Zum einen dürfte sich erst im Lauf der Monate herausstellen, inwieweit der ambitionierte Haushalt der neuen Schatzkanzlerin Rachel Reeves tatsächlich ein neues Investitionsklima schafft und der Insel das lang ersehnte stetige Wachstum beschert. Zum anderen steht Reeves’ zweites strategisches Ziel, nämlich die Stabilität von Wirtschaft und Märkten, durch einen mächtigen Außenfaktor auf dem Spiel: die im Januar beginnende zweite Amtszeit des US-Berserkers Donald Trump.
Die Angst vor den geplanten Einfuhrzöllen des größten britischen Handelspartners führte nach Trumps Wahl sofort zu einer Abwertung des Pfundes. Die Investmentbank Goldman Sachs reduzierte ihre Wachstumsprognose 2025 für die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt von 1,6 auf 1,4 Prozent. Der anerkannte Thinktank NIESR ging schon zuvor von lediglich 1,2 Prozent Wachstum aus, gefolgt von beinahe ebenso mageren 1,4 Prozent im Folgejahr 2026. Sollte die neue US-Administration ihre Zoll-Ankündigungen vollständig umsetzen, käme es im kommenden Jahr sogar zu einem Absturz auf lediglich 0,4 Prozent, warnt NIESR-Ökonom Ahmet Kaya.
In Rachel Reeves’ ohnehin knapper Staatskasse würden dann 21,5 Milliarden Pfund fehlen – keine Summe, die sich aus der Portokasse bezahlen ließe, zumal die Finanzministerin mit Hinweis auf eine ähnlich große Defizit-Hinterlassenschaft der konservativen Vorgängerregierung gerade erst ein gewaltiges Paket aus Steuererhöhungen und gleichzeitig geplanten staatlichen Investitionen geschnürt hat. Dessen Auswirkungen könnten, jedenfalls dem Gezeter von Firmen und Lobbygruppen zufolge, die Neigung vieler Kleinunternehmer zur Einstellung neuer Arbeitskräfte deutlich verringern.
Sollte Reeves angesichts dieser Herausforderungen ein wenig verzagt sein, so lässt sich dies die erste Frau als Leiterin des mächtigen Finanzministeriums nicht anmerken. In der alljährlichen Schatzkanzler-Rede im Mansion House am Herz der City of London sang die Labour-Politikerin Mitte November das Hohelied des Freihandels. „Freie und offene Märkte machen unsere Länder reicher“, teilte Reeves den versammelten Bankern, Brokern und Asset-Managern mit. Auch sei das Vereinigte Königreich in eventuellen transatlantischen Streitereien „kein passiver Akteur“. Tatsächlich sind die beiden Volkswirtschaften eng miteinander verflochten: Britische Unternehmen beschäftigen rund zwei Millionen Amerikaner, etwa genauso viele Menschen wie auf der Insel bei US-Firmen in Lohn und Brot stehen. Der bilaterale Handel hat einen Gesamtwert von umgerechnet 373 Milliarden Euro.
Brexit: Abwanderung von Jobs war begrenzt
Das Finanzzentrum City hatte in weiser Voraussicht schon im vergangenen Jahr je ein Informationsbüro in New York und Washington eröffnet. Im Vergleich zur Besorgnis über Washingtons Neuorientierung ist das Verhältnis zur EU nach dem Brexit in den Hintergrund gerückt. Im kommenden Jahr sollen Regierungsgespräche über ein neues Handels- und Kooperationsabkommen beginnen. Aus Sicht des wichtigsten internationalen Finanzzentrums der Welt sind dabei keine unangenehmen Überraschungen zu erwarten. Die Abwanderung von Jobs nach Dublin, Amsterdam, Paris und Frankfurt hielt sich in engen Grenzen, London dominiert unangefochten den Markt für Regierungsbonds sowie 40 Prozent des Währungshandels weltweit.
Mehr als über die europäische Konkurrenz macht man sich im Büro des Lord Mayor der City – ein ins Jahr 1189 zurückreichendes Ehrenamt – Sorgen über ein näherliegendes Problem: Weiterhin arbeiten viele der Marktteilnehmer im Homeoffice. Das stellt Gewerbe-Vermieter ebenso vor Schwierigkeiten wie die Einzelhändler in der Finanzmeile, weiß Michael Mainelli, der bis November für ein Jahr als Lord Mayor amtierte. Während sich mittwochs und donnerstags im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie 15 Prozent mehr Menschen in der City aufhalten, ist das Finanzmarktzentrum montags, vor allem aber freitags weitgehend ausgestorben.
Weil der Finanzsektor weiterhin knapp zehn Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschafte, droht der City von der Labour-Regierung wenig Gefahr. Wie unter den konservativen Vorgängerregierungen dürfte die Londoner Finanzaufsicht auch weiterhin unter einem Mangel an Personal und Mut, vor allem aber politischer Rückendeckung leiden. Schon hat Finanzministerin Reeves der Finanzombudsmann-Behörde FOS eine „Modernisierung“ verordnet, um „mehr Klarheit für Konsumenten und Unternehmen“ zu schaffen.
Unruhe unter City-Banken
Grund dafür ist die wachsende Unruhe unter City-Banken, die sich von robusten FOS-Entscheidungen ungerecht behandelt fühlen. Barclays ist deshalb bereits vor den High Court gezogen.
Im Kern geht es um die Mauschelei zwischen den Händlern und ihren Banken auf dem Rücken ahnungsloser Autofahrer, deren Kaufpreise durch Provisionen in die Höhe getrieben werden. Die Beschwerden darüber sind zuletzt um beinahe das Fünffache angestiegen. Für die Finanzindustrie steht das Menetekel des Kreditversicherungsskandals am Horizont: Jahrelang wurden Millionen von Briten teure und gänzlich unnötige Versicherungen aufgeschwatzt und damit Milliarden verdient. Erst mehrere höchstrichterliche Urteile zwangen die Banken zur Zahlung von Entschädigungen im Gesamtwert von rund 50 Milliarden Pfund (60 Mrd. Euro).
Wie von der Regierung dürfen die Aufseher auch vom Parlament keine Hilfestellung erwarten, eher das Gegenteil. Ende November stellte der zuständige Ausschuss von Unter- und Oberhaus der mächtigen Finanzaufsicht FSA ein verheerendes Zeugnis aus. Die Behörde leide an „sehr erheblichen Schwächen“, ihr Umgang mit Betrugsopfern und Whistleblowern sei „höchstens inkompetent, schlimmstenfalls verlogen“. Zu häufig werde zu langsam agiert, die Führungsebene verhalte sich, als sei sie niemandem Rechenschaft schuldig.
De Maart
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