Sonntag16. November 2025

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Lust zu lesenEin Symbol ihrer Zeit: „Kiki Man Ray“ von Mark Braude

Lust zu lesen / Ein Symbol ihrer Zeit: „Kiki Man Ray“ von Mark Braude
Mark Braude Foto: Laura Maria Braude

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Eine Zeit lang war sie ein Wahrzeichen von Paris: Kiki de Montparnasse – Modell, Sängerin, Malerin, Schauspielerin und Symbol einer Epoche, die gerade wieder hoch im Kurs steht. Eine Rezension von Mark Braudes Kiki-Biografie.

Geboren wurde Kiki de Montparnasse unter dem Namen Alice Prin am 2. Oktober 1901 in der Ortschaft Châtillon-sur-Seine. Der Vater blieb unbekannt, die Mutter parkte die kleine Alice bei den verschiedenen Versuchen, sich durch ein ärmliches Leben zu schlagen, bei der Großmutter. Als Teenager folgte Alice ihrer Mutter nach Paris, und nachdem sie sich mit ihr verkracht hatte, lebte sie zeitweise auf der Straße. Möglicherweise war es Zufall, dass sie nicht komplett abrutschte, sondern begann, als Malermodell „Kiki“ im Pariser Viertel Montparnasse so weit Karriere zu machen, dass sie in den 1920ern zum Synonym für den dortigen lockeren Lebenswandel zwischen Künstler-Bohème und Halbwelt-Existenzen avancierte.

Am Anfang des Jahrzehnts hatte sie den U.S.-amerikanischen Avantgardisten Man Ray kennengelernt. Sie sollte ihm Französisch beibringen und mit den ungeschriebenen Gesetzen im Viertel vertraut machen. Daraus wurde mehr, und man kann, wie Mark Braude in seinem lesenswerten Buch „Kiki Man Ray. Kunst, Liebe und Rivalität im Paris der 20er Jahre“ darlegt, Man Rays Karriere als Fotograf ganz eng an das Leben seines Modells anlehnen: Beide zogen großen Nutzen aus ihrer Zusammenarbeit wie Beziehung, die wegen der teilweise öffentlich ausgetragenen, auch handgreiflich werdenden Auseinandersetzungen als „Amour fou“ bezeichnet wurde.

Ab 1924 trat Kiki u.a. in Filmen von Marcel L’Herbier auf, wobei sie unter dem Namen „Kiki Ray“ oder „Kiki Man Ray“ in den Besetzungslisten auftauchte, was Braudes Buchtitel erklärt. Sechs oder sieben Jahre dauerte Kikis Liebesbeziehung mit Man Ray an. Irgendwann 1928 zog Kiki aus Man Rays Atelier, wenig später fand er in seiner Landsfrau Lee Miller eine weitere Geliebte, die ihn zur Weißglut bringen würde. Überliefert sind noch zwei engere Beziehungen, die Kiki de Montparnasse mit dem Karikaturisten und Publizisten Henri Broca sowie dem Finanzbeamten und Musiker André Laroque einging. Mit Broca brachte Kiki die Stadtteilzeitschrift „Paris-Montparnasse“ sowie 1929 ihre Autobiografie heraus. Für die englische Fassung des Buches schrieb Ernest Hemingway das Vorwort. Von ihm stammt auch die Feststellung, dass mit Kikis Lebenserinnerungen eine Epoche der überschäumenden Kreativität ihren Abschluss fand.

Niedergang

Die Zeiten änderten sich. Die Weltwirtschaftskrise hatte die Touristenströme, die dem unkonventionellen Charme von Montparnasse immer ärger zusetzten, zu einem Rinnsal werden lassen. Einst angesagte Bars wie das „Jockey“ machten dicht. Zwar zog Kiki in den 1930ern mit André Laroque am Klavier oder am Akkordeon immer noch singend durch Pariser Lokale, wie sie es seit Mitte der 1920er getan hatte. Allerdings setzten ihr nun Alkohol, Kokain und andere Drogen gesundheitlich mehr und mehr zu.

Von ihren letzten zwanzig Lebensjahren ist kaum etwas bekannt. Während des Zweiten Weltkriegs soll sie bei einem Klempner, dessen Name Braude nicht erwähnt, auf dem Land gelebt haben. Nach der Nazi-Okkupation bot ihr der mittlerweile anderweitig gebundene Laroque in seiner Wohnung in der rue Bréa in Montparnasse Unterschlupf. Am 23. März 1953 brach sie auf dem kleinen Platz vor der Wohnung zusammen und verstarb wenige Stunden später im Krankenhaus Laennec. Die in einem ausgelassenen Fest Ende der Zwanziger zur „Königin von Montparnasse“ gekürte Kiki fand in einem Armengrab ihre letzte Ruhestätte, das 1974 eingeebnet wurde. Was blieb von ihrem Ruhm? Ein paar Schallplattenaufnahmen, ungewöhnlich viele Porträts von nahezu allen wichtigen Malern der Moderne – und natürlich Man Rays weltberühmte Fotografien von Kiki in allen möglichen bis unmöglichen Posen und Zuständen, oft kopiert und somit als kulturelles Allgemeingut millionenfach unter die Leute gebracht.

Info

Mark Braude: „Kiki Man Ray. Kunst, Liebe und Rivalität im Paris der 20er Jahre“
Insel-Verlag, Berlin 2023
365 S., 26,00 Euro