Winter 2012. Die Radsportler bereiten sich auf die neue Saison vor. In Luxemburg steht der Radsport seit Jahren hoch im Kurs. Im Sommer davor schlossen die Brüder Andy und Fränk Schleck die Tour de France auf den Plätzen zwei und drei ab. Wenig Beachtung erhält der Damenradsport. „Die Frauen waren das Stiefkind des Sports“, sagt Michel Zangerlé, langjähriger Trainer von Christine Majerus, rückblickend. Dabei sah es zu dem Zeitpunkt noch danach aus, als könnte Luxemburg drei Fahrerinnen nach London zu den Olympischen Spielen schicken.
Majerus feierte gerade ihren Durchbruch, doch nur wenige bekamen es wirklich mit. „Vereinzelte Leute wissen, wie gut unsere Ergebnisse sind, aber die machen noch lange keine Mehrheit aus“, so die damals 25-Jährige im Interview mit dem Tageblatt. Es war eine Zeit, in der Majerus und auch andere talentierte Fahrerinnen nicht den Eindruck hatten, dass wirklich an sie geglaubt wird. „Ich denke, unsere Generation hat einiges für den Damenradsport gemacht“, sagt die ehemalige Radsportlerin Chantal Hoffmann heute. „Wir hatten aber auch Glück, dass wir mit Christine die ideale Vorkämpferin hatten“, so Hoffmann.
Sie macht keine halben Sachen, das entspricht nicht ihrem Charakter
Dabei sah es zu Beginn nicht unbedingt danach aus, als würde Majerus die Rolle der Leaderin im Kampf um Gleichberechtigung einnehmen. Auf die mangelnde Wertschätzung angesprochen, meinte sie 2012 im Tageblatt: „Ich mache mir jetzt aber darüber keine Gedanken mehr, das bringt nichts, man lässt zu viel Energie liegen.“

Rückblickend muss man heute sagen, dass es wohl wenige Sportlerinnen gibt, die in ihrer Karriere so viel für die Gleichberechtigung der Frauen getan haben wie Christine Majerus. „Sie macht keine halben Sachen, das entspricht nicht ihrem Charakter“, sagt Zangerlé. Letztendlich ging es um zwei Dinge: Anerkennung und Gerechtigkeit. Majerus investierte viel, um die ihr zustehende Anerkennung zu bekommen. Nach jedem Rennen schickte sie Pressemitteilungen an die Medien, damit zumindest ein wenig über ihre Leistungen berichtet wurde. Bei männlichen Radprofis eines ähnlichen Niveaus wäre dies undenkbar gewesen.

Gutes Feeling
In einem gemeinsamen Tageblatt-Interview aus dem Jahr 2017 nahmen die drei Radsportlerinnen Majerus, Chantal Hoffmann und Elise Maes die Medien in die Pflicht. „Ab einem gewissen Niveau müsste es eigentlich überflüssig sein, dass man als Sportlerin noch eine Pressemitteilung über den Rennverlauf herausschicken muss“, sagte Majerus damals. Während des Interviews sah man schnell, wie aufbrausend sie werden kann, wenn sie Ungerechtigkeiten verspürt. Ob bei der Bezahlung, der Förderung oder eben der Medienpräsenz, Majerus legte während ihrer Karriere immer wieder den Finger in die Wunde. So war ihre Freude auch riesig, als es 2021 endlich erstmals ein Damenrennen bei Paris-Roubaix gab. Aber auch während eines Momentes der Freude vergaß die Luxemburgerin ihren Gerechtigkeitssinn nicht: „Es gibt noch genug andere Rennen, die wir verdient hätten, zu fahren. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir noch nicht bei der Gleichberechtigung angekommen sind“, sagte sie nach der Aufnahme von Paris-Roubaix femmes in den Radsportkalender.
Ich bin mir nicht sicher, ob Christine überhaupt einschätzen kann, wie viel sie für den Frauensport in Luxemburg getan hat
Zu dem Zeitpunkt war Majerus längst in der Weltspitze angekommen und wusste ihre Popularität zu nutzen. Ob in Interviews, Podiumsdiskussionen oder in direkten Gesprächen, Majerus machte jungen Radsportlerinnen immer wieder Mut, sich nicht von ihrem Weg abringen zu lassen. „Sie hat ein ungemein gutes Feeling dafür, wann und wie sie etwas sagen soll. Mit dieser Eigenschaft verschaffte sie sich immer wieder Gehör“, sagt Chantal Hoffmann.
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Von diesem Talent profitierte Majerus bei anderen Gelegenheiten. Sie ist eigentlich eine untypische Hochleistungssportlerin. „Sie hat nicht immer nur über Radsport gesprochen“, sagte ihr Sportlicher Leiter Danny Stam bereits im zweiten Teil der Tageblatt-Serie. Majerus hat noch andere Interessen abseits des Radsports. So veröffentlichte sie gemeinsam mit Catherine Anen das Kinderbuch „E Vëlo fir de Muli“, in dem Majerus für die Illustrationen zuständig war. Man kann sie durchaus als kreativen Kopf bezeichnen. Zuletzt brachte sie ein Memory-Spiel unter dem Namen „Depart … lass!“ heraus. Auch in ihrer kreativen Arbeit spielt der Sport eine wesentliche Rolle und sie versucht, zumindest indirekt Kindern den Spaß an der Bewegung zu vermitteln.
Etwas zurückgeben
Der Sport hat Majerus einiges gegeben und sie hat nie die Menschen vergessen, die zu ihrem Erfolg beigetragen haben. Das zeigt sich zum Beispiel in ihrem Engagement für die Armee. Ohne die Aufnahme in die Sportsektion und die damit verbundene finanzielle Absicherung hätte die Radsportlerin wohl nicht die gleiche Karriere hinlegen können. „Sie hat der Armee enorm viel zu verdanken und dessen war sie sich immer bewusst. Sie hat keine Gelegenheit verpasst, um die Armee in der Öffentlichkeit zu vertreten“, sagt Zangerlé. Aus dem Grund wird Majerus am 16. November auch noch einmal im Trikot der Armee an den Start des Cyclocross-Rennens in Diekirch gehen.

Ihre Popularität nutzte Majerus aber nicht nur im Kampf für Gleichberechtigung oder dafür, junge Menschen für den Sport zu begeistern. Sie startete auch soziale Projekte und sammelte Geld für einen guten Zweck. Michel Zangerlé beschreibt sie als sehr großzügigen Menschen. Im Vorfeld der Cyclocross-Weltmeisterschaft in Beles verkaufte sie T-Shirts und spendete den Erlös an die „Fondation Kim Kirchen“. 2019 häkelte sie Mützen. Die „Bobble Hats“ hatten enormen Erfolg und Majerus musste 120 Stück häkeln. Heraus sprangen über 4.000 Euro für die Ausbildung eines Assistenzhundes. „Ich sehe es nicht unbedingt als meine Pflicht an, aber ich würde es schade finden, wenn ich meine Medienpräsenz nicht nutzen würde, um etwas Gutes zu tun“, so Majerus. Der Sport habe ihr so viel gegeben, dass sie gerne etwas zurückgebe. Zurückgegeben hat sie einiges. „Ich bin mir nicht sicher, ob Christine überhaupt einschätzen kann, wie viel sie für den Frauensport in Luxemburg getan hat“, fragt sich Chantal Hoffmann.
Eine Karriere in sechs Etappen
Zum Karriereende von Christine Majerus am kommenden Sonntag blickt das Tageblatt in einer sechsteiligen Serie auf verschiedene Aspekte der Karriere der Radsportlerin zurück:
1. Etappe (8. Oktober 2024): Die Anfänge
2. Etappe (9. Oktober 2024): Der Weg an die Weltspitze
3. Etappe (10. Oktober 2024): Die Liebe zum Cyclocross
4. Etappe (11. Oktober 2024): Ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit
5. Etappe (12. Oktober 2024): Reaktionen von langjährigen Wegbegleitern
6. Etappe (14. Oktober 2024): Das große Interview
Simac Tour: Majerus bereitet nächsten Wiebes-Sieg vor
SD Worx Protime hat bei der Simac Ladies Tour (2.WWT) den zweiten Sieg durch Lorena Wiebes gefeiert. Die Europameisterin setzte sich nach einer starken Vorarbeit ihres Teams, an der auch Christine Majerus beteiligt war, im Sprint vor Elisa Borghini (Lidl-Trek) und ihrer Teamkollegin Lotte Kopecky durch. Majerus rollte nach erledigter Arbeit als 21. mit 14 Sekunden Rückstand ins Ziel. In der Gesamtwertung führt weiterhin Zoe Backstedt (Canyon//SRAM Racing), die das Zeitfahren auf der ersten Etappe gewann. Majerus belegt in der Gesamtwertung Platz 19 auf 1:14 Minute. Das Rennen endet am Sonntag.
De Maart

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