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Die Wahl in der spanischen Region Katalonien ist in jeder Hinsicht eine ungewöhnliche Abstimmung. Einige Kandidaten sitzen in Untersuchungshaft.

Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze

Die Wahl in der spanischen Region Katalonien ist in jeder Hinsicht eine ungewöhnliche Abstimmung. Einige Kandidaten sitzen in Untersuchungshaft. Wie zum Beispiel Oriol Junqueras, Spitzenmann der mächtigsten Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke). Andere, wie der entmachtete separatistische Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, haben sich nach Belgien abgesetzt, weil sie in Spanien wegen Rebellion mit Haftbefehl gesucht werden.

Puigdemont führt die Unabhängigkeitsliste Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) an und besteht darauf, wieder in sein Amt zurückzukehren. „Ich bin der rechtmäßige Regierungschef Kataloniens“, behauptet er. Auch der Wahltag, der 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten, ist außergewöhnlich: Ein Donnerstag und kein Sonntag wie normalerweise. Die Zeit drängte: Nachdem Madrid die Separatismusregierung Puigdemonts Ende Oktober wegen fortgesetzten Ungehorsams abgesetzt hatte, soll so schnell wie möglich eine neue Führung ins Amt kommen.

Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont

Eine Schicksalswahl

Es ist eine Schicksalswahl, bei der es um mehr geht als nur um eine neue Regierung: Katalonien, wo 7,5 Millionen Menschen leben, ist tief gespalten. Auf der einen Seite stehen die Unabhängigkeitsbefürworter, die bisher regierten und versucht hatten, die Region ohne Erlaubnis Madrids von Spanien abzuspalten. Auf der anderen Seite formiert sich das prospanische Lager, das gegen die Unabhängigkeit ist und für die Einheit des spanischen Königreichs eintritt.

Die Abstimmung in der Vorweihnachtszeit könnte eine Überraschung bringen: Erstmals seit Jahrzehnten hat eine Spanien-freundliche Partei die Chance, die meisten Stimmen zu erringen. Die Umfragen der vier wichtigsten spanischen Zeitungen sehen übereinstimmend die liberale und prospanische Partei Ciudadanos (Bürger) in der Wählergunst vorn – wenn auch knapp. An zweiter Stelle der Stimmungsbarometer folgt die Separatistenpartei Esquerra.

Die Erhebungen prognostizieren der Unabhängigkeitsbewegung, dass sie ihr großes Wahlziel, mehr als die Hälfte aller Stimmen zu bekommen, nicht erreichen wird. Und dass sie ihre bisherige absolute Mehrheit der Abgeordneten im Parlament verlieren könnte. Das wäre eine empfindliche Niederlage: Die Separatisten haben den spannungsgeladenen Wahlgang, bei dem eine Rekordbeteiligung erwartet wird, zu einem indirekten Referendum über die Abspaltung Kataloniens von Spanien erklärt.

Die Spitzenkandidatin Inés Arrimadas von der oppositionellen Ciudadanos-Partei

Stimmungswandel ja, Machtwechsel unsicher

Das von der Partei Ciudadanos angeführte prospanische Lager kann derweil auf Stimmengewinne hoffen. Dies wird vor allem der selbstbewussten katalanischen Ciudadanos-Chefin Inés Arrimadas zugeschrieben. Sie ist angetreten, um in dieser entscheidenden Wahl „die schweigende Mehrheit“, wie sie es nennt, zu mobilisieren.
Auch die für Spanien eintretenden Sozialisten können offenbar Boden gut machen. Ihr Chef Miquel Iceta wirbt für „die Versöhnung der Katalanen“. Die dritte Partei im Spanien-freundlichen Bund ist die konservative Volkspartei des in Madrid regierenden spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die aber traditionell keine große Rolle in Katalonien spielt.

Eine Regierungsbildung dürfte schwierig werden. Die Wählerbarometer signalisieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden politischen Lager. In den letzten Umfragen kommt der Separatistenblock, zu dem die Wahllisten Esquerra, Junts und die linksradikale kleine CUP gehören, auf etwa 44 bis 45 Prozent. In der vergangenen Wahl in 2015 hatten die Separatisten noch 47,8 Prozent errungen. Dem prospanischen Lager werden nun 44 bis 46 Prozent zugetraut; 2015 war es nur auf 39 Prozent gekommen.

Eine andere Frage ist, ob sich dieser Stimmungswandel auch im Parlament in Barcelona, wo die absolute Mehrheit bei 68 der 135 Sitze liegt, niederschlagen wird. Durch das Wahlrecht wird das dünn besiedelte katalanische Hinterland, wo die Separatisten stark sind, bei der Sitzverteilung begünstigt. Sie könnten somit sogar eine Mehrheit der Mandate erringen, ohne eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu haben. Dies war ihnen auch bei der letzten Wahl in 2015 gelungen. Damals hatte die Unabhängigkeitsfront mit knapp 48 Prozent der Stimmen 72 der 135 Sitze errungen – also die absolute Mehrheit.

Comú-Spitzenkandidat Xavier Domènech

Ein dritter Weg?

Bei der Weichenstellung für die Zukunft Kataloniens dürfte eine kleine Partei eine große Rolle spielen: Und zwar die linksalternative Liste Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam), die 8 bis 10 Prozent erringen könnte. Diese Liste, die der Protestbewegung Podemos (Wir können) nahesteht, vertritt einen dritten Weg zwischen den beiden politischen Polen: Comú ist nicht für die Abspaltung, wirbt aber dafür, den Katalanen ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild zu erlauben.

Comú-Spitzenkandidat Xavier Domènech kündigte an, dass seine Partei weder dem prospanischen Lager noch dem separatistischen Lager an die Macht verhelfen werde. Domènech schwebt ein anderes Modell vor: Eine transversale und progressive „Regierung der Versöhnung“. Und zwar aus der linken Unabhängigkeitspartei Esquerra, den prospanischen Sozialisten und seiner eigenen linksalternativen Liste. „Wir müssen“, sagt Domènech, „die Politik der Blöcke durchbrechen.“