Da haben sich zwei gefunden

Da haben sich zwei gefunden

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Eine Analyse und eine Glosse zur neuen Regierungskoalition in Österreich.

Zwei Monate nach der Wahl wird in Wien die neue ÖVP-FPÖ-Koalition unter dem 31-jährigen Bundeskanzler Sebastian Kurz vereidigt. Die Rechtspopulisten haben dafür eine Menge Kreide geschluckt, sie verkneifen sich jeglichen Radikalismus.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Linz

Es hatte sich schon im Wahlkampf abgezeichnet: Da haben sich zwei gefunden. Sebastian Kurz und sein designierter Vizekanzler Heinz-Christian Strache können gut miteinander. Und sie machen daraus auch keinen Hehl, sondern stellen ihre emotionale Nähe bei der Präsentation des Regierungsprogrammes am Samstag offen zur Schau.

Kurz gleich nach Brüssel

Kurz betont mit Verweis auf die quälende Regierungsbildung in Deutschland die gute Atmosphäre in den Verhandlungen, Strache die „menschliche Qualität“ des künftigen Regierungschefs. Und so haben sie schier Unmögliches zustande gebracht: „Wir finden uns beide zu 75 Prozent im Koalitionsprogramm“, sagt Strache.

Und so sagt der FPÖ-Chef nun Dinge, die einer Marine Le Pen, mit der seine Partei im Europaparlament noch immer in der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) vereint ist, die Haare zu Berge stehen lassen müssen: „Wir stehen zur Europäischen Union, wir stehen zum Friedensprojekt Europa!“

Nach dem jüngsten EU-Gipfel war spekuliert worden, dass die FPÖ wegen der dort beschlossenen, von ihr aber strikt abgelehnten Russland-Sanktionen gleich erste Probleme machen würde. Strache will aber nicht nur gegen seine Überzeugung die ungeliebten Sanktionen mittragen, sondern auch das im Wahlkampf noch verteufelte CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada.

Schon morgen wird Kurz nach Brüssel fliegen, um EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von der proeuropäischen Ausrichtung seiner Regierung zu überzeugen. Tusk und Kurz sind sich in Sachen Migration ziemlich nahe. Das ist auch eines der Themen, welches im Regierungsprogramm neben dem Senken von Steuern und Schulden prominent platziert ist: „Wir schützen unseren Sozialstaat vor Missbrauch und werden die illegale Migration nach Österreich stoppen.“

Der ÖVP-Chef überraschte selbst ÖVP-Granden mit politischen Newcomern, wie den gebürtigen Düsseldorfer Heinz Faßmann, der vom Vizerektor der Wiener Universität zum Bildungsminister aufsteigt. Auch der neue Finanzminister Hartwig Löger ist ein politisch unbeschriebenes Blatt und war bislang nur Wirtschaftsjournalisten als Vorstandschef des UNIQA-Versicherungskonzerns bekannt. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck kommt ebenfalls aus dem Topmanagement: Sie leitete bis Oktober den teilstaatlichen Telekomkonzern A1, hat aber keine politische Erfahrung. Es sind zudem enge Vertraute von Kurz, die zum Zug kommen. Wie Kanzleramtsminister Gernot Blümel, Elisabeth Köstinger übernimmt das Landwirtschaftsministerium, der ehemalige Rechnungshofpräsident Josef Moser wird Justizminister und nun auch für die Staatsreform zuständig sein.

Staatsmacht in FPÖ-Hand

Weniger personelle Überraschungen bot die FPÖ. Neben Strache als Vizekanzler, dessen Ressortzuständigkeit auf Beamte und Sport sehr beschränkt ist, wird der im Vorjahr gescheiterte Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer Infrastrukturminister. Für Unruhe bei der Opposition sorgen allerdings FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl als künftiger Innenminister und Mario Kunasek als Verteidigungsminister. Dies bedeutet nämlich, dass ab heute alle Geheimdienste der Republik – Verfassungsschutz, Heeresnachrichtenamt sowie das militärische Abwehramt – in FPÖ-Hand sind.

Spannend vielleicht sogar in positiver Hinsicht könnte die Neubesetzung des Außenministeriums mit der Ex-Diplomatin Karin Kneissl werden. Die 52-Jährige gehört der FPÖ zwar nicht an, wurde aber von Strache nominiert und von diesem als „weiblicher Kreisky“ angepriesen. Die Völkerrechtlerin spricht fließend Arabisch und Hebräisch, hat in Amman und Jerusalem studiert sowie über den Nahost-Konflikt dissertiert.



Schwachen geht’s ans Eingemachte

Eine Glosse von Armand Back

31 Jahre ist die ÖVP ununterbrochen Regierungspartei – aber jetzt wird alles neu, denn es wird ja Zeit, dass alles neu wird! Das haben Österreichs Wähler so gewollt, und das bekommen sie nun auch.

Als Erstes wurde bei Österreichs großer konservativer Partei die Farbe gewechselt. Einst in Schwarz gewandt, kommt sie in Türkis daher, seit Sebastian Kurz die Partei im Frühling handstreichartig übernommen und zu einer Liste umbenannt hat, klar, der Liste Sebastian Kurz. Ebenso fix wie die Farbe veränderte die Partei unter ihrem 31-jährigen Shootingstar die Gesinnung. Christliche Werte haben seitdem bei den Christsozialen ausgedient. Um nach oben zu kommen, brauchte es deftigere Kost. Die war schnell gefunden, indem man den Rechtsextremen von der FPÖ ihre Leibesthemen Islamophobie, Migration und Grenzschutz abluchste.

Dass das eigene Parteiprogramm auf diesen Feldern nachher deckungsgleich mit jenem vom extrem rechten Rand war – egal! Denn wer Erfolg haben will, muss leiden. Oder besser noch: andere leiden lassen. Oder noch viel besser: die Schwachen leiden lassen. Und da können Kurz und Konsorten sich im Nachhinein fast schon freuen über die vielen Menschen, die aus dem Mittleren Osten vor dem Krieg geflüchtet sind und Österreichs neuen Hardlinern die perfekte Steilvorlage boten: Berechtigte Sorgen der Bevölkerung wurden mit Angstmacherei und Schuldzuweisungen unterfüttert, heraus kam die Art Wirtschaftschauvinismus, wie ihn Rechtspopulisten und Rechtsextreme seit jeher pflegen. Zum Dank sollen Asylbewerber ihr Smartphone bei der Antragstellung zur Identitätskontrolle vorübergehend abgeben müssen und auch mit dem blöden Euro werden sie sich künftig nicht mehr herumschlagen müssen – statt Geld erwarten sie nun Sachleistungen. Dass das Bezahlen einer Handyrechnung danach quasi ein Ding der Unmöglichkeit wird für Menschen, denen das Mobiltelefon der letzte Draht in die Heimat, zu Familie und Freunden ist? Aber so etwas von egal.

Doch nicht nur Ausländer können sich über die neue Regierung freuen. Auch Arbeiter dürfen das. Sie können künftig zwölf Stunden am Tag arbeiten. Endlich, endlich haben Österreichs Arbeiter also mehr Zeit … zum Arbeiten. Andere Schmankerl? Die Mindestsicherung wird für anerkannte Flüchtlinge gekürzt, für Österreicher wird sie gedeckelt. Ausländische Bezieher müssen zur „obligatorischen Beratung zur Rücksiedlung in das Heimat- oder Herkunftsland“. Auch soll es bald „marktkonforme Mieten“ geben (bislang waren Mieterhöhungen in Altbauten gedeckelt, was zum Beispiel Wien im internationalen Vergleich halbwegs erschwinglich machte).

Das wirklich Beängstigende aber ist, dass Österreich in der Europäischen Union bleibt. Das betonten sowohl Kurz wie FPÖ-Chef Strache. Sie wissen es wohl beide, das Regierungsprogramm riecht nach: Eure Werte könnt ihr behalten, aber wir bleiben in dem Verein, dem wir ab Mitte 2018 mit der Ratspräsidentschaft für sechs Monate vorsitzen. Spätestens dann kann sich Europa für die Öxit-Absage bedanken …

J.C. KEMP
18. Dezember 2017 - 14.17

Mat engem Clin-d'oeil: https://www.youtube.com/watch?v=XNnkIdy307c