Der „Neustart“ ist zum geflügelten Wort bei den Grünen geworden – und sie vollziehen ihn im Schweinsgalopp. Gerade einmal zweieinhalb Tage lagen zwischen der Rücktrittsankündigung der Noch-Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour und der Verkündung der Kandidatur ihrer aussichtsreichsten Nachfolger, Franziska Brantner und Felix Banaszak. Noch ist der neue, insgesamt sechsköpfige Bundesvorstand nicht von der Partei abgesegnet. Die Neuwahlen stehen Mitte November beim Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden an. Doch die Neuformation nimmt in rasantem Tempo Gestalt an.
Das geht nicht ohne parteiinterne Reibung vonstatten, zumal nicht in einer debattenfreudigen Partei mit unterschiedlichen Flügeln wie den Grünen. Die größte Sorge von Parteilinken ist, dass die Strukturen zu sehr nach Vizekanzler Robert Habeck ausgerichtet werden, dem alleinigen Anwärter für die Kanzler- oder Spitzenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl 2025. Aus Habecks Lager ist schon länger zu hören, ihr Spitzenmann brauche „Beinfreiheit“, um einen schlagkräftigen Wahlkampf führen zu können.
Das kommt nicht bei allen Parteilinken gut an. Sie fürchten, dass der Realo und Pragmatiker Habeck die Partei zu weit in Richtung konservativer und bürgerlicher Mitte führen könnte. Umso selbstbewusster treten Parteilinke derzeit auf und fordern Mitsprache bei der inhaltlichen Ausrichtung für den Bundestagswahlkampf ein.
So auch die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende Pegah Edalatian, die erneut für diesen Posten kandidieren will. „Gerade in dieser Zeit des Rechtsrucks, in der Menschen mit Migrationshintergrund und das Thema Vielfalt massiv attackiert werden, möchte ich meine Arbeit weiter fortsetzen und meine Erfahrung einbringen – vor allem auch mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf“, sagt Edalatian dem Tageblatt. „Es ist sehr wichtig, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund direkt ansprechen und ihnen ein politisches Angebot machen.“ Der gesellschaftliche Diskurs habe sich sehr verschärft, das mache ihr „große Sorgen“, sagt die Parteilinke. Sie will das Bewusstsein dafür stärken, dass Deutschland schon seit Jahrzehnten eine Einwanderungsgesellschaft sei und „Menschen mit Migrationshintergrund ein fester Teil unserer Gesellschaft sind“.
Bewerbung nicht mit Habeck abgestimmt
Neben Edalatian wollen auch der zweite Vize-Vorsitzende, Heiko Knopf, und Schatzmeister Frederic Carpenter erneut für den Bundesvorstand kandidieren. Gesetzt ist bereits Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch als neuer Wahlkampfleiter. Eigentlich läge es nahe, diese Aufgabe in die Hände des Politischen Geschäftsführers zu legen, was bei den Grünen so viel ist wie der Generalsekretär in anderen Parteien. Doch hier stellt die Satzung eine Hürde dar. Sie schreibt vor, dass nicht mehr als ein Drittel der sechs Vorstandsmitglieder Abgeordnete sein dürfen, also maximal zwei. Da die potenziellen neuen Parteichefs Brantner und Banaszak beide Bundestagsmandate innehaben, wäre Audretsch einer zu viel.
Als möglicher Nachfolger der amtierenden Politischen Geschäftsführerin Emily Büning wird Sven Giegold gehandelt. Bei einem nicht-öffentlichen Treffen des linken Parteiflügels soll Giegold seine Bereitschaft für diesen Posten signalisiert haben. Wie Franziska Brantner ist auch Giegold Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, doch anders als die Reala Brantner ist Giegold Parteilinker und gilt auch nicht als enger Vertrauter Habecks. Dass er seinen Hut als Politischer Geschäftsführer in den Ring wirft, dürfte nicht mit Habeck abgestimmt gewesen – und Habeck auch nicht besonders recht sein.
Zentral soll Diskurs über Gerechtigkeit sein
Diejenigen Parteilinken, die künftig an entscheidenden Stellen Verantwortung übernehmen wollen, sind jedenfalls darum bemüht, das interne Gerangel um Posten und Ausrichtung nicht zu groß erscheinen zu lassen. „Wir starten gemeinsam in was Neues. Als Team, mit Robert Habeck an der Spitze“, sagt Audretsch dem Tageblatt. „Die Inhalte erarbeiten wir gemeinsam, zentral wird dabei ein neuer Diskurs über Gerechtigkeit“, so der neue Wahlkampfleiter. Man wolle etwa Milliarden investieren, um Schulen zu modernisieren, und Gerechtigkeitslücken in der Steuer schließen.
Partei-Vize Edalatian betont dennoch, die Grünen seien keine Partei, „die man einfach von oben nach unten durchregieren kann – und in der Zusammenarbeit im Parteirat habe ich Robert Habeck immer als jemanden wahrgenommen, der das auch schätzt“. Die Grünen seien eine basisdemokratisch geprägte Partei mit einem starken Willen, mitzugestalten. „Das sind über Jahrzehnte gewachsene Strukturen der Basis. Und die Mitglieder, auch die Parteilinken, werden diese Strukturen auch zukünftig nutzen, um mitzureden und ihre Themen zu setzen“, sagt Edalatian. Das klingt noch nicht nach dem Ende der internen Kontroversen, im Gegenteil.
De Maart
Nächstes Jahr sind die nicht mehr dabei.