Spanien hält den Atem an – knappes Ergebnis erwartet

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Die spanische Konfliktregion Katalonien hat am Donnerstag ein neues Parlament gewählt.

Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze

Die spanische Konfliktregion Katalonien hat am Donnerstag ein neues Parlament gewählt. Die Prognosen sahen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den separatistischen und den prospanischen Kräften. Allerdings müssen die Separatisten, die bis Oktober in der Region regierten und die Unabhängigkeit Kataloniens durchsetzen wollen, mit leichten Stimmverlusten rechnen. Dem Spanien-freundlichen Lager wurden derweil Zugewinne zugetraut. Eine Regierungsbildung dürfte aber angesichts eines erwarteten knappen Ausgangs schwierig werden.

Für die Unabhängigkeitsbewegung könnte dies ein Rückschlag bedeuten: Die Anhänger eines eigenen katalanischen Staates werden den Voraussagen zufolge ihr Ziel verfehlen, mehr als die Hälfte der Wählerstimmen hinter sich zu vereinen und damit ihre umstrittene Abspaltungspolitik zu legitimieren. Allerdings wurde nicht ausgeschlossen, dass die Sezessionisten trotzdem die Mehrheit der Mandate im Parlament erobern. Ob dies aber ausreichen würde, um erneut eine separatistische Regierung zu bilden, war ungewiss.

Wahlberechtigte stehen in Barcelona vor einem Wahllokal um ihre Stimme für die Neuwahl des Regionalparlaments in Katalonien abzugeben.

Eine Rekordbeteiligung

Angesichts der Bedeutung dieser Wahl, die von der Unabhängigkeitsbewegung als indirektes Referendum über die Abspaltung der Region angesehen wurde, war die Wahlbeteiligung außergewöhnlich hoch. Vor vielen Wahllokalen hatten sich bereits am Donnerstagmorgen lange Schlangen gebildet. Eine Rekordbeteiligung von mehr als 80 Prozent wurde nicht ausgeschlossen. Schon in der vergangenen Wahl in 2015, in der ebenfalls die Unabhängigkeitsfrage im Vordergrund stand, war die Wahlbeteiligung hoch gewesen. Damals hatten 77 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben.

In der letzten – am Donnerstagmorgen veröffentlichten – Umfrage der Zeitung El Periòdic wurde die prospanische Partei Ciutadans (C’s) der 36-jährigen Anwältin Inés Arrimadas mit etwa 23 Prozent vorne gesehen. Arrimadas führt das prospanische Lager an. Zu diesem Parteienblock gehören auch die Sozialisten (PSC), die bei 15,4 Prozent gesehen werden und die konservative PP (5,4). Der prospanische Block könnte demzufolge auf knapp 44 Prozent kommen. Das wären für das Spanien-freundliche Lager etwa fünf Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Wahl.

Wie werden sich die Katalanen entscheiden?

Niederlage für Puigdemont?

Als zweitstärkste Partei wurde die separatistische Esquerra Republicana (ERC) eingeschätzt, die 22,3 Prozent erringen könnte. ERC-Chef Oriol Junqueras sitzt derzeit in Untersuchungshaft, weil ihm von Spaniens Oberstem Gerichtshof vorgeworfen wird, mit ungesetzlichen Mitteln versucht zu haben, die Unabhängigkeit Kataloniens durchzusetzen. Er musste per Briefwahl seine Stimme abgeben.

Für den früheren katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont zeichnet sich derweil eine Niederlage ab. Er dürfte mit seiner Wahlliste Junts per Catalunya (JxCat) nach Meinung der Meinungsforscher sein Ziel verfehlen, die Unabhängigkeitsbewegung weiterhin anzuführen: Puigdemonts Liste wurde bei etwas mehr als 17 Prozent und damit an dritter Stelle angesiedelt. Puigdemont muss sich wie Junqueras vor der spanischen Justiz verantworten, flüchtete aber nach Belgien. Bei einer Rückkehr muss er mit Festnahme rechnen.

Zum Separatistenlager gehört schließlich noch die kleine linksradikale Partei Candidatura d’Unitat Popular (CUP), der nicht mehr als sechs Prozent zugetraut werden. Zusammengerechnet könnten die Befürworter einer Loslösung von Spanien somit auf etwa 45,5 Prozent der Stimmen kommen. Das wäre weniger als die Separatisten bei der Wahl in 2015 erreicht hatten, als sie noch 47,8 Prozent eingesammelt hatten.

Vor vielen der 2680 Wahllokale hatten sich am Morgen bereits Schlangen gebildet.

Wer bekommt die Mehrheit der Mandate?

Unklar war, wie sich diese Wahltendenz im Parlament in Barcelona, wo die absolute Mehrheit bei 68 der 135 Sitze liegt, niederschlagen wird. Durch das Wahlrecht wird das dünn besiedelte katalanische Hinterland, wo die Separatisten stark sind, bei der Sitzverteilung begünstigt. Sie könnten somit sogar eine Mehrheit der Mandate erringen, ohne eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu haben. Dies war ihnen auch bei der letzten Wahl in 2015 gelungen. Damals hatte die Unabhängigkeitsfront mit knapp 48 Prozent der Stimmen 72 der 135 Sitze errungen – also die absolute Mehrheit.

Möglicherweise wird künftig die kleine linksalternative Liste Catalunya en Comú (CeC), die der spanischen Protestpartei Podemos nahesteht, bei der künftigen Machtverteilung eine Schlüsselrolle spielen. Sie könnte etwa neun Prozent erringen. Comú ist gegen die Abspaltung, unterstützt aber ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien. Die Neuwahl in Katalonien war notwendig geworden, nachdem Spaniens Zentralregierung die katalanische Separatistenregierung in Barcelona wegen zahlreicher illegaler Entscheidungen Ende Oktober abgesetzt hatte. Dem Separatistenkabinett unter Ministerpräsident Puigdemont war vorgeworfen worden, am 1. Oktober ein illegales Unabhängigkeitsreferendum organisiert und am 27. Oktober eine widerrechtliche Unabhängigkeitserklärung durchgesetzt zu haben. Spaniens Verfassung sieht eine Abtrennung von Regionen nicht vor.

Bei dem Referendum am 1. Oktober, das von den Separatisten gegen ein Verbot des Verfassungsgerichts angesetzt worden war, hatten 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit gestimmt, die Beteiligung lag aber bei nur 43 Prozent. Als die Polizei versuchte, das Verbot durchzusetzen, Wahllokale zu schließen und Wahlzettel zu beschlagnahmen, sorgte der unverhältnismäßige Einsatz von Knüppeln für hässliche Bilder, die um die Welt gingen und Spanien heftige Kritik einbrachten.