Wieso hat Luxemburg kollaboriert?

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Die Luxemburger Verwaltungskommission hat im zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kollaboriert, sagt der Historiker Vincent Artuso. Wieso und welche Rolle sie dabei spielte, soll er nun erforschen.

„Es steht fest, dass die Luxemburger Verwaltungskommission im zweiten Weltkrieg kollaboriert hat. Welche Rolle sie genau dabei spielte, muss nun aufgedeckt werden“, so Dr. Vincent Artuso gegenüber Tageblatt.lu. Am vergangenen Freitag, 15. März, beauftragte das Staatsministerium den jungen Historiker der Uni Luxemburg, Dr. Vincent Artuso, die Wahrheit über die Rolle der Luxemburger Verwaltungskommission im zweiten Weltkrieg aufzudecken. Radio 100,7 hatte am Samstag in der Sendung „Riicht eraus“ darüber berichtet. Vincent Artuso wird von einer Forschungsgruppe an der Uni betreut, die aus mehreren Historikern u.a. Denis Scuto, besteht. Um was es bei dem Forschungsauftrag geht, erklärt Vincent Artuso gegenüber Tageblatt.lu.

Die Luxemburger Verwaltungskommission hat im zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kollaboriert.

Vincent Artusos Doktorarbeit „La collaboration au Grand-Duché de Luxembourg durant la deuxième Guerre Mondiale: Assimilation, compromission, adaptation“ ist noch nicht veröffentlicht und erscheint in rund zwei Monaten beim Peter Lang Verlag.

Im zweiten Weltkrieg wurden 280 jüdische Kinder aus Luxemburger Grundschulen an die Nazis verraten. Daneben hatte im November 1940, die dem Justizdepartement angeschlossene Ausländerpolizei, eine Liste mit den Namen von 471 polnischen Juden erstellt. Vincent Artuso war in seiner Doktorarbeit zum Thema „Luxemburger Kollaboration im zweiten Weltkrieg“ auf Quellen gestoßen, die u.a. auf die Existenz beider Listen hinwiesen.

Kollaboration

Zwar hatte er die Listen selbst nicht aufgefunden, konnte aber aus den administrativen Quellen auf ihre Existenz schließen. „Ich hatte fast alle Dokumente dazu gefunden. Nun war es klar, dass die Luxemburger Verwaltungskommission mit Nazi-Deutschland kollaboriert hatte“, so Artuso. „Die Listen selbst habe ich nicht gefunden, sondern der Historiker Denis Scuto. Die Aufgabe jetzt besteht daraus, auf der Basis meiner Doktorarbeit weiter zu forschen: Welche Rolle spielte die Verwaltungskommission genau? Dazu werde ich nach weiteren Quellen suchen. Ziel ist es, das gefundene Material zu veröffentlichen. Meine Aufgabe ist es nicht darüber zu urteilen, ob die Regierung sich entschuldigen sollte, sondern nur Fakten aufzudecken und mitzuteilen. Dann liegt der Ball bei den Bürgern bzw. der Regierung.“

„Bereits 1986 war der frühere Tageblatt-Mitarbeiter Paul Cerf auf entsprechende Quellen gestoßen. Doch er hatte damals eine andere Schlussfolgerung daraus gezogen. Für ihn gab es keine Anzeichen auf eine Luxemburger Kollaboration“, so Artuso weiter. „Im Rahmen meiner Doktorarbeit konnte ich durch die Auswertung meiner Quellen das Gegenteil beweisen und ein anderes Fazit schließen.“

„Die Luxemburger Verwaltungskommission hat nicht nur aus Angst kollaboriert. Sie hat selber die Initiative ergriffen“, betont Artuso. „Die deutsche Zivilverwaltung hat damals eine Liste mit Namen polnischer Juden gefragt. Da in Luxemburg Angaben über die Religion, Herkunft oder Rasse von Personen nicht geführt wurden, sondern nur über die Nationalitäten, hätte die Verwaltung eine solche Liste aus objektiven Gründen nicht erstellen können. Doch anstatt die Liste zu verweigern, suchte die luxemburgische Kommission alle polnischen Vor-und Nachnamen heraus und filterte zusätzlich jene heraus, die jüdisch klangen.“

Entschuldigung

Alles geht auf den 9. September 2012 zurück. An jenem Tag entschuldigt sich Belgiens sozialistischer Premier Elio di Rupo im Namen der belgischen Regierung bei der jüdischen Gemeinschaft für die Beteiligung der belgischen Behörden unter der deutschen Besatzung. Aus diesem Anlass fragte sich Serge Hoffman in einem offenen Brief am 19. September im Tageblatt, ob es nicht auch an der Zeit wäre, dass sich die Luxemburger Regierung für ihre Kollaboration entschuldigen sollte.

Am 28. September stellte der Abgeordnete Ben Fayot die parlamentarische Frage, ob nicht auch die Luxemburger Regierung sich nach dem Vorbild Belgiens entschuldigen sollte. Am 30. Januar 2013 sagte Premierminister Jean-Claude Juncker in seiner Antwort, dass er eine Forschungsgruppe ins Leben rufen werde, die die genaue Rolle der damaligen Verwaltungskommission ergründen sollte.