Bis Sonntagabend hat sich die Opferzahl nach dem russischen Raketenangriff auf einen Wohnblock in der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro (früher: Dniepropetrowsk) auf 25 Personen erhöht. Dazu kommen mindestens 72 Verletzte, wie Staatspräsident Wolodymyr Selenski im Kiew mitteilte. Weiter suchen Hunderte von Rettungskräften nach noch 43 Vermissten.
Der große Wohnblock sowjetischer Bauart mit seinen 648 Wohnungen wurde am Samstag von einer russischen Ch-22-Rakete getroffen. Zwei Stockwerke wurden über rund 300 Meter Länge zerstört, insgesamt sind gut 70 Wohnungen unbewohnbar gebombt geworden, weitere 250 seien teils schwer beschädigt, teilte am Sonntag das Rathaus von Dnipro mit.
Dreitägige Trauer in Dnipro
Die Stadtverwaltung hat unterdessen eine dreitägige Trauer ausgerufen. Die in Sowjetzeiten als Raketenschmiede bekannte, für Ausländer geschlossene Rüstungsindustriestadt galt bisher als sehr gut gegen den russischen Raketen-Terror geschützt. Dnipro erlebte in den vergangenen gut 320 Kriegstagen wenige Raketeneinschläge und wenn, dann in den Außenbezirken. Am Samstag aber hatte der Kreml laut der ukrainischen Luftwaffe fünf Tupolew-22M-Kampfjets mit den gefürchteten Ch-22-Raketen aus dem Schwarzmeerbecken und Kursk in Russland in Richtung Dnipro gesandt. Mit ihrer extrem hohen, bis zu 4.000 km/h Eigengeschwindigkeit seien die Ch-22-Raketen kaum abzufangen, hieß es am Sonntag in ukrainischen Militärkreisen.
Wie wichtig eine gute Raketenabwehr ist, hat inzwischen auch Polen begriffen. Der Ukraine-Krieg führt dort zu einem Tabu-Bruch: Anfang dieser Woche sollen 400 deutsche Bundeswehrsoldaten in Südostpolen nahe der ukrainischen Grenze stationiert werden. Die hoch spezialisierten deutschen NATO-Truppen sind darin geschult, das amerikanische „Patriot“-Raketenabwehrsystem gegen allfällig mögliche Angriffe russischer oder auch belarussische Raketen auf Polen einzusetzen. Polen selbst verfügt bisher nicht über solche moderne Luft- und Raketenabwehrwaffen. Nun bekommt es drei „Patriot“-Staffeln der Bundeswehr. 16 weitere Staffeln hat Polen bereits vor Monaten direkt in den USA bestellt, doch treffen die ersten fabrikneuen amerikanischen „Patriots“ voraussichtlich erst 2026 in Polen ein.
Die jüngsten Zusagen für schweres Kriegsgerät sind wichtig – und ich erwarte schon in naher Zukunft mehr
Gleichzeitig liefert Berlin eine „Patriot“-Staffel über die Staatsgrenze auf die ukrainische Seite – allerdings ohne Bundeswehrsoldaten, denn die NATO will nach wie vor nicht direkt in den bewaffneten Konflikt mit Russland hineingezogen werden. Die vier „Patriot-Staffeln“ sollen die Güterzuglinien zwischen Polen und der Ukraine schützen. Denn darüber läuft heute rund 90 Prozent der westlichen Militärhilfe an Kiew. „Das ist die optimale Lösung“, sagt Jaroslaw Kaczynski, Polens starker Mann, bis vor kurzem noch Vize-Premier und Sicherheitskoordinator.
Deutsche Soldaten in Polen
Kaczynski war im November mit seiner „Patriot“-Idee für die von Russland angegriffene Ukraine vorgeprescht. Anlass war ein Angebot der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nach einem tragischen Raketen-Zwischenfall an der ukrainischen Grenze mit zwei Toten beim polnischen Dorf Przewodow, Warschau zwei deutsche „Patriot“-Staffeln zu überlassen. Der betont Deutschland-feindliche rechtsnationale Kaczynski wollte die angebotenen „Patriots“ stattdessen an die Ukraine weiterreichen. Der Grund? Für die Wählerschaft seiner Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sind deutsche Soldaten auf polnischem Boden ein „rotes Tuch“, immerhin hat die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfallen und bis 1945 rund sechs Millionen polnische Bürger, darunter mehrheitlich Juden, ermordet. Deutschland mag zwar ebenso in der NATO sein, doch im nun beginnenden Wahlkampf gibt sich PiS betont anti-deutsch.
Inzwischen haben Warschau und Berlin nach langem Hin und Her einen Kompromiss gefunden: Drei „Patriot“-Staffeln werden samt NATO-Bundeswehr-Experten nächste Woche nach Polen verlegt, eine Staffel kommt in die Ukraine. Ab Ende Januar sollen ukrainische Soldaten in der Bedienung der US-Waffentechnik in Deutschland und den USA geschult werden. „Das ist ein voller Erfolg für Polens Regierung“, kommentiert im polnischen Staatsradio der Jan Mosinski, ein treuer Kaczynski-Kämpe. „Uns liegt viel an der Sicherheit der Polen, und diese Doppellieferung erhöht das Sicherheitsgefühl.“
London setzt Berlin mit Panzer-Lieferung unter Druck
Die britische Regierung will die Ukraine mit Kampfpanzern versorgen und befeuert damit in Deutschland die Debatte über eine Lieferung deutschen Kriegsgeräts vom Typ Leopard 2. Das Büro des britischen Premierministers Rishi Sunak teilte in der Nacht zum Sonntag mit, es sollten bereits in den kommenden Wochen 14 Kampfpanzer des Typs Challenger 2 an die Ukraine gehen. Geplant ist zudem die Lieferung von rund 30 Panzerhaubitzen vom Typ AS90. Bereits in den kommenden Tagen soll damit begonnen werden, ukrainische Streitkräfte für den Einsatz an den Panzern und Geschützen zu schulen. Das Parlament in London wird am Montag über die Details der Waffenhilfe informiert. Partnerländer der Ukraine haben das Land bisher umfassend mit Waffen und Munition beliefert, jedoch nicht mit Kampfpanzern westlicher Bauart. Der britische Vorstoß lässt Rufe in Deutschland lauter werden, die Ukraine auch mit modernen Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 auszustatten. (AFP)
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