Ein Regierungsapparat ohne jede Krisenplanung, unklare Zuständigkeiten in der Downing Street, offene Verachtung von Wissenschaftlern für Politiker, von Politikern für Beamte – anhand der öffentlichen Anhörungen der offiziellen Covid 19-Untersuchung durchleben die Briten wieder die dunklen Stunden der ersten Pandemie-Monate. In Schottland gesellt sich ein mutmaßlicher Vertuschungsskandal hinzu: Trotz gegenteiliger Beteuerungen wurden WhatsApp-Nachrichten der Edinburgher Nationalistenregierung offenbar reihenweise gelöscht.
Hingegen sind Textnachrichten des höchsten britischen Beamten in den vergangenen Tagen bereits öffentlich geworden, obwohl sich Simon Case im Krankheitsstand befindet und erst zu einem späteren Zeitpunkt vor der pensionierten Höchstrichterin Heather Hallett aussagen kann. Ihm sei immer gesagt worden, schrieb der damals noch frischgebackene Kabinettssekretär 2020, Premier Boris Johnsons engster Berater Dominic Cummings amtiere als heimlicher Regierungschef: „Wie falsch ich lag. In Wahrheit ist Carrie am Ruder.“ Gemeint war die damalige Verlobte und heutige Frau Johnsons.
Auf dem Niveau von Trump und Bolsonaro
Für den eigentlichen Premierminister und dessen Versuche, trotz erneut steigender Infiziertenzahlen bereits im Juli 2020 sämtliche Lockdown-Bestimmungen außer Kraft zu setzen, hatte Case nur Verachtung. „Das wäre verrückt und gefährlich auf dem Niveau von Trump und Bolsonaro“ – indirekt verglich der Chefbeamte den Brexit-Marktschreier also mit den damaligen Präsidenten der USA und Brasiliens, Donald Trump und Jair Bolsonaro.
Kritik zog aber auch der damalige Finanzminister und heutige Chef der konservativen Regierung, Rishi Sunak, auf sich. Um die Gastronomie wiederzubeleben, subventionierte der Lockdown-Skeptiker im Sommer 2020 Restaurant-Besuche, was einen erheblichen Anstieg von Sars-CoV-2-Erkrankungen zur Folge hatte. Drei Jahre später beziffern die Statistiker diesen Zuwachs auf zwischen 8 und 17 Prozent, was damals Hunderte von Todesfällen nach sich zog. Prompt titulierte eine Teilnehmerin in der WhatsApp-Gruppe des wissenschaftlichen Beratergremiums Sunak verächtlich als „Doktor Tod“.
Am Montag musste sich Johnsons beamteter Stabschef („principal private secretary“) den bohrenden Fragen des Kronanwalts stellen, der in Baronin Halletts Auftrag die Zeugen befragt. Dabei stellte sich heraus: Im Vorfeld der Pandemie war die Beamtenschaft der Downing Street völlig mit sich selbst beschäftigt, weil Chefberater Cummings die Strukturen der Regierungszentrale nach seinen eigenen, höchst eigenwilligen Vorstellungen umkrempeln wollte.
Uneingeschränkte Kooperation
Zudem zeigte der Premier nach seinem triumphalen Wahlsieg im Dezember 2019 wenig Interesse an der Regierungsarbeit. Über die zunehmend alarmierenden Neuigkeiten Sars-CoV-2 betreffend wurde der Leiter der Regierung einer führenden Industrienation im Februar 2020 zehn Tage lang mit keinem Wort informiert. Die Periode fiel mit den Schulferien in England zusammen. An diesem Dienstag hat Cummings selbst seinen großen Auftritt, Boris Johnson soll zu einem späteren Termin aussagen.
Schauplatz der öffentlichen Anhörungen ist ein unscheinbares Bürogebäude nahe dem Bahnhof Paddington im Westen der Hauptstadt London. Baronin Hallett hat den Angehörigen der mehr als 226.000 britischen Covid-Toten nicht nur umfangreiche Teilnahme- und Mitspracherechte eingeräumt. Eigens in Auftrag gegebene Kunstwerke sollen zusätzlich dafür sorgen, dass jene Millionen von Bürgern, die direkt oder indirekt von der Pandemie betroffen waren, im Mittelpunkt der Beratungen stehen.
Freilich bleibt die Politik selten außen vor. Am Montag beteuerte der schottische Ministerpräsident und Nationalistenchef Humza Yousaf, er habe „keine Nachrichten gelöscht“. Vergangene Woche hatte Halletts Kronanwalt berichtet, man habe 70 Verantwortliche der schottischen Regierung, damals noch unter Nicola Sturgeon, um die Herausgabe sämtlicher relevanter Dokumente und WhatsApp-Mitteilungen gebeten. Im Unterschied zu den relevanten Ministerien in London seien in Edinburgh wohl „sehr wenige Nachrichten verwahrt“ worden. Man sei nun dabei, über weitere Schritte nachzudenken.
Gemeint sein dürfte damit wohl der Gang vor Gericht, bei dem Hallett schon einmal erfolgreich war: Zu Jahresbeginn hatte nämlich die britische Regierung mit Verweis auf die Privatsphäre die Herausgabe von WhatsApp-, Signal- und ähnlichen Kurznachrichten verweigert. Der High Court verdonnerte die Downing Street zur uneingeschränkten Kooperation mit der unerschrockenen Baronin. Ähnlich dürfte es der Edinburgher Regionalregierung gehen, in deren Zuständigkeit der Gesundheitssektor und damit auch die Pandemie-Bekämpfung fällt. Zuständiger Minister war 2020 niemand anders als der heutige Ministerpräsident.
Zwar will Baronin Hallett bis Ende dieses Jahres eine Zwischenbilanz vorlegen; doch sollen die öffentlichen Anhörungen bis 2026 dauern, der Schlussbericht dürfte deshalb frühestens 2027 erscheinen.
De Maart
@luxmann
Von Ihnen als Mann der klaren Ansagen Ihrer Facts erwarte ich dann schon, dass Sie die fehlbaren Politiker und Länder nennen können. Sonst würden mich Ihr Wissens-Pool schon etwas enttäuschen.
Dass der clown johnson in downing street parties feierte ,waehrend er seinen landsleuten wegen covid den pub besuch verbot ist bekannt.
In anderen laendern soll es allerdings vergleichbares fehlverhalten von politikern gegeben haben.