Skandale prägen Japans Wortschatz

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Für Japan war 2017 offensichtlich kein gutes Jahr. Zumindest nicht, wenn man sich die frisch gekürten Worte des Jahres anschaut.

Für Japan war 2017 offensichtlich kein gutes Jahr. Zumindest nicht, wenn man sich die frisch gekürten Worte des Jahres anschaut. Demnach bewegten Skandale die Menschen mehr als alles andere. Premier Shinzo Abe steht dabei im Mittelpunkt.

Von unserer Korrespondentin Susanne Steffen

„Sontaku“ (Vermutung) heißt das auf den ersten Blick so harmlos klingende Wort des Jahres 2017 in Japan. Vier Monate lang war es das meist gesuchte Wort in japanischen Online-Suchmaschinen.

Sontaku steht für zwei Skandale, in die Premier Shinzo Abe verwickelt war. Zum einen ging es um die mysteriösen Umstände, unter denen ein Freund des Premiers als erster Betreiber seit Jahrzehnten die Genehmigung für die Eröffnung einer veterinärwissenschaftlichen Hochschulfakultät erhielt. Ein weiterer Freund von Abe konnte – ebenfalls unter ungeklärten Umständen – zu einem weit unter dem Marktwert liegenden Preis ein Grundstück für die Errichtung einer nationalistisch ausgerichteten Grundschule erwerben, deren Ehrenvorsitzende zeitweise die Frau des Premiers war.

In beiden Fällen konnte dem Premier keine direkte Einmischung in die bürokratischen Entscheidungen nachgewiesen werden. Doch die monatelange Befragung der betroffenen Beamten legt nahe, dass die Bürokraten sich gezwungen gefühlt haben, in vorauseilendem Gehorsam den Willen des Regierungschefs zu vermuten und entsprechend zu handeln. Ganz nach Motto: Der Hofstaat versucht dem Herrscher zu gefallen.

Frühwarnsystem auf der Hit-Liste

Dass Abe trotz der wegen dieser Skandale rapide sinkenden Beliebtheitswerte die kurze Zeit später angesetzten Neuwahlen haushoch gewinnen konnte, liegt vor allem an der Nordkoreakrise, welche ebenfalls einen Kandidaten für das Wort des Jahres hervorgebracht hat: „J Alert“ hat es unter die ersten zehn der wichtigsten Wörter 2017 geschafft.

Das offizielle Frühwarnsystem, das ursprünglich für Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Tsunami entwickelt worden war, kam in diesem Jahr gleich mehrfach zum Einsatz – allerdings, um vor nordkoreanischen Testraketen zu warnen, die über japanisches Territorium flogen.

Vertuschung oft gesucht

Ein weiterer Anwärter auf das Wort des Jahres war „Tokusai“, die „spezielle Übernahme“. Ursprünglich beschreibt das Wort ein so inniges Vertrauensverhältnis unter Geschäftspartnern, dass sogar Ware, die von den vereinbarten Qualitätsstandards abweicht, gekauft wird, in dem Vertrauen, dass Sicherheitsmängel ausgeschlossen sind.

In diesem Jahr spielt „Tokusai“ jedoch auf diverse Vertuschungsskandale an, bei denen Bluechip-Unternehmen wie Kobe Steel oder Mitsubishi Materials minderwertige Ware auslieferten und statt die Kunden zu informieren lieber Testergebnisse fälschten.

Einer der wenigen Lichtblicke war da das zweitplatzierte Wort. „Insuta-bae“ – „Auf Instagram hervorstechen“. Das Wort beschreibt den Drang sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen, ein für Instagram perfektes Foto zu schießen, um möglichst viel virtuellen Beifall zu erheischen.

Bleibt zu hoffen, dass im kommenden Jahr dann nicht nur das Foto, sondern auch das, was hinter der Fassade ist, wieder etwas beifallswürdiger wird.