien, Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg. Dieser ständige Zyklus von steigenden und fallenden Preisen bei zunehmenden Produktions- und Arbeitskosten macht es ihnen unmöglich, von ihrer Arbeit menschenwürdig zu leben, und hält sie in Armut. Dabei müssen sie sich an langfristige Verträge halten, die die aktuellen Preissteigerungen nicht berücksichtigen. Die Preise sind für eine ganze Ernteperiode festgelegt – eigentlich, um die Erzeuger bei sinkenden Preisen zu schützen, was sie aber daran hindert, mit den Kursbewegungen an der Börse Schritt zu halten.
In Ghana etwa legt eine staatlich kontrollierte ghanaische Institution, das „Ghana Cocoa Board“, den Ankaufspreis für Kakao fest. Einerseits schützt dieses System die Produzenten bei einem Preisverfall, andererseits verhindert es, dass die Produzenten von den höheren Marktpreisen profitieren können. Als Ursachen für das knappere Kakaoangebot werden schlechte Ernten infolge von Dürren, Starkregen und Pflanzenkrankheiten in den Kakao-Anbauländern ausgemacht. Den Kunden weltweit scheint es dabei egal zu sein, dass die Schokolade eine im doppelten Sinne bittere Seite hat. Zwar beteuern die großen Konzerne immer wieder, dass ihre Produkte ohne Kinderarbeit hergestellt werden und die Kunden daher ohne schlechtes Gewissen kaufen können. Doch Medienberichten zufolge sieht die Wirklichkeit anders aus: WDR-Journalisten recherchierten in der Elfenbeinküste, während der Schweizer SRF und der US-amerikanische Sender CBS News Nachforschungen in Ghana betrieben. Aus beiden Ländern kommen etwa 70 Prozent des weltweiten Kakaos.
Von den eigenen Eltern verkauft
San Pédro im Südwesten der Elfenbeinküste ist ein Zentrum der Kakao-Industrie. Dort arbeiten von morgens bis abends Minderjährige auf den Plantagen und schlagen die Früchte mit Macheten ab. Die Kakao-Pflücker sind 12 bis 16 Jahre alt oder noch jünger. Etwa 40 Prozent sind Mädchen. Sie stammen aus Nachbarländern wie Burkina Faso und Mali oder aus der Grenzregion zu Ghana – und wurden von ihren Eltern an Vermittler verkauft. Sie können weder lesen noch schreiben, die meisten waren nicht in der Schule. Manche wurden schon mit zehn Jahren auf die Plantage gebracht. Sie haben eitrige Wunden, die sie sich zufügen, wenn die Machete ausrutscht.
Die Farmer wissen: Kinder kosten weniger als erwachsene Arbeitskräfte. Sie zahlen die Vermittler, nichts anderes als Menschenhändler, den Rest bekommen die Eltern. Die Kinder werden für ihre Tätigkeit oft nicht bezahlt. Manche müssen täglich bis zu 14 Stunden arbeiten. Sie ernähren sich von Maniokwurzeln und Ratten. Sie schlafen in fensterlosen Gebäuden auf Holzbrettern oder auf dem nackten Boden. Schokolade haben sie nie probiert. Als einige von ihnen in den Genuss eines Schokohasen kommen, wundern sie sich, dass sie so süß schmeckt.
Die meisten Unternehmen, etwa Branchenriesen wie Nestlé, Mars und Barry Callebaut, haben 2001 ein nach den beiden US-Politikern Tom Harkin und Eliot Engel benanntes Protokoll unterzeichnet, das konkrete Maßnahmen zur Identifizierung und Beseitigung von Kinderarbeit erfordert. Die Ausrede der Farmer lautet, es sei für die Kinder besser auf den Plantagen zu arbeiten, als in den Städten kriminell zu werden. Auch wenn viele Firmen behaupten, sie würden Kakao beziehen, in denen keine Kinderarbeit steckt, arbeiten nach Angaben der in Genf ansässigen und von den großen Schokoladenherstellern finanzierten Organisation International Cocoa Initiative (ICI) mehr als 1,5 Millionen Kinder auf den Kakaoplantagen in Westafrika – eine Zahl, die seit der Covid-Pandemie gestiegen ist.
Ohne Schutz Giften ausgesetzt
Zwar bestätigt die in der ivorischen Hauptstadt Abidjan ansässige regionale ICI-Vertreterin die Kinderarbeit, weist aber darauf hin, dass es „deutliche Verbesserungen“ gebe: Die Kinder müssten zum Beispiel nicht mehr schwere Lasten tragen oder Pestizide versprühen. Dass Letzteres entgegen ihrer Aussage immer noch der Fall ist, zeigte das WDR-Rechercheteam. In dessen Bericht ist zu sehen, wie die Minderjährigen auf der Plantage ohne jeglichen Schutz mit Giften hantieren, die in Europa längst verboten sind. Dabei kommt das Breitbandherbizid Glyphosat zum Einsatz, das alles abtötet. Die Warnung, dass es auf keinen Fall mit der Haut in Berührung kommen darf, wird ignoriert. Der Hinweis, als Gegenmittel Milch zu trinken, ist absurd. Die Folgen im Umgang mit dem Gift sind mindestens Fieber und Kopfschmerzen.
Weil Firmen wie Barry Callebaut große Fabriken in der Elfenbeinküste haben, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie ernst sie ihre Sorgfaltspflicht bezüglich der Menschen- und Umweltrechte nehmen. Auf der Website des genannten Unternehmens ist folgender Hinweis zu lesen: „Nachhaltigkeit ist das Herzstück von Barry Callebaut. Im Jahr 2016 lancierten wir die Strategie ‚Forever Chocolate‘, das nächste Kapitel unseres langjährigen Engagements für den Aufbau einer nachhaltigen Kakao- und Schokoladenlieferkette.“ Die Nachfragen bei anderen Konzernen wie Ferrero, Nestlé oder Lindt & Sprüngli ergaben ähnliche pauschale Antworten wie etwa, dass sie auf Nachhaltigkeit achten und alle Formen von Kinderarbeit „aufs Schärfste“ verurteilen. Auf Interview-Anfragen hin gab es Absagen.
Der zuletzt genannte Schweizer Hersteller nennt das „Lindt & Sprüngli Farming Program“, mit dem er „die Widerstandsfähigkeit der Bäuerinnen und Bauern sowie ihrer Familien stärken sowie nachhaltigere Anbaumethoden fördern“ wolle. Seit dem Start des Programms im Jahr 2008 seien 131.000 Kakaobauern und 990 lokale Mitarbeitende in das Programm eingebunden. Eine Recherche ergab jedoch, dass in der Elfenbeinküste so gut wie niemand das Programm kennt. Dabei suggeriert Lindt & Sprüngli, den gesamten Produktionsprozess „von der Bohne bis zur fertigen Tafel“ zu kontrollieren.
Konkurrenz durch den Goldabbau
Die postkolonialen Strukturen überdauern bis heute in den Kakaolieferketten. Das schlägt sich auch in der Zusammensetzung der Preise nieder: Von einer Tafel Schokolade erhält der Kakaobauer nur sieben Prozent des Preises. Die Kinderarbeit ist nur ein Teil dieser Struktur, die Abholzung des Regenwaldes ein anderer. Etwa fünf bis sechs Millionen Betriebe mit einer Größe von weniger als fünf Hektar produzieren 90 Prozent des globalen Kakaos, verkaufen ihn an Sammelstellen. Von dort werden sie an Händler verkauft und danach von den Verarbeitern erworben. Die Lieferketten sind so komplex, dass es schwer ist, die Ware bis an ihren Ursprungsort zurückzuverfolgen. Manche Kakaobauern verdienen, je nach Anbaufläche, Bodenqualität und Alter der Bäume, etwa zwei bis drei Euro pro Tag, andere fünf bis sechs. Bei sechs Familienmitgliedern macht dies weniger als einen Euro pro Person.
Fairtrade-Lëtzebuerg-Präsident Zeien reiste im Herbst nach Ghana. Er berichtet von einer weiteren Bedrohung für die Kakaokette: „Galamsey ist der Name für den illegalen Goldbergbau, der Wälder und Kakaoplantagen verwüstet. Wo früher Kakao wuchs, hinterlässt der illegale Goldabbau nicht nur quecksilberverseuchten Boden und Wasser, sondern auch eine regelrechte Wüste und Kraterlandschaft, in der künftig weder Kakao noch sonst etwas wachsen kann.“ Dieses Phänomen wurde durch die Ankunft chinesischer Migranten verstärkt, die nach Ghana kamen, um dort Goldminen zu betreiben. Sie führten neue Maschinen und Technologien ein, die die Goldproduktion drastisch erhöhten, auf Kosten der Umwelt – und der Kakaoplantagen.
Die Fairtrade-Bewegung unterstützt nach eigenen Aussagen die Kakaobauern in Westafrika darin, menschenwürdige Lebensbedingungen zu erreichen und eine nachhaltige Produktion zu fördern. Dies zeige sich in einem garantierten Mindestpreis, der als Sicherheitsnetz für die Produzenten fungiere, unabhängig von Wirtschaftskrisen und Schwankungen auf den Weltmärkten, teilt Fairtrade Lëtzebuerg mit. Die Fairtrade-Prämie sei ein zusätzlicher Betrag, den die Produzenten erhalten, um in soziale und ökologische Gemeinschaftsprojekte ihrer Wahl zu investieren, etwa in Schulen, Gesundheitszentren, Trinkwasserversorgung oder den Kauf neuer Geräte in den Kooperativen. Zudem wurden Standards formalisiert. Deren Überprüfung findet durch Audits einer unabhängigen Zertifizierungsstelle statt. Zudem soll mithilfe von Geo-Kartierungen und Entwaldungsüberwachung das Risiko der Entwaldung gemindert werden. Zugleich müssen die Produzenten sicherstellen, dass keine Kinder unter 15 Jahren auf ihren Farmen arbeiten.

De Maart





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