Samstag15. November 2025

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KinoInterview mit Loïc Tanson zu seinem Spielfilm „Läif a Séil“

Kino / Interview mit Loïc Tanson zu seinem Spielfilm „Läif a Séil“
Loïc Tanson: „Nach und nach wurde mir klar, dass ich die Western-Komponente, so wie ich sie mir vorgestellt habe, mit einem Märchen verbinden wollte“ Foto: Samsa Films/Artémis/Anna Krieps 

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Mit seinem Spielfilm „Läif a Séil“, dem ersten luxemburgischen Western überhaupt, wagt sich Loïc Tanson mit einem feministischen Ansatz an die Geburtsstunde des Großherzogtums, wobei die Pistolen gegen patriarchale und klerikale Kräfte in die Hand genommen werden. Mit u.a. Sophie Mousel in der Hauptrolle ist die schauspielerische Besetzung eine hundert Prozent luxemburgische. Wir haben uns mit Regisseur Loïc Tanson für ein Gespräch getroffen.

Wie las sich der erste Pitch Ihres Films „Läif a Séil“?

Loïc Tanson: Der Pitch blieb eigentlich immer der gleiche: Es ist die Geschichte eines zwölfjährigen Mädchens, das aus seinem Dorf weglaufen muss, um nach 15 Jahren wieder zurückzukehren und sich an der Familie zu rächen, die ihr sehr viel Unrecht angetan hat. Dieser Umriss war klar. Auch in Hinsicht auf die zwei Teile, in die der Film eingeteilt ist.

Woher rührte die Idee für diesen Film?

Claude Waringo hatte die Ausgangsidee, einen Western machen zu wollen. Zusammen mit Frédéric Zeimet wurde mit Ideen herumgespielt und sehr schnell wurde sich darauf festgelegt, eine Frauenfigur als zentralen Angelpunkt zu wählen. Was mir sehr gut gefiel, weil es die Codes des Western – obwohl es weiß Gott schon gemacht wurde – ganz einfach auf den Kopf stellt. Und der Film sollte sich in Luxemburg abspielen. Zusammen mit Frédéric Zeimet habe ich dann zu schreiben begonnen. Wir haben uns mit der Zeit beschäftigt und entschlossen, dass sich die beiden Filmteile jeweils vor und nach der Unabhängigkeitserklärung Luxemburgs abspielen sollten. So sind wir dann auch auf die Idee des kleinen autonomen Dorfes gekommen, welches von Männern und einem Patriarchen geführt wird. Ein Dorf mit sehr strikten Regeln, in dem die Religion eine große Rolle spielt. Als diese Elemente klar waren, haben wir uns mit den Figuren auseinandergesetzt.

Inwiefern ist der historische Kontext des Dorfes recherchiert und wo wurden sich künstlerische Freiheiten genommen?

Wir haben tatsächlich sehr ausführlich recherchiert. Du versuchst herauszufinden, was der historische und soziale Kontext war und wie die Menschen damals lebten. Der große Unterschied der ersten zu einer späteren Fassung, um auf deine erste Frage zurückzukommen, war, dass der Film zu Beginn weitaus historischer ausgerichtet war. Nach und nach wurde mir aber klar, dass ich die Western-Komponente, so wie ich sie mir vorgestellt habe, mit einem Märchen verbinden wollte. Wir sind also von einer gegebenen Situation ausgegangen – Luxemburg, 1838, die Hungersnot überlebend, aber unter niederländischer Besatzung und dem fortschreitenden Schienenbau –, während aber das Dorf frei erfunden ist. Überall sind Recherchen mit eingeflossen – auch z.B. in der Kostümarbeit, wobei wir ganz bewusst entschieden haben, uns künstlerische Freiheiten zu nehmen.

Mich reizt es, eine kohärente Welt aufzubauen, mit der man sehr wohl etwas über die Jetzt-Zeit erzählen oder zu ihr Parallelen ziehen kann, die jedoch auch an und für sich funktioniert und die Zuschauer in ihren Bann ziehen kann

Loïc Tanson, Regisseur

Was kann das luxemburgische Kino vom Genre-Kino in Zukunft abgewinnen? 2023 ist in dieser
Hinsicht ja ganz interessant.

Tatsächlich sind dann dieses Jahr zwei luxemburgische Genrefilme im Kino erschienen. Ich will an dieser Stelle nicht für Jacques’ Film mitsprechen, aber Genrekino ist für mich Kino in seiner pursten Form. Eine Welt zu schaffen, die eine Kinowelt ist, ist etwas, was mich grundlegend interessiert. Deswegen musste ich nicht lange überlegen, als mir Claude und Frédéric angeboten hatten, beim Projekt mit ins Boot zu steigen. Mich reizt es, eine kohärente Welt aufzubauen, mit der man sehr wohl etwas über die Jetzt-Zeit erzählen oder zu ihr Parallelen ziehen kann, die jedoch auch an und für sich funktioniert und die Zuschauer in ihren Bann ziehen kann.

Gab es Momente, wo genrespezifische Stilisierung in den Vordergrund gerückt wurde, während woanders entschieden wurde, das Prozedere zu erden, damit Figuren oder die Glaubwürdigkeit des Ganzen nicht verloren gehen? Ich denke dabei an die Tarantino-ähnlichen Crash-Zooms, die den Film schon sehr aus seinen Bahnen wirft. Haben da mehrere Seelen in mehreren Brüsten geschlagen?

Ich kann verstehen, woher Sie mit dem Gedanken kommen. Tatsächlich war der Prozess darauf aufgebaut, eine individuelle visuelle Sprache für den Film zu finden. Die Crash-Zooms waren ein ganz bewusstes Augenzwinkern, welche ihren Effekt haben. Dazu muss ich aber anmerken, dass Tarantino den Crash-Zoom nicht erfunden hat. Ich würde nicht sagen, dass der Film keine visuelle rote Linie hat, falls Sie das meinen. Es ging uns darum, die Geschichte anders zu erzählen und zusammen mit Kameramann Nikos Welter haben wir uns ganz klare Regeln gegeben. Und wir waren sehr darauf bedacht, diesen Regeln treu zu bleiben. Es ist mein erster Spielfilm und es ging darum, wie will und wie kann ich Geschichten erzählen. In der Hinsicht hatte ich das große Glück, mit Nikos jemanden an meiner Seite zu haben, der die gleiche Lust gegenüber diesen Fragen verspürte. Es ging uns darum, dass man das Kinobild mitlesen kann. Wir wollten so z.B. der Schuss-Gegenschuss-Technik fundamental ausweichen, was uns, glaube ich, zu 85 oder 90 Prozent gelungen ist. Dass der Rhythmus damit langsamer und Plansequenzen entstehen würden, war folgerichtig und jedem bewusst und gewollt.

Was hat es mit den zwei visuell grundverschiedenen Filmteilen auf sich?

Allem voran habe ich mich dafür entschieden, weil ich keine Rückblenden im Film haben wollte. Danach geht man so präzis wie möglich ans Werk und wenn man die ersten 35 Drehbuchseiten analysiert – in etwa eine halbe Stunde des Films –, fragt man sich: Worum geht es? Es geht darum, so klaustrophobisch wie nur menschenmöglich zu sein, sehr nahe am Kind zu sein, und es geht darum, zu verstehen, dass es eine Welt ohne Farbe ist. Kinotechnik hilft einem in der Hinsicht sehr. Mit Schwarz-Weiß-Bildern und Steadycam sind expressionistische Bilder zu machen. Im zweiten Teil ging es mir darum, das Bild zu öffnen – wir sind nicht mehr nur im engen, eingeschlossenen Dorf – und auch den Farben Eintritt zu gewähren. Obwohl sie langsam und nicht direkt hineinfließen. Die Kamera bleibt oft bei den Männern und es war gewollt, dass die Kamerabewegungen und Einstellungen langsamer und schwerfälliger sind. 15 Jahre sind vergangen, vieles hat sich geändert, vieles nicht, und es geht darum, mit Oona, die zurückkommt, umzugehen. Sie enthüllt nicht gleich alles und der Zuschauer entdeckt sie und ihre Motivationen zusammen mit den Dorfbewohnern. Diese zwei ästhetischen Vorschläge waren sehr früh klar und auch Produzent Claude Waringo war sofort davon überzeugt.

Um kurz auf das Casting zu kommen: Hat sich Sophie Mousel für Sie sofort als Kandidatin für die Hauptrolle von Hélène/Oona herauskristallisiert?

Um dann noch einmal auf Ihre erste Frage zurückzukommen: Nein, hat sie nicht. Anfangs sollten nicht 15, sondern 25 Jahre zwischen den beiden Teilen liegen. Das hätte mit sich gebracht, dass die Hauptprotagonistin notgedrungen älter gewesen wäre. Das hätte am Ende das Projekt ganz praktisch vor Probleme gestellt – vor allem im Make-up und Casting – und das Budget hätte das nicht stemmen können. Erst als wir zehn Jahre gestrichen haben, war Sophie Spitzenkandidatin für die Rolle. Wir sind uns begegnet, als sie die zweite Staffel „Capitani“ drehte – ich begegne lieber Menschen, als dass ich sie in einem klassischen Casting treffe –, und nachdem sie mir zwei, drei Sachen erzählte, war mir klar, dass sie das verkörperte, was wir für den Film suchten. Ihr Engagement und ihre Ausstrahlung waren perfekt. So hatte sie schon z.B. Monate vor Drehbeginn mit Reittraining begonnen, damit sie den gewissen Respekt vor den Tieren meistern und sich auf die Figur konzentrieren konnte. Einerseits physisch, andererseits in der innerlichen Transformation in die Rolle von Oona.

„Läif a Séil“ erscheint heute in den Multiplexkinos von Kinepolis, im Ciné Utopia sowie in den Regionalkinos von Cinextdoor und Caramba.

luxmann
26. Oktober 2023 - 3.11

Die idee einen film als western zu vermarkten der im norden Luxemburgs spielt scheint eher skurril.
Schaun wir mal...und lassen uns vielleicht ueberraschen.