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AnalyseNATO: Das Militärbündnis nach einem Jahr Krieg

Analyse / NATO: Das Militärbündnis nach einem Jahr Krieg
24. Februar 2022: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nimmt an einer Videokonferenz zur russischen Invasion in der Ukraine teil Archivfoto: Kenzo Tribouillard/AFP

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Die Linie, nicht Kriegspartei werden zu wollen, hat die NATO seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine beibehalten. Doch nach einem Jahr ist das Bündnis ein anderes geworden.

Gegründet, um bei einem Krieg in Europa einander beizustehen, kommen die Spitzenvertreter der NATO-Mitgliedsstaaten am 24. Februar 2022 natürlich zu einem Krisentreffen zusammen. Anschließend stellt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg fest: „Wir haben jetzt Krieg in Europa in einem Ausmaß und einer Art, von der wir dachten, dass sie der Geschichte angehören.“ Deshalb habe das Bündnis beschlossen, seine Verteidigungspläne zu aktivieren. Diese sind tatsächlich, wie es der Name schon sagt, auf die Verteidigung des Bündnisses fokussiert, nicht auf eine Kriegsführung mit Russland. Bei dieser Linie ist die NATO auch nach einem Jahr geblieben. Auch wenn es zwei massive Versuche gab, sie hineinzuziehen. Und doch ist das Bündnis nicht mehr dasselbe wie vor einem Jahr.

Am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine galt für die NATO das 2010 in Lissabon verabschiedete strategische Konzept, wonach das Bündnis stets die „Kooperation mit Russland intensivieren“ wolle. Das war die Bekräftigung der 1997 mit Moskau vereinbarten NATO-Russland-Grundakte, mit der jede Eskalation schon im Keim erstickt werden sollte. Es enthielt die Verpflichtung beider Seiten, auf Androhung und Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen „irgendeinen anderen Staat, seine Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit“ zu verzichten. Für die Umsetzung in die alltägliche Praxis gab es die regelmäßigen Zusammenkünfte des NATO-Russland-Rates, in dem Manöver besprochen und Missverständnisse ausgeräumt wurden.

Wir haben jetzt Krieg in Europa in einem Ausmaß und einer Art, von der wir dachten, dass sie der Geschichte angehören

Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär

Am 24. Februar 2022 war längst mit der Überarbeitung des strategischen Konzeptes begonnen worden. Es sollten die Abwehr hybrider Bedrohungen verstärkt, die Gefahren aus dem Weltraum konkretisiert und die zunehmende Aggressivität Chinas aufgenommen werden. Zwar hatte das Bündnis bereits 2014 in Wales Russlands militärisches Vorgehen auf der Krim und deren Annexion scharf verurteilt. Die direkten Schlussfolgerungen galten jedoch dem Wiederaufbau der Landes- und Bündnisverteidigung, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs über Jahrzehnte vernachlässigt worden war.

Keine Kooperation mehr mit dem Kreml

Die Einstellung der NATO zu Russland blieb indifferent. Während die einen zur größtmöglichen Unabhängigkeit von Russland und zum verstärkten Schutz kritischer Infrastruktur aufriefen, pflegte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Hoffnung auf einen Wandel durch Handel und brachte gegen massive Widerstände der NATO-Partner ein zweites Gaspipeline-Projekt mit Russland an den Start. Es gehörte zu einer Serie diffuser Signale, die Putin durchaus als Freibrief für Aggression werten konnte. Der Krieg gegen Georgien war 2008 ein klarer Verstoß gegen die NATO-Grundakte, doch Brüssel behielt die Beziehungen zum Kreml bei. Der Militärschlag gegen ukrainisches Territorium 2014 musste erneut als ein solcher Verstoß gewertet werden, doch die Bemühungen um gutnachbarschaftliche Beziehungen blieben erhalten. Noch im Wahlkampf 2021 verteidigte der spätere deutsche Kanzler Olaf Scholz die Gaspipeline mit dem Argument, das sei etwas Geschäftliches, nichts Politisches.

Die Pipeline war schon vor ihrer Explosion im September 2022 gestorben, nämlich als Putin den Angriffskrieg begann. Und auch das neue strategische Konzept der NATO bekam eine bezeichnende Festlegung. Statt Kooperation mit dem Kreml nun die Feststellung, Russland sei die „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“. Doch das bedeutete nicht, dass die NATO von Konsens auf Krieg umschaltete. Die Ukraine versuchte dies zwar mit der Forderung nach einer Flugverbotszone zu erreichen und dachte vermutlich an eine Parallele zum Jahr 2011, als die NATO nach einem entsprechenden Votum der Vereinten Nationen genau so in Libyen vorgegangen war. Möglicherweise richteten sich die Hoffnungen in Kiew auch auf das massive NATO-Einschreiten auf dem Balkan und in Afghanistan. Doch die NATO blieb als Bündnis auf Distanz zum Krieg, so sehr ihre Mitglieder auch die Ukraine zuerst mit leichten und dann mit immer schwereren Waffen versorgten. Absichtlich koordinierten sie dies außerhalb der NATO. Auch die Nachricht vom angeblichen Einschlag zweier russischer Raketen auf NATO-Gebiet im November fasste das Bündnis mit spitzen Fingern an – und fand entgegen ukrainischer Behauptungen schnell heraus, dass es sich um Trümmer ukrainischer Raketenabwehr handelte.

Unkoordinierte Materialbeschaffung

So sehr Russlands Präsident Wladimir Putin auch die Propaganda befeuert mit der Behauptung, er führe Krieg gegen die NATO und die NATO sei ein Grund für den Krieg, so sehr macht er zugleich deutlich, dass er daran selbst nicht glaubt: Die NATO verstärkte im Rahmen ihres Verteidigungsplans die Truppen im Osten massiv, setzte 40.000 Soldaten, 130 Flugzeuge und 140 Schiffe in erhöhte Alarmbereitschaft. Doch Putin fühlte sich dadurch kein bisschen bedroht, entblößte sogar sein nordwestliches Territorium an der NATO-Grenze, um die dort stationierten Truppen in der Ukraine einzusetzen.

Gleich geblieben sind jedoch die größten Probleme der NATO. Da es nun vor allem um die Verteidigungsfähigkeit in Europa geht, treten die unkoordinierten Materialbeschaffungen der hiesigen NATO-Mitglieder umso krasser in Erscheinung. Bei Übungen im Baltikum können Anhänger des einen NATO-Staates nicht mit den Militär-Lkws des anderen verbunden werden, weil die Kupplungen nicht passen. Die Funkverständigung klappt kaum. Und Reserven an Munition verschwinden mit jeder Lieferung an die Ukraine, statt sie für eine überzeugende Abwehrbereitschaft aufzustocken. Lange vor dem Krieg war klar, dass sie in Deutschland ohnehin nur für zwei Tage Verteidigung reichen würden. Hinzu kommt die politische Anfälligkeit der Bündnismitglieder. Die Türkei hält die NATO-Mitgliedschaft Schwedens nun schon seit acht Monaten auf. Und auch in Litauen verschärft sich die Krise, weil Deutschland nicht, wie erwartet und angeblich versprochen, eine Brigade mit mehreren tausend Soldaten ständig dort stationiert, sondern nur eine Kerneinheit.

Im zweiten Kriegsjahr bleibt für die NATO viel zu tun, um nur die Lücken und Defizite zu schließen, während Putins Truppen kämpfen, wachsen und eskalieren.

Phil
12. Februar 2023 - 10.38

Irgendwie scheint der hirntote Zustand der Nato (E. Macron 07.11.2019) doch Auswirkungen hinterlassen haben. Es besteht ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, beide Länder sind weder Mitglieder in der EU noch in der Nato. Herr Stoltenberg sollte sich seine Mitgliedsliste bzw. die Landkarte genauer anschauen und sich aus allem raushalten was ihn nichts angeht!