Xavier Bettel wedelt auf dem Dach einer Schule mit einem Buch in einem rosa Einband und palästinensischer Flagge drauf. Es ist ein Lehrbuch für palästinensische Kinder in einer Schule in Ramallah, die der Luxemburger Außenminister am Mittwoch besucht hat. „Machen Sie es den Israelis nicht so leicht“, sagt er, während er im Buch blättert und an mehreren von den Israelis markierten Stellen kurz innehält. Sie – damit sind die Verantwortlichen des UN-Palästinenserhilfwerkes gemeint, die in der Westbank Schulen und Krankenhäuser betreiben. Vorerst noch, denn: Anhand zweier Gesetze will Israel die Arbeit der UNRWA ab kommendem Jahr auf israelischem Territorium verbieten. Für die 800 Schülerinnen würde dies bedeuten, dass sie ab dem 1. Januar 2025 keine Schule mehr besuchen können.
Für die Palästinenser ist die UNRWA überlebenswichtig, für die Israelis gilt sie als Propaganda-Werkzeug der Hamas. Ein Kommentator in der Tageszeitung Jerusalem Post sieht in dem UN-Hilfswerk sogar einen Proto-Staat, der die israelische Existenz seit 75 Jahren untergrabe. „Gaza wurde in einem weiteren Krieg zerstört, weil die UNRWA uneinsichtig war, diesen Konflikt zu beenden und Flüchtlinge als Werkzeug gegen Israel zu benutzen“, schreibt der langjährige Analyst der Jerusalem Post Seth Frantzman. Ob beim Empfang in der Knesset überhaupt jemand offene Ohren hatte für Außenminister Xavier Bettels Mission für ein Weiterbestehen der UNRWA?

„Ich habe ihnen erklärt, dass ihre Entscheidung eine sehr einseitige israelische Entscheidung ist“, sagt Bettel nach dem Treffen mit dem Knesset-Präsidenten Amir Ohana am Mittwochmorgen. Ohana ist Mitglied der Likud-Partei, der auch Regierungschef Benjamin Netanjahu angehört. Mit einem Verbot würde die Situation auf Seiten der Palästinenser in puncto Gesundheit und Bildung unmöglich gemacht werden. „Sie haben mir jedoch auch Material an die Hand gegeben – darunter ein Schulbuch, in dem eine Person vorkommt, die für den Tod vieler Israelis verantwortlich ist“, erklärt Bettel. Mit dem Buch wird er später die UNRWA-Verantwortlichen konfrontieren. Jetzt aber müsse es schnell gehen. „Wenn in 90 Tagen keine Lösung da ist, haben wir einer menschlichen Katastrophe zugeschaut.“
Treffen in Ramallah
Nach dem Treffen mit dem Knesset-Präsidenten macht sich der Tross der Luxemburger Delegation auch schon auf Richtung Ramallah im Westjordanland. Am Checkpoint Bitunya, der eigentlich nur für den Warenverkehr gedacht ist, wird der Konvoi umsteigen, von schwarzen Limousinen und Minivans mit israelischen Nummernschildern auf schwarze Limousinen und graue Geländewagen mit palästinensischen Nummernschildern. Dann geht es mit palästinensischer Polizeieskorte auch schon weiter. Der Premier- und Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde Mohammed Mustafa wartet bereits.

Xavier Bettels Stil – er wurde vom israelischen Gegenüber in der Knesset als „direkt“, jedoch ehrlich eingestuft, wenn man den Aussagen des Luxemburger Chefdiplomaten Glauben schenken kann. Ähnlich kommentiert Bettel sein Treffen mit Premierminister Mohammed Mustafa von der Palästinensischen Autonomiebehörde. „Ich bin nicht hergekommen, um Komplimente zu verteilen oder zu erhalten“, meint Bettel im Anschluss. „Ich bin hergekommen, um Probleme zu thematisieren, damit es der Zivilbevölkerung nachher besser geht.“
Nach dem Treffen mit beiden Seiten ist Bettel angesichts eines möglichen Waffenstillstandes dann etwas hoffnungsvoller gestimmt, als noch zu Reisebeginn. „Ich habe das Gefühl, dass ein Waffenstillstand möglich ist“, sagt Bettel. Auch hinsichtlich der Freilassung israelischer Geiseln sehe er Fortschritte. Die Hamas und Hisbollah bezeichnet Bettel zudem als „Drecksäcke“.
„Alternativlos“

Ob oder inwiefern ein möglicher Waffenstillstand auch der Arbeit der UNRWA zugutekäme, bleibt abzuwarten. Bis dahin wollen die Verantwortlichen alles tun, damit die UNRWA weiterhin ihrer Arbeit nachgehen kann. „Wir leisten einen wesentlichen Beitrag zur Stabilitätslage in der Westbank“, meint der aus Koblenz stammende Direktor der UNRWA für die Westbank, Roland Friedrich. „Seit dem Angriff der Hamas des 7. Oktobers und dem Ausbruch des darauffolgenden Krieges hat sich die Sicherheitslage extrem verschlechtert.“ Die geplante Gesetzgebung in Israel bereitet dem UNRWA-Direktor demnach große Sorgen. „Sie würde unsere Arbeit in der Westbank weitestgehend unmöglich machen“, sagt Friedrich. Zudem würden viele Palästinenser befürchten, dass mithilfe dieser Gesetze politische Tatsachen geschaffen würden. Der UNRWA-Direktor spricht von einem „möglichen Entgleiten“ der Situation, sollten die Gesetze in Kraft treten.

Auch Friedrich wird später auf dem Dach der Schule von Xavier Bettel mit dem Lehrbuch der palästinensischen Kinder konfrontiert. Die Lehrbücher, erklärt Friedrich später gegenüber den anwesenden Journalisten, würden nicht von der UNRWA gestellt. „Wir nehmen die Lehrbücher und Lehrpläne des jeweiligen Landes, in dem wir tätig sind“, sagt Friedrich. Auch würden jährliche Qualitätskontrollen durchgeführt, Neutralitätsverstöße geprüft und das Lehrpersonal geschult werden. „Anstoßpunkte sind jedoch oft politische Fragen wie der Grenzverlauf oder auch wie Israel in den Lehrbüchern bezeichnet wird“, sagt Friedrich. Fakt sei jedoch auch, dass die Palästinenser unter militärischer Besatzung leben würden und demnach trotz Anregungen zu kritischem Denken mit einer klaren Realität konfrontiert seien.
Tatsächlich sind auf dem Dach der Schule, auf der Bettel die UNRWA-Verantwortlichen konfrontiert, israelische Siedlungen in Sichtweite. Sie überblicken von einem Hügel aus ein palästinensisches Flüchtlingslager mit rund 9.000 Personen. „Die UNRWA ist nicht perfekt, das muss ich euch leider so sagen“, sagt Bettel an seine Gesprächspartner der UNRWA gewandt. Sie hätten noch einiges an Arbeit vor sich. Im direkten Gespräch mit den Journalisten fügt er noch an: „Sie ist jedoch alternativlos.“
MSF Luxembourg
„Médecins sans Frontières Luxembourg“ hat das israelische Verbot der UNRWA als „unmenschliches Verbot einer lebenswichtigen humanitären Hilfe“ bezeichnet. MSF fordert Bettel demnach auf, „Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit sie ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe gewährt, einen Waffenstillstand durchsetzt und die andauernde Zerstörungskampagne in Gaza beendet.“
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