Donnerstag30. Oktober 2025

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KäerjengEin Stück Geschichte wird demontiert: Rathaus, alte Post und zwei Wohnhäuser machen Platz

Käerjeng / Ein Stück Geschichte wird demontiert: Rathaus, alte Post und zwei Wohnhäuser machen Platz
Die Tage des Rathauses von Käerjeng sind gezählt Foto: Editpress/Alain Rischard

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Anfang nächsten Jahres sind die Tage des Käerjenger Rathauses endgültig gezählt. Das 1961 eingeweihte Gebäude wird dann abgetragen. Der frühere Gemeindesekretär Marcel Metzler erinnert sich.

„Eragoen“ steht auf der gläsernen Eingangstür, die sich automatisch öffnet. Der Besucher gelangt in einen Zwischenraum neben einer mit Plakaten geschmückten Wand und steht wieder vor einer Glastür, die sich automatisch öffnen soll, was aber nicht immer klappt … ein Schritt zurück und es funktioniert.

Das Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre gebaute Rathaus mit dem markanten K an der Fassade wird Anfang 2025 demontiert. Absoluter Platzmangel, besonders nach der Fusion mit Küntzig, und immer neue Aufgaben für die Gemeinde bedingten, dass verschiedene Dienste bereits in anderen Gebäuden oder Containern untergebracht wurden. Trotz Renovierungsarbeiten in den Jahren 2011 und 2012 wurde in der Ratssitzung vom 16. Juli 2024 der Bau eines neuen Rathauses einstimmig beschlossen. Ein neues Haus im Passivbau für 32,5 Millionen Euro wird das jetzige ersetzen.

Die Architektur des Gebäudes prägte zusammen mit der noch nicht so alten, aber verlassenen Post die rue de l’Eau, auch „Gänsegaass“ genannt. Die Abrissbirne für die Post und zwei leerstehende Wohnhäuser, die an den aktuellen Parkplatz grenzen, sowie Demontagespezialisten fürs Rathaus stehen jedenfalls bereit. Das Rathaus habe keine große Geschichte, erzählt man, doch wer genauer hinsieht, dem fällt doch einiges auf. Das Grundstück wurde 1956 vom damaligen Bürgermeister Nic Meyers gekauft, vorher stand dort das Gebäude „a Schmullen“ des Anwesens der Familie Lasar. Der Preis für die 20 Ar betrug 650.000 Franken.

Im Jahr 1958 beschloss der Gemeinderat, die neue „Mairie“ zu bauen. Die Architekten waren Jean Lammar und Paul Luja. Der Unternehmer Nangeroni aus Petingen war für die Bauarbeiten verantwortlich. Kostenpunkt: rund sechs Millionen Franken.

Bürgermeister Robert Steichen legte 1959 in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste den Grundstein, bevor eine in lateinischer Sprache verfasste Urkunde eingemauert wurde. Knapp zwei Jahre später, am 25. Juni 1961, konnte das neue Rathaus eingeweiht werden. In seiner Rede erinnerte der anwesende Minister Pierre Grégoire an die Rolle der Gemeinde, Kirche und Schule, die Kinder zu Bürgern und Patrioten zu erziehen. 

Keine markanten Ereignisse, oder?

Und die Geschichte des Hauses? Es gäbe keine markanten Ereignisse, wird erzählt. Ein Besuch bei Marcel Metzler widerlegt das. Metzler war 28 Jahre lang Gemeindesekretär. Der 89-Jährige mit klarem Blick und fester Sprache hat so manche Geschichten zu erzählen.

Diese Bürgermeister arbeiteten im Rathaus

Robert Steichen war 29 Jahre lang Bürgermeister der Gemeinde Bascharage. Jos Thill ist wohl die Person, die am längsten in der aktuellen „Mairie“ tagte. Insgesamt 39 Jahre war Thill politisch aktiv. Von 1982 bis 1990 und von 2000 bis 2021 war er im Gemeinderat, von 1990 bis 1994 Schöffe und von 1994 bis 1999 Bürgermeister. Jos Thill ist Ehrenbürgermeister der ehemaligen Gemeinde Bascharage.
Die Bürgermeister:
1958-1987: Robert Steichen
1988-1990: Marcel Gillen
1990-1994: André Siebenbour
1994-1999: Jos Thill
1999-2007: Jean Christophe
2007-2009: Jeannot Halsdorf
seit 2010: Michel Wolter

Ursprünglich befand sich die Gemeindeverwaltung im Obergeschoss der Claus-Cito-Schule, erzählt er. Nach dem Umzug in das neue Rathaus bot dieses anfangs so viel Platz, dass sogar Büros an die Petinger Steuerverwaltung und an die Staatssparkasse vermietet wurden. In einem Anbau befanden sich die Wohnungen des Steuereinnehmers und einer Sozialarbeiterin, die auch für die Säuglingsfürsorge zuständig war.

Schöffe Klein aus Linger habe ihn 1962 dazu gebracht, Gemeindesekretär zu werden, so Metzler weiter. Zuvor habe er einen langweiligen Job in einer Behörde in Esch/Alzette ausgeübt. Auf seinem neuen Posten in der Gemeinde Bascharage musste er noch die Abrechnungen vom neuen Gebäude erledigen. Als er seinen Dienst antrat, gab es nur zwei Beamte und er übernahm das Sekretariat von Jos Origer. Jang Schiltz war sein Wegwärter. „Wir hatten insgesamt fünf Arbeiter“, erzählt er.

In diesen Jahren musste die Gemeinde immer nur Schulen bauen, da die Bevölkerungszahl förmlich explodierte

Marcel Metzler, Früherer Gemeindesekretär

„In diesen Jahren musste die Gemeinde immer nur Schulen bauen, da die Bevölkerungszahl förmlich explodierte“, erinnert sich Metzler. Auch bat der damalige Bürgermeister den Gemeindesekretär, die Berichte von den Gemeinderatssitzungen doch bitte an die Presse weiterzuleiten. Dazu habe er aber keine Zeit gehabt, sagt Metzler, und so schickte er den gleichen Bericht an alle Zeitungen. Bis sich eine Zeitung beschwerte, das würde so nicht gehen. Danach sei das kommunale Infoblatt geschaffen worden.

Die Bevölkerungszahlen

1659: 40 Einwohner
1813: 1.000 Einwohner
1821: 1.047 Einwohner
1946: 2.200 Einwohner
1965: 3.000 Einwohner
1981: 4.527 Einwohner
2024: 11.156 Einwohner

Die Gemeinde Bascharage fusionierte im Mai 2011 mit der Gemeinde Küntzig und wurde zur „Gemeng Käerjeng“.

Bereits 1988 sollte das Rathaus umgebaut werden, doch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der damaligen CSV/DP-Mehrheit sei es nicht dazu gekommen. Dort, wo später die Post gebaut wurde, habe die Hebamme gewohnt, erzählt Metzler. Die alte Post in der Poststraße in Niederkerschen sei nicht mehr zeitgemäß gewesen und so wurde sie mit dem Grundstück neben dem Rathaus getauscht. Die Familie wurde in die alte Post umgesiedelt, das Haus neben dem Rathaus abgerissen und die Post neu gebaut. Das Gebäude steht nun bereits seit über zehn Jahren leer, da die Post ins Einkaufszentrum in Bascharage verlegt wurde. Das Postgebäude, das von der Gemeinde gekauft wurde, soll nun ebenfalls abgerissen werden.

Als der Bürgermeister mich mit ,Här Metzler‘ als Sekretär vorstellte, meinte der Großherzog, da würde der Beruf nicht zum Namen passen

Marcel Metzler, Früherer Gemeindesekretär

Metzler erinnert sich aber auch an andere Anekdoten. Zum Beispiel als Großherzog Jean in der Gemeinde empfangen wurde. „Als der Bürgermeister mich mit ,Här Metzler‘ als Sekretär vorstellte, meinte der Großherzog, da würde der Beruf nicht zum Namen passen“, erzählt Metzler lachend. Großherzog Jean besuchte die lokalen Betriebe mit einem abschließenden Empfang in der Bofferding-Brauerei. „Dort hatten wir die Anweisung, dass wir uns in Anwesenheit vom Großherzog nicht setzen durften … es war ein langer Abend“, erzählt Marcel Metzler.

Ansonsten kann sich der frühere Gemeindesekretär kaum an prominente Besucher erinnern. Er wisse noch, dass der amerikanische Botschafter empfangen wurde – wer und wann es genau war, könne er aber nicht mehr sagen, nur so viel: „Als er nach dem Essen ,liquid sugar‘, also Branntwein, nahm, um seinen Kaffee zu süßen, staunte seine Gattin nicht schlecht.“

„Ein echter Dorfskandal“

„Eine Zeit lang hatten wir an jedem Freitagabend einen Empfang mit Ehrenwein“, erzählt Metzler. „Dat war ëmmer eng Kludder.“ Bürgermeister Robert Steichen habe im Krieg Männer über die Grenze gebracht und sei später dafür in drei verschiedene Konzentrationslager gekommen. Nachdem der Nazischrecken vorbei war, habe Streichen fast sämtliche Resistenzorganisationen in der Gemeinde empfangen.

Das war das Jahr 1961

– Im Jahre 1961, in dem das Rathaus eingeweiht wurde, war die Regierung Werner/Schaus 1 im Amt.
– Im selben Jahr war Luxemburg Gründungsmitglied der OECD.
– Der französische Chansonnier Jean-Claude Pascal gewann in Cannes für Luxemburg den „Grand Prix Eurovision de la chanson“ mit dem Lied „Nous les amoureux“.
– 10.000 Zwangsrekrutierte demonstrierten in der Stadt Luxemburg gegen das geplante deutsch-luxemburgische Wiedergutmachungsgesetz.
– Erbgroßherzog Jean wurde „Lieutenant-Représentant“.
– Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltall.
– Luxemburg gewann im Fußball 4:2 gegen Portugal (drei Tore von Ady Schmit).

Viel mehr könne er nicht erzählen, außer einer „affaire croustillante“, sagt Metzler schmunzelnd: „Das war so: In den Wohnungen im angebauten Gebäude lebten auch drei Ordensschwestern. Unser emsiger Pfarrer tröstete eine der Schwestern derart, dass sie ein Kind bekam. Das war ein echter Dorfskandal. Ich musste beiden einen Brief schreiben, sie sollten doch weggehen.“

Gasty G., einer der wenigen echten Käerjenger, dessen Familie seit Jahrhunderten in der Gemeinde wohnt, hat weitere Erinnerungen an das Rathaus. Als Junge wurde er regelmäßig von seinen Eltern in den Keller des Rathauses geschickt, um Fische bei „Tixe Rosch“ zu kaufen. Marcel Metzler bestätigt die Geschichte: „Ja, da war tatsächlich ein Fischverkauf.“ Der Einnehmer Roger Tix habe damals besser Zeit gehabt als er selbst, um den Fischhandel zu betreiben.

Ebenfalls im Keller befindet sich ein Transformator der nationalen Stromversorgungsgesellschaft Creos, der noch vor dem Abriss eine neue Bleibe finden muss. Das Gebäude wird einen sanften Tod haben, es wird nach einem „Re-use“-Konzept demontiert. Derzeit wird nach einer Lösung gesucht, um unter anderem Türen, Lampen oder Fenster des 2011 renovierten Gebäudes an mögliche Interessenten weiterzugeben. Die Zukunft der Glasmalerei, auf der die Kirchen der Gemeinde zu sehen sind, ist derweil ungewiss.