Sonntag26. Oktober 2025

Demaart De Maart

DeutschlandDie trüben Stunden des FDP-Chefs Christian Lindner – Nachlese zu den Wahlen in Niedersachsen

Deutschland / Die trüben Stunden des FDP-Chefs Christian Lindner – Nachlese zu den Wahlen in Niedersachsen
FDP-Chef Christian Lindner musste am Montag bereits die vierte verlorene Landtagswahl seiner Partei in diesem Jahr erklären Foto: Kay Nietfeld/dpa

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

SPD und Grüne können jubeln, sie bilden wohl die nächste Landesregierung in Hannover. Großer Verlierer ist die FDP – sie schafft es nicht in den Landtag. Deswegen dürfte der Ton in der Bundesregierung rauer werden. Oder etwa nicht? Eine Nahbetrachtung in den Parteizentralen.

Christian Lindner wird die Montage nach Landtagswahlen verfluchen. Seit er als Bundesfinanzminister einer rot-grün-gelben Bundesregierung im Kabinett sitzt, musste er als FDP-Vorsitzender die Pressekonferenzen am Tag danach jeweils aus der Defensive heraus hinter sich bringen. Bei der Saar-Wahl Ende März waren die Liberalen am Einzug in den Landtag gescheitert, in Schleswig-Holstein halbierten sie ebenso wie in NRW ihr Ergebnis der letzten Wahl. Am Tag nach der NRW-Wahl im Mai sprach Lindner bereits von einem „desaströsen Ergebnis“. Nun flogen die Liberalen bei der Wahl in Niedersachsen, der letzten in diesem Jahr, ebenfalls aus dem Landtag. Insgesamt also kein gutes Jahr für Parteichef Lindner in Regierungsverantwortung im Bund.

Der FDP gelinge es gegenwärtig nicht, für ihr klares Profil hinreichend Unterstützung zu bekommen, sagt Lindner an diesem Montag in der FDP-Zentrale. Seine Partei stelle sich der Herausforderung, das als richtig erkannte Profil „jetzt herauszuarbeiten und zu stärken“. Dafür nehme sie sich Zeit. Was genau das heißt, lässt er offen. Laut Umfrage-Analysten wirft ein Teil der FDP-Anhänger der Partei vor, als Teil der Ampel-Koalition zu viele neue Schulden akzeptiert zu haben.

Und dann beginnt Lindner selbst eine interessante Analyse, die SPD-Chef Lars Klingbeil, der zur selben Zeit im Willy-Brandt-Haus den Sieg der SPD kommentiert, sicher aufhorchen lässt.

Die Ampel insgesamt hat an Legitimation verloren

Christian Lindner, FDP-Chef und deutscher Finanzminister

Der Wahlausgang in Niedersachsen, so sagt es Lindner, stelle aus seiner Sicht ein Problem für die gesamte Ampel-Koalition in Berlin dar. „Die Ampel insgesamt hat an Legitimation verloren.“ Die Verluste von SPD und FDP würden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den Grünen. „Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, für ihre Politik mehr Unterstützung in Deutschland zu erreichen.“

Es ist so eine Art Doppel-Wumms, den der FDP-Chef da mit Blick auf die Ampel lostritt. Lindner betont: „Aus unserer Sicht müssen wir über die Balance von sozialem Ausgleich, ökonomischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu nachdenken, damit die Ampel insgesamt wieder reüssieren kann.“ Was auch immer das für die künftigen Verhandlungen heißen mag.

Der SPD-Vorsitzende wiederum sucht die Wogen zu glätten: „Ich mache mir keine Sorgen um die Regierungsfähigkeit der Ampel oder eines einzelnen Partners der Ampel“, beruhigt Klingbeil und ruft alle Ampel-Koalitionspartner zur Geschlossenheit auf. „Die Antwort darauf ist nicht, dass wir uns beharken, sondern die Antwort ist, dass wir uns unterhaken.“

Herausforderungen angehen

Der SPD-Chef äußert sehr deutlich die Erwartung, den offenen Streit in der Koalition der vergangenen Wochen zu beenden. Man müsse zum Geist der Koalitionsverhandlungen zurückkehren, die im Zeichen eines gemeinsamen Aufbruchs gestanden hätten. „Das ist am Ende das Beste für dieses Land, wenn die Regierung vernünftig zusammenarbeitet, und deswegen erwarte ich das.“ Klingbeil verweist auf die Herausforderungen, vor denen die Koalition im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steht. Diese müssten nun „sehr konzentriert und fokussiert“ abgearbeitet werden.

Auch bei den Grünen beeilt man sich, Gemeinsamkeiten der Ampel-Regierung herauszustellen. „Wenn sie der Meinung sind, dass man bestimmte Dinge nachjustieren muss, müssen wir darüber reden, klar“, sagt Parteichef Omid Nouripour. „Wenn die FDP Beratungsbedarf hat: Wir sind bereit.“ Es sei in einer Koalition selbstverständlich, dass man miteinander sprechen könne. Zugleich machte Nouripour klar, er habe FDP-Chef Lindner nicht so verstanden, dass die Zukunft der Koalition auf der Kippe stehe. Vielmehr müsse sie sich jetzt handlungsfähig zeigen.

Lindner wird das Ampel-Bündnis nicht verlassen. Nicht jetzt jedenfalls. Er hatte schon nach der NRW-Wahl betont, die Ampel-Koalition sei nie der „politische Wunschtraum“ der FDP gewesen. „Wir regieren in der Ampel aus staatspolitischer Verantwortung, weil CDU und CSU nach der Bundestagswahl nicht willens und in der Lage waren, eine Regierung zu bilden“, sagte er im Mai. Daran hat sich nichts geändert. Und doch weiß man auch in den Parteizentralen von SPD und Grünen: Wer mit dem Rücken zur Wand steht, hat nichts zu verlieren und ist weniger berechenbar.

Abschied von der großen Koalition

– Mit einer möglichen rot-grünen Regierung in Niedersachsen wird sich die derzeit letzte große Koalition in den Bundesländern verabschieden.
– In Hannover regierten SPD und CDU seit 2017 unter Führung des bisherigen und künftigen SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil, der nach der Landtagswahl nun aber den Koalitionspartner wechseln will. Das wäre der vorläufige Schlusspunkt unter einer Phase vieler großer Koalitionen.