Samstag25. Oktober 2025

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PolenEin Jahr Donald Tusk: Vor allem Jungwähler enttäuscht von Mitte-links-Regierung

Polen / Ein Jahr Donald Tusk: Vor allem Jungwähler enttäuscht von Mitte-links-Regierung
Polens Regierungschef Donald Tusk (r.) – hier gestern mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron – hat sein Land wieder in die Mitte der europäischen Bühne gebracht Foto: Wojtek Radwanski/AFP

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Genau vor einem Jahr kam Donald Tusks Mitte-links-Regierung ins Amt. Doch die Aufbruchstimmung nach dem überraschenden Wahlsieg der liberalen Opposition im Oktober 2023 und der von der PiS künstlich um zwei Monate verzögerten Regierungsübernahme ist bei vielen Polen einem Gefühl der Ernüchterung gewichen.

Mehr Polen sind nach einem Jahr Tusk mehr enttäuscht als zufrieden. Laut einer am Donnerstag publizierten Umfrage bewerten 51,4 Prozent der Polen die Tusk-Regierung heute „negativ“ und nur 39,6 Prozent „positiv“. Neun Prozent haben laut Meinungsforschungsinstitut United Survey keine Meinung. Bedenklich sind aber vor allem diese Zahlen: Nur 17 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind heute mit der aus Tusks liberaler Bürgerplattform (PO), dem zentristischen „Dritten Weg“ (3D) und der Vereinigten Linken gebildeten Regierung zufrieden. Tusks Wahlsieg von 2023 war gerade der Mobilisierung dieser politisch bisher wenig aktiven Altersgruppe zu verdanken.

Dies ist vor allem einem Reformstau geschuldet. Tusk konnte nämlich viele seiner Wahlverprechen nicht einhalten. Zwar gelang es dem neuen liberalen Regierungschef sehr schnell, die von Brüssel wegen des Streits über die Rechtsstaatlichkeit mit der rechtspopulistischen PiS-Vorgängerregierung eingefrorenen Mittel zu deblockieren. Damit flossen wieder EU-Transfergelder in der Höhe von 2,7 Prozent des BIP nach Polen. Doch bei vielen, den liberal und links gesinnten Wählern wichtigen weltanschaulichen Fragen scheiterte Tusk.

Auch konnte die Mitte-links-Regierung Anfang des Jahres die Bezuschussung von Invitrobefruchtungen wieder einführen, das unter PiS oft verweigerte Anrecht der Frauen auf Pränatal-Untersuchungen festschreiben und die „Pille danach“ zurück in die Apotheken bringen. Doch im Sejm sind bereits zwei Gesetze zur Liberalisierung des äußerst restriktiven und von PiS weiter verschärften Abtreibungsrechts am Widerstand von konservativen Abgeordneten der Regierungskoalition Tusks gescheitert. Auch weitere Wahlversprechen wie die Entpolitisierung der Gerichte oder eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare lassen sich realpolitisch nicht einlösen.

Einiges ist gelungen

Nicht immer liegt dies an dem von PiS beherrschten Verfassungsgericht oder dem Veto von Staatspräsident Andrzej Duda, der sich als Sachverwalter sämtlicher PiS-Gesetzesnovellen versteht. Vor ein paar Wochen etwa soll gar eine Verwechslung zur Besetzung eines Höchstrichters mit einem in den acht Jahren PiS-Herrschaft gewählten Juristen geführt haben. Dies trotz der Tatsache, dass die 2015-23 unter PiS berufenen „Richter“ weder von Tusks Bürgerplattform noch der EU als solche anerkannt werden.

Gelungen ist dagegen bisher die Abrechnung mit verschiedenen Tricks der PiS, die sich mit Steuergeldern und den Gewinnen der letzten verbliebenen Staatsbetriebe mutmaßlich illegal schwarze Parteikassen verschaffte. Hier sind gleich mehrere Strafverfahren im Gange. Auch gelang es der Regierung, die Inflation von rund 20 Prozent auf 5 Prozent zu drücken und das Wirtschaftswachstum gegenüber dem letzten PiS-Regierungsjahr auf 3,2 Prozent im zweiten Quartal 2024 zu verfünffachen. Zudem wurden die von der Kaczynski-Regierung zunehmend entmachteten Gemeinden wieder gestärkt.

Außenpolitisch haben Tusk und sein Außenminister Radoslaw Sikorski Polen von der Peripherie, in der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynskis großes Vorbild Viktor Orban immer noch verharrt, mit bisher großem Erfolg wieder zurück ins Zentrum Europas geführt.

Macron in Warschau

Davon zeugte am Donnerstag auch der in letzter Minute anberaumte Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der in Warschau für seine Initiative einer europäischen Friedenstruppe für die Ukraine warb. Dieser soll laut dem Willen des französischen Staatspräsidenten neben seinem eigenen Land vor allem auch Polen, Großbritannien und Deutschland angehören. Macron will damit dem politisch unkalkulierbaren US-Präsidenten Donald Trump idealerweise noch vor dessen Amtsantritt am 20. Januar in Washington ein konstruktives europäisches Projekt für einen Frieden in der Ukraine präsentieren können. Tusk sagte nach dem Treffen mit Macron allerdings, die Entscheidung, polnische Truppen in die Ukraine zu schicken, sei noch nicht gefallen. „Sie fällt bei uns in Warschau und nur hier“, versprach Tusk den Polen. „Wir haben eine gemeinsame Sicht der Zukunft der Ukraine, wir sprechen mit einer Stimme: Es gibt keine Sicherheit für die Ukraine ohne die Ukrainer – so wie es in Europa keine Sicherheit ohne die Europäer gibt“, sagte Macron vor der Presse.