Mittwoch5. November 2025

Demaart De Maart

EditorialDie autoritäre Verführung: Ein liberales Abdriften nach rechts

Editorial / Die autoritäre Verführung: Ein liberales Abdriften nach rechts
Liberal, libertär, ultrabrutal: Javier Milei, selbst ernannter „Anarchokapitalist“, wird zum Vorbild wirtschaftsliberaler Politiker Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Dass Argentiniens Staatsoberhaupt Javier Milei nicht nur durch eine aggressive Kahlschlagpolitik gegen den von ihm gehassten Staat zu Felde zieht, ist bekannt. Und auch, dass der Fan von US-Präsident Donald Trump, der wiederum über den Argentinier behauptet, dieser sei sein „Lieblingspräsident“, eine ultrarechte Politik vertritt. Relativ neu sind dagegen die Lobeshymnen, die der selbsternannte „Anarchokapitalist“, der sich im Wahlkampf gerne mit Kettensäge zeigte, von Liberalen in Europa wie dem deutschen FDP-Chef Christian Lindner bekommt. Dieser zeigte sich von Mileis „Kraft zur Disruption“ angetan und wünscht sich auch für die deutsche Politik „mehr Milei oder Musk“.

Der Begriff ist als eine Art von „schöpferischer Zerstörung“ zu verstehen, was auf den Ökonom Joseph Schumpeter zurückgeführt wird und eine bedenkliche Melange von Wirtschaftsliberalismus und Rechtspopulismus ergibt, die nicht unproblematisch ist. Denn dies zeigt nicht nur die Janusköpfigkeit von Milei, sondern die verdächtige Nähe neoliberalen Gedankenguts zu autoritärem Denken. Dies scheint in jüngster Zeit immer mehr en vogue zu sein und wird u.a. auch von den Verfechtern der von Viktor Orbán propagierten illiberalen Demokratie und anderen Rechtspopulisten vertreten.

Zum einen ist festzustellen, dass der gute alte Linksliberalismus, wie er in Deutschland etwa während der sozialliberalen Koalition von SPD und FDP unter den sozialdemokratischen Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt und in Luxemburg unter Premierminister Gaston Thorn (DP) praktiziert wurde, innerhalb der liberalen Parteien ausgedient zu haben scheint. Zumindest haben ihre übriggebliebenen Vertreter heutzutage keinen guten Stand. Heute gilt vielmehr das politische Begriffspaar „liberal“ in Zusammenhang mit „autoritär“, wie es einst die sogenannten Chicago Boys in Chile unter dem damaligen Diktator Augusto Pinochet pflegten.

Die Nähe von Neoliberalismus und Autoritarismus hat schon der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Biebricher in seinem Buch über die „Politische Theorie des Neoliberalismus“ aufgezeigt und wurde von der FDP zuletzt sichtbar, indem das Ende der deutschen Ampelkoalition als „D-Day“ betrachtet herbeigesehnt wurde. Auch in der Politik des angeblich so liberalen französischen Präsidenten Emmanuel Macron waltet seit jeher ein autoritäres Element. Mittlerweile sind wir schon einen Schritt weiter und ist die Welt weiter nach rechts gerückt. Während der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar wahrscheinlich von CDU-Chef und Unions-Spitzenkandidat Friedrich Merz aus dem Amt gejagt und Macron mehr und mehr von Marine Le Pen und ihrem rechtsradikalen Rassemblement national unter Druck gesetzt wird, scheint es hierzulande unter dem konservativen CEO-Premierminister Luc Frieden mit seinem liberalen Koalitionspartner auf der nach oben offenen neoliberalen Skala noch halbwegs gemäßigt zuzugehen. Der europäische Trend weist jedoch in eine neoliberale wie auch konservative bis autoritäre Richtung. Damit stellt sich die Frage, wie sich die luxemburgische Richtung in Zukunft einordnen lässt.

Selbst sozialdemokratische Regierungen wie die dänische sind nicht vor der autoritären Verführung gefeit. Diese will ihr Land für Geflüchtete so wenig attraktiv wie möglich machen. Das Image Dänemarks ist zwar liberal und „hygge“, also gemütlich. Möglichst ungemütlich soll es aber für Asylsuchende sein. Es gilt für sie die Devise der maximalen Kontrolle, das Ziel lautet „null Asylanträge“. Der Europarat schickte bereits Inspektoren, die befanden: Selbst russische Gefängnisse seien besser als die dänischen Ausreisezentren. Um den dänischen Wohlfahrtstaat zu retten, setzt die Regierung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen eben auf „hygge“ Knäste statt auf Kettensägen.

Guy Mathey
14. Dezember 2024 - 18.05

Absolut gelungene Analyse, der bedrohlichen Realität! Es gilt jetzt alle fortschrittlich und menschenfreundlich gesinnten Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen diese Gefahren anzukämpfen anstatt sich in kleinkarierten Grabenkämpfen zu verzetteln!