Sonntag16. November 2025

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ÖsterreichKniefall vor Corona-Schwurblern: Kanzler Nehammer streut wegen „Expertenhörigkeit“ Asche aufs Haupt

Österreich / Kniefall vor Corona-Schwurblern: Kanzler Nehammer streut wegen „Expertenhörigkeit“ Asche aufs Haupt
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer versucht, über verquere Wege die Wahlniederlage in Niederösterreich aufzuarbeiten Foto: AFP/John Thys

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Österreichs Christdemokraten versuchen, mit einem Kniefall vor Corona-Schwurblern an die FPÖ verlorene Wähler zurückzuholen.

Die Landtagswahlen in Niederösterreich bescherten der ÖVP vor drei Wochen ein Desaster. Die bisher mit absoluter Mehrheit regierende Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wird sich zwar mit einem Koalitionspartner – wahrscheinlich der SPÖ – an der Macht halten können, doch bei den nächsten Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg im März bzw. im April blühen den Christdemokraten die nächsten Wählerohrfeigen.

Und die Wählerstromanalysen in Niederösterreich haben klar ergeben: Neben der in Österreich über dem EU-Durchschnitt liegenden Teuerung war noch immer die eigentlich schon weitgehend ausgeblendete Pandemie ein zentrales Wahlmotiv. Landesweit hatte die FPÖ im größten Bundesland um neun Prozentpunkte auf 24 Prozent zugelegt. Hätte nur das Viertel der Gemeinden mit der niedrigsten Impfquote gewählt, wäre die FPÖ sogar auf 30 Prozent gekommen. Vor allem die sonst unerschütterlich ÖVP-treuen Bauern hatten ausgelassen. Zum Beispiel in der Gemeinde Ertl, wo sich nur 39 Prozent der 1.200 Einwohner impfen hatten lassen. Die ÖVP stürzte hier von 69 auf 43 Prozent ab, während die Rechtspopulisten von 16 auf 38 Prozent hochschnellten.

Seit dem Verlust der „Absoluten“ im ÖVP-Kernland ist Feuer am türkisen Dach. Auch und vor allem bei Bundeskanzler Karl Nehammer. Denn der ÖVP-Chef kommt ebenso wie Innenminister Gerhard Karner, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Nationalratspräsident Wolfang Sobotka und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker aus Niederösterreich.

Politisches Long Covid

Mit dem weitgehenden Auslaufen der umstrittenen Corona-Maßnahmen ist die Pandemie freilich für die türkis-grüne Bundesregierung nicht ausgestanden. Vor allem der ÖVP blüht ein politisches Long-Covid-Syndrom. Denn die Opposition bereitet schon einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor, der das erratische Krisenmanagement unter die Lupe nehmen soll. Dabei könnten auch unangenehme Themen wie gute Schutzmasken-Geschäfte von ÖVP-Funktionären zu Beginn der Pandemie wieder hochkommen. Auch ÖVP-Vereine, die Millionen an Corona-Entschädigungen kassiert haben, obwohl Parteiorganisationen davon ausdrücklich ausgeschlossen waren, würden wieder im Fokus stehen.

Wohl deshalb trat der Bundeskanzler mit seinem grünen Gesundheitsminister Johannes Rauch die Flucht nach vorn an und verkündete einen Versöhnungsprozess. Eine Kommission soll das Krisenmanagement aufarbeiten. Nehammer will jenen Österreichern, die die Maßnahmen abgelehnt haben, die Hand reichen und so FPÖ-Chef Herbert Kickl Wind aus den Segeln nehmen. Mit dem Kniefall vor den früher mit Verachtung gestraften Corona-Schwurblern eröffnete Nehammer jedoch eine (nicht mehr ganz) neue Front – mit der Wissenschaft.

Schlingerkurs

Denn der ÖVP-Chef verstieg sich in seiner Annäherung an Impfgegner und Querdenker zu dem Eingeständnis, zu „expertenhörig“ agiert zu haben. Deshalb sollten auch die Fachleute nun erklären, warum Entscheidungen während der Pandemie so getroffen wurden. Allen Ernstes versucht Nehammer also, beratende Wissenschaftler für unpopuläre Lockdowns und die erst eilig beschlossene, dann wieder abgeblasene Impfpflicht verantwortlich zu machen.

Der seit dem Frühjahr 2020 gesteuerte Schlingerkurs zwischen gesundheitsbewusster Radikalität und tourismusgesteuertem Schlendrian war freilich weniger der Expertise von Virologen geschuldet, sondern vielmehr einem opportunistischen Schielen auf Umfragen. Anfangs, als die Todesangst dominierte, steuerte der damalige ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz einen harten Kurs und ließ sich als bester Krisenmanager Europas feiern. Je mehr sich in den anfänglichen Applaus für rund um die Uhr arbeitende Pflegekräfte Unmutsäußerungen über die Schutzmaßnahmen mischten, desto weniger kümmerte sich Kurz um virologische Berater und erklärte die Pandemie schon 2021 voreilig für beendet. Sein Nachfolger Nehammer machte sich über das Virus beim ÖVP-Parteitag im Mai vergangenen Jahres nur noch lustig: „So viele in so einem kleinen Raum heißt auch: so viele Viren – aber jetzt kümmert es uns nicht mehr!“

Empörte Experten

Dass die vielfach ignorierten Experten jetzt den Kopf hinhalten sollen für diese Politik, sorgt in der Wissenschaft naturgemäß für Aufruhr. Der Genetiker Ulrich Elling bezeichnete Nehammers Aussage als „skandalös“. Sie zeuge von einem Missverständnis der Rolle von Experten. Die Verantwortung liege noch immer bei der Politik. Der Lungenfacharzt Arschang Valipour äußerte sich verärgert, weil die Politik oft eben nicht auf fundierten Rat gehört habe: „Ist schon befremdlich, jetzt Gräben in der Gesellschaft auf Expert*innen zu schieben“, twitterte Valipour. Auch der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka weist „das Framing, man sei nur Experten gefolgt und die seien quasi an den Fehlern schuld“ zurück. Das Problem sei vielmehr gewesen, dass die Regierung den Empfehlungen nicht gefolgt sei.

Ganz neu ist der Hang der ÖVP zur populistischen Wissenschaftsfeindlichkeit freilich nicht. Schon im November 2021 hatte Salzburgs ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer den dann doch beschlossenen Lockdown mit einer Attacke auf die Wissenschaft abzuwehren versucht: „Die Virologen würden am liebsten alle Österreicher in ein Zimmer einsperren … Aber dann werden die Leute halt an Depressionen sterben oder verhungern oder verdursten.“ Im April wird Haslauer erleben, ob ihn Nehammers neues Experten-Bashing vor dem prognostizierten Wahldebakel bewahrt.

Samstag
18. Februar 2023 - 8.36

Ganz wie andere "Charakterparteien" wie AfD oder ADR.Populismus durch die Hintertür. Wie einst Merkels wundersamer Sinneswandel nach Fukushima so passen auch die Machthaber in Osterlitsch sich an um an der Macht zu bleiben. Da spielt richtig oder falsch keine Rolle mehr. Jeden Tag eine andere Meinung,Nehammer ist einer davon. Vor Wahlen lässt man schon mal gerne die Hosen runter. Corona ist ein tödliches Virus und versteht nichts von Politik.