Mittwoch29. Oktober 2025

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EditorialMacron ignoriert den Wählerwillen

Editorial / Macron ignoriert den Wählerwillen
Rechts vor links, Ordnung muss sein: Frankreichs Bruno Retailleau spielt gerne den harten Mann Foto: Ian Langsdon/AFP

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Es war kurz vor zwölf in Frankreich. Das rechtsextreme Rassemblement national (RN) hatte Anfang Juni die Europawahl gewonnen und Ende desselben Monats die erste Runde der Parlamentswahl für sich entschieden. Ein endgültiger Sieg von Marine Le Pens Partei in der Stichwahl und eine Kohabitation von Präsident Emmanuel Macron mit einer Regierung von RN-Shootingstar Jordan Bardella standen kurz bevor.

Doch schließlich entschieden sich die Franzosen an den Wahlurnen mehrheitlich für den Nouveau Front populaire (NFP). Das linke Bündnis erreichte im zweiten Wahlgang überraschend mehr Wahlkreise für sich als Macrons bürgerliches Bündnis Ensemble pour la République und der RN. Mit ihrem Sieg in 178 von 577 Wahlkreisen kam der NFP damit auf 31 Prozent der Sitze im Parlament. Der Sieg der Rechten wurde verhindert.

Zwar bildet die linke Volksfront aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und La France insoumise (FI) keine Fraktion in der Nationalversammlung, stellt aber die stärkste politische Kraft dar. Ein Faktor, den Macron mit der Bildung ignoriert. Demokratie hänge von der „Ermächtigung“ der Bürger ab, betonen Craig Calhoun, Dilip P. Gaonkar und Charles Taylor in ihrem Buch „Zerfallserscheinungen der Demokratie“. Ansonsten zerfalle sie mit ihrer „Entmächtigung“.

Letztere betreibt Macron, der – unter Missachtung der demokratischen Grundregeln und des Wahlergebnisses – die anstehenden Herkulesaufgaben einer rechtsorientierten, von Premierminister Michel Barnier angeführten Regierung anvertraut. Zwar fallen dem liberalen Präsidentenlager einige Schlüsselposten zu und wird die Geschlechterparität gewahrt, einen großen Einfluss bekommen jedoch Barniers konservative Républicains eingeräumt, die bei der Wahl nur auf 47 der insgesamt 577 Abgeordnetensitze kamen.

So ist etwa Innenminister Bruno Retailleau dem rechten Flügel der Republikaner zuzuordnen. Er hatte sich bereits gegen das Recht auf Abtreibung in der Verfassung und die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe eingesetzt. Er gilt außerdem als Hardliner in Sicherheits- und Migrationsfragen. Retailleau tritt für eine verschärfte Einwanderungspolitik ein, mit mehr Abschiebungen und weniger Aufenthaltsgenehmigungen für Sans-Papiers. „Wir müssen den Mut zur Härte haben“, fordert er und lobt die deutschen Grenzkontrollen. Es ist jene Politik der „neuen Härte“, die zurzeit europaweit anzutreffen ist, eine fatale Strategie der Anbiederung an die extreme Rechte, um dieser das Wasser abzugraben.

So ist es allzu verständlich, dass das Kabinett von Premierminister Barnier, gegen den bereits Zehntausende von Menschen demonstrierten, auf Empörung trifft. Etwa bei Olivier Faure: Der Erste Sekretär der Sozialistischen Partei (PS) spricht von einer „reaktionären Regierung, die der Demokratie den Stinkefinger zeigt“ und sieht vor allem bei Retailleau eine „ideologische Durchlässigkeit zu Positionen der Rechtsextremen“. Derweil nannte Le Monde die Regierung eine „alliance de perdants à rebours du front républicain“. Auf den Straßenverkehr übertragen, ist diese Regierungsbildung wie „links blinken, aber rechts abbiegen“ – oder gar rechts überholen. Was einem ausgeprägten Verkehrsrowdytum entspräche.

Aber hatte das französische Wahlvolk wirklich den Blinker links? Über die vergangenen Monate betrachtet, bewegt sich das politische Frankreich eher nach rechts und wirkt die Stichwahl vom 9. Juli eher als Warnblinklicht vor einer möglichen rechtsextremen Machtübernahme. Diese schwebt wie ein Damoklesschwert über den labilen politischen Verhältnissen. Eine erste Bewährungsprobe für die Regierung dürfte die Haushaltsdebatte im Oktober sein. Macron hat die Linke vor den Kopf gestoßen. Vor allem aber hat er die Wähler „entmächtigt“ und der Demokratie geschadet. Ein hoher Preis.

Phil
29. September 2024 - 10.06

Staatsdefizit vun 3.228,4 Milliarden Euro, entsprecht 112% vum BIP... dovunner 900 Milliarden ënnert der Regie Macron!

max.l
27. September 2024 - 14.03

ëch së mol gespaant wéi ët weider geet, a wéi laaang nach..

Hild Charles
27. September 2024 - 13.45

Nicht nur Macron ignoriert den Wählerwillen. Keine der Parteien vertritt den Wählerwillen, ausser eben die Rechts- und neuerdings einige Linksextreme. Und das ist ein sehr grosser Fehler! Man sollte auf Urinstinkte der Wähler Rücksicht nehmen.

HeWhoCannotBeNamed
27. September 2024 - 10.24

Auch wenn ich prinzipiell mit Herrn Kunzmanns Ausführungen zu der Regierungsbildung in Frankreich einverstanden bin : das Konzept des "Wählerwillens" ist eine diffuse, abstrakte Konstruktion und nicht eine objektive Wirklichkeit. Wenn es ihn geben würde, diesen `"Wählerwillen", woran würde man ihn denn messen - am reinen Resultat der Kandidaten/Parteien, an den Tendenzen/Entwicklungen bzw. am Willen "de faire barrage au RN"? Wie kommt man von Millionen Stimmen die für ein solch disparates Spektrum wählen von extrem rechts bis links (zudem für die AG, nicht für die Regierung) auf den "einen" Willen? Wenn überhaupt, gibt es den Wählerwillen nur als konstruiertes Gebilde im Kopf des Kandidaten, der ihn nach Belieben auslegt und dann für seinen Machtanspruch instrumentalisiert.

@Smilla : ganz andere Situation (da die Landtage in Thüringen und Sachsen nicht einer Regierungsbildung durch einen Präsidenten, sondern einer Koalitionsbildung bedürfen), aber auch eine passende Illustration zur Problematik des Wählerwillens : wenn es ihn geben würde, würde dieser eine Wähler sagen "Regiert mal, ihr beiden Parteien, deren Wahlprogramm sich gegenseitig ausschließen!"...

fraulein smilla
27. September 2024 - 9.20

Nach Herrn Kunzmanns Logik muesste in Thueringen und Sachsen die AFD regieren . Gottseidank funktioniert so der Parlamentarismus nicht .