Mehrsprachigkeit ist eine Chance

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Die politische Botschaft war nicht zu überhören. Die hierzulande in den Schulen mittlerweile übliche Sprachenvielfalt ist eine Chance.

Um sie zu nutzen, ist allerdings Umdenken erfordert. An erster Stelle von den Lehrern. Diese Vorgaben lagen einer Konferenz zugrunde, die das Institut für angewandte Erziehungswissenschaften der Universität Luxemburg ausgerichtet hatte. Und für die sich immerhin 200 Erziehungsberechtigte angemeldet hatten.

„Das Mythos der Zweisprachigkeit, die Ideologie der Hauptsprache und die Überkreuzung der Sprachen“ – so könnte man, frei übersetzt, die Konferenz betiteln, zu der die Uni Luxemburg mit Professor Dr. Ofelia Garcia von der City University of New York und Professor Dr. Argyro Panagiotopoulou von der Universität zu Köln gleich zwei Spezialistinnen eingeladen hatte. Die Arbeiten wurden geleitet von Professor Dr. Claudine Kirsch von der Uni Luxemburg, die ihrerseits Unterstützung von Professor Dr. Gérard Gretsch erhielt.

Alle Spezialisten haben eine lange, wenn auch sehr unterschiedliche Erfahrung im Umgang mit mehrsprachigen Kindern bzw. mit Schülern unterschiedlicher sprachlicher Herkunft. Doch alle kamen zu dem gleichen Schluss. Der Lehrer muss diese Vielfalt, die sich ihm im Klassensaal bietet, nutzen, und er muss daraus einen Trumpf für die Zukunft der Kinder machen. Dabei muss seine Aufmerksamkeit zwar allen Schülern gelten, seine Geduld jedoch vor allem den schwächeren zugute kommen.

„Ein Kind muss sprechen. Es darf sich nicht ausgeschlossen fühlen, weil es die Sprache nicht beherrscht. Es muss einerseits natürlich angehalten werden, die geläufige Sprache des Landes zu erlernen. Es muss aber auch Respekt und Interesse an seiner eigenen Sprache erfahren. Es ist ein Geben und Nehmen.“ Aus ihrer New Yorker Erfahrung heraus kennt Ofelia Garcia die aus Kindern unterschiedlicher Herkunft zusammengesetzten Klassen, wo sich die Vorschulkinder schrittweise aufeinander zubewegen, indem sie eine gemeinsame Sprache erlernen.

„Ihre Muttersprache darf kein Tabu sein, sondern muss ein Teil des Lernprozesses werden“, warnt die Wissenschaftlerin. In ihren Augen ist die Luxemburger Situation, wo 60 Prozent der Primärschulkinder einen nicht-luxemburgischen Sprachhintergrund haben, insofern faszinierend, als es nicht eine gemeinsame Sprache gibt, sondern gleich drei. „Das ist eine Chance, die man nicht vorbeigehen lassen darf“, unterstreicht sie im informellen Gespräch immer wieder und spricht dann von einem „demokratischen Umgang“ mit den einzelnen Sprachen.

Dynamische Mehrsprachigkeit

Besonders aufschlussreich erschien ihr die Erfahrung, die sie am Vormittag in einer „Précoce“-Klasse machte. Einen kleinen Jungen, der ihre ganze Aufmerksamkeit forderte, vertröstete sie mit den Worten: „Je vais écouter ton copain, et puis je reviens chez toi plus tard.“ Das nahm auch der Banknachbar bejahend wahr. Der erstaunten Frage der Lehrerin „du kanns dach kee Franséisch?“ setzte er die komplette Antwort „d’Madame huet gesot, si geet bei di aner a kënnt dann erëm bei eis“ entgegen. Für Ofelia Garcia war das erneut die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie selbstverständlich Kinder mit fremden Sprachen umgehen können.

Gleichzeitig unterstrich sie wiederum, dass nicht die Kinder sich der zugegeben schwierigen hiesigen Sprachsituation anpassen müssen, sondern die Lehrer. „Wir müssen aus dem traditionellen Schema ausbrechen und uns die ganze Bandbreite der sprachlichen Kenntnisse zu Eigen machen!“ Einen demokratischen Umgang mit den Sprachen fordert sie nochmals plakativ und verlangt von den Lehrern eine größere Flexibilität im Umgang mit den Sprachen.

Argyro Panagiotopoulou geht in ihren Arbeiten noch weiter. „Lehrer mit Migrationshintergrund haben mehr Potenzial, um die Kinder aus der Immigration zu unterstützen“, sagt die deutsche Professorin griechischer Herkunft aus eigener Erfahrung und aufgrund ihrer Forschungsarbeiten. Allerdings seien sie in der Praxis häufig die am wenigsten flexiblen.

Ihre Interviews hätten klar gezeigt, dass alle Schullehrer gerne an dem Erlernten, in den meisten Fällen also der Einheitssprache, festhalten. Auch die Schule habe lange Zeit die Mehrsprachigkeit nicht ausreichend honoriert. So wurde sie in der Schule ein Problem, das häufig zu sozialen Ungleichheiten führte, statt als zusätzliche Chance wahrgenommen zu werden. Positive Erfahrungen hat die Forscherin jedoch in Kanada gemacht, wo die einzelnen Sprachen nebeneinander existieren. Das bedeutet, dass sich die Kinder in der Sprache ausdrücken dürfen, die ihnen am besten liegt. Das bedeutet aber auch, dass die Lehrer mehrsprachig und flexibel sind. „Das verlangt eine neue Einstellung der Lehrer.“

Für eine dynamische Mehrsprachigkeit kämpft auch die an der Uni Luxemburg arbeitende Forscherin Claudine Kirsch, treibende Kraft bei der Fachtagung. Ihre Arbeiten gelten vor allem den Lehrern, denen sie neue Instrumente in die Hand geben will, um mit der Mehrsprachigkeit umzugehen, die mittlerweile in den hiesigen Schulen die Norm ist. Eines dieser Instrumente ist eine pädagogische App, die das Lernen von Sprachen unterstützt. So können die mehrsprachigen Kinder das Tool beim Geschichtenerzählen in der Schule anwenden.

Gerade in Luxemburg seien Offenheit und Dynamik gefragt, so Claudine Kisch. Mehrsprachigkeit sei hierzulande eine zentrale Frage, nicht nur im Bildungssystem. Die Konferenz sollte neue Impulse liefern, stellte sich die Organisatorin vor. Die Zahl der angemeldeten Teilnehmer hat ihr recht gegeben, die konkrete Umsetzung wird Zeit brauchen. Eine Zeit, die unser Land eigentlich gar nicht mehr hat, um aus der vermeintlichen Schwäche einer zu 60 Prozent nicht luxemburgischen Schulpopulation eine Stärke zu machen. Eine Herausforderung, für die neben wissenschaftlichem auch politischer Mut notwendig ist.