Vieles geht, alles nicht

Vieles geht, alles nicht
(Tageblatt-Archiv)

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Wer meint, die politische Auseinandersetzung ginge allein mit Argumenten, irrt. Dann würde sich ja das Vernünftigste durchsetzen lassen, das, was das Volk manchmal besser spürt, als die Eliten es wissen, wohlgemerkt manchmal, nicht immer.

Betrachten wir den ganz konkreten, gerade hochaktuellen Fall der Trennung von Kirchen und Staat.
Es geht dabei, vordergründig, um die Finanzierung aus dem Steuertopf von materiellen Bedürfnissen der größten Glaubensgemeinschaften sowie um die Rolle dieser Gemeinschaften im öffentlichen Leben, zuvorderst in der Schule.

Luxemburg ist kein Willensstaat; die Gründung (1815, 1839, 1867) wurzelt nicht im Willen der Bewohner. Die damaligen Großmächte verfügten, dass es ihn so gäbe, und überließen den Aufbau des inneren Gefüges dem Kräftespiel. Hier erwies sich die von Rom gesteuerte Catholica als mächtiger als die liberale Bourgeoisie. Rom garantierte ewiges Seelenheil, während die weltlichen Herren nicht einmal Butter und Brot zu bieten wussten.
Um es kurz zu machen: Es gelang der katholischen Kirche, den Staat in einem solchen Maße zu durchdringen, wie es der Islam in seinen Kernregionen tut.

Vor wenigen Generationen bestimmte das Bistum mit seinem weltlichen Arm, der Regierung (in welcher neben der CSV austauschbare Parteien sein durften), nicht nur die Grundausrichtung, sondern den Alltag. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Bücher, Zeitschriften und Filme in Luxemburg verboten; der „Unterricht“ und die Messe waren Pflicht.

Auf Verweltlichung, die Säkularisierung Europas reagierte Rom wie das Chamäleon: Konzile ermöglichten die Anpassung an unvermeidbare Entwicklungen; manchmal wurde es christlichen Parteien sogar gestattet, moderne Reformen vorgreifend mitzutragen (Stichworte: Ehe, Scheidung, Tod). Hauptsache, man behält entscheidenden Einfluss.
Gäbe es diesen Einfluss nicht, hätte die rot-blau-grüne Koalition ihre Kirche/Staat-Trennung viel radikaler durchziehen können als jetzt beabsichtigt. Wir sagen bewusst: „beabsichtigt“, denn noch ist in dieser Frage nicht aller Tage Abend.
Für Gesetzesnovellen, die eine Abänderung der Verfassung erfordern, und das wäre für den radikalen Schluss der teuren und unnötigen Beziehung erfordert, bräuchte die Regierung eine Zweidrittelmehrheit. 13+13+6 ergibt 32 von 60 Sitzen im Parlament, viel zu wenig.

Also kann sie gar nicht anders als den Spielraum nutzen, der im gegenwärtigen Zeitfenster (2013-2018) geboten ist. Was nach den Wahlen 2018 geschieht, hängt vom Wählerwillen ab.
Folgendes Szenario wäre nicht undenkbar: Wütende LSAP- , DP- und „gréng“-Klienten laufen wegen dieser und anderer, als Fehlleistung empfundener Reformen zur CSV, den Linken und der ADR über. Die CSV flirtet mit der absoluten Mehrheit oder bekommt sie sogar; jedenfalls wäre sie in der Lage, alles Gesellschaftspolitische, das per Gesetz neu geregelt wurde, rückgängig zu machen!

Genau!, wirft der Wutbürger ein. Warum ließ man denn kein Referendum zu?
Ganz einfach, meint der langjährige Beobachter und Schreiber dieser Zeilen, weil dieses Referendum aus CSV-Sicht sowieso so unverbindlich gewesen wäre, wie es tatsächlich ist.
Realpolitik scheint nicht nur grausam. Sie ist es.

(Alvin Sold)
asold@tageblatt.lu