David versus Goliath

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Vor 175 Jahren wurde Luxemburg Mitglied des Deutschen Zollvereins. War es eine Notlösung, aus der letztendlich eine Tugend wurde? Oder war der Zollverein schon ein Vorläufer der späteren Europäischen Union? Diese und viele weitere Fragen um ein bislang wissenschaftlich kaum erforschtes Thema hat eine internationale Konferenz im Rahmen der Ausstellung „Halt! Douane – „Lëtzebuerg am Däitschen Zollverein“ angeschnitten.

Eigentlich hatte Luxemburg nach dem Wiener Kongress (1815) keine Wahl. Politisch war es persönlicher Besitz des König-Großherzogs der Niederlande und damit gewissermaßen eine entfernte Provinz des Königreiches. Strategisch wurde seine Festung dem Deutschen Bund angegliedert und Sitz einer preußischen Garnison. Für Preußen war die Mitgliedschaft im Zollverein daraufhin selbstverständlich. Auch der König-Großherzog war dafür. Er versprach sich eine Weiterentwicklung des industriell kaum entwickelten Großherzogtums, das 1839 mit dem Londoner Vertrag fast die Hälfte seines Hoheitsgebietes verloren hatte und sehr isoliert war.

Die Luxemburger jedoch taten sich schwer. Sie wollten lieber eine Zollunion mit Belgien, vor allem aus Angst vor der Konkurrenz aus den deutschen Ländern. Am 8. Februar 1842 mussten sie jedoch klein beigeben, als der „Vertrag über den Anschluss des Großherzogtums Luxemburg an den Deutschen Zoll- und Handelsverein“ unterzeichnet wurde.

„Rein fiskalische Gründe“

Doch auch nach der Vertragsunterzeichnung gab es noch Hürden: Die Partner des Zollvereins hatten Probleme damit, dem holländischen König Einblick in die Organisation zu geben, der sein Land nicht angehörte. Deshalb wurde Luxemburg kein gleichwertiges Mitglied des Zollvereins. Es hatte kein Mitspracherecht in den beratenden Gremien und wurde von preußischen oder ihnen freundlich gesinnten Beamten vertreten. Immer wieder gab es deswegen Konflikte.

Dennoch war die 77-jährige Mitgliedschaft in dem Bündnis eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Luxemburg bekam Zugang zum deutschen Markt. Es konnte seine Industrie ausbauen und wurde ans deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen, was ganz besonders der Eisenindustrie zugutekam. Erstmals in seiner Geschichte wurde es zum Einwanderungsland.

„Der Zollverein wurde aus rein fiskalischen Gründen ins Leben gerufen. Diese Erwartungen hat er auch erfüllt“, so Prof. Hans-Peter Hahn von der Friedrich-Schiller Universität in Jena. Ein politisches Instrument war er allerdings nur für Bismarck und dessen Bemühungen um die preußische Vormachtstellung im Deutschen Reich. Deshalb blieben am Ende von den 18 Mitgliedern nur mehr zwei übrig: Deutschland und das Großherzogtum.
Ein weiterer deutscher Forscher, Marko Kreutzmann von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sieht im Zollverein ebenfalls ein frühes Beispiel einer übergeordneten Struktur, deren wirtschaftliches Gewicht zwar unumstritten ist, die jedoch keine politische Annäherung bewirken konnte.


Eine Erfolgsgeschichte

„Davids Bangen – Goliaths Verlangen“ hat Max Schmitz seine Recherchen über die Entwicklung des Weinbaus in den 77 Jahren des Zollvereins genannt. Die Winzer waren 1839 für eine Wirtschaftsunion mit Belgien, vor allem aus Angst vor einem Preis- und Qualitätsvergleich mit der Pfalz und dem Rheinland. Wein war verhältnismäßig teuer, die Luxemburger konsumierten eher Bier und Schnaps.

So wurde der Luxemburger Wein nach 1880 der zweite Exportartikel hinter dem Eisenerz. Anfangs lieferten die Luxemburger nur das Grundprodukt für deutschen Sekt oder für den Verschnitt mit deutschen Weinen, bald jedoch wurde der Wein von der Mosel zum Modewein und bis nach Berlin exportiert. Das hiesige Anbaugebiet stieg in den 77 Jahres des Zollvereins von 840 ha auf 1.615 ha. 3.477 Winzerbetriebe wurden 1907 gezählt. Mit dem Ende des Zollvereins und dem Verlust des deutschen Absatzmarktes kam es zur Krise. Belgien, dem man ab Kriegsende wieder näherstand, war damals eindeutig ein Biertrinkerland.


Geheimabstimmung

Die öffentliche Meinung war hierzulande am Zollverein kaum interessiert, König-Großherzog Wilhelm II. musste sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, um die Bürger zu überzeugen.

Er setzte deshalb eine geheime Untersuchungskommission ein, die 40 ausgesuchte Unternehmer zu dem Projekt befragte und nach deren – gesteuerten – Anhörung zu dem Schluss kam, die Anbindung an den Zollverein sei die einzig mögliche Option. Hüttenherrn, Steingutfabrikanten, Gerber und Tabakhändler wurden um ihre Meinung gefragt, Brauer, Schieferfabrikanten und die vier Spielkartenhersteller aus Grevenmacher wurden dagegen bewusst ausgelassen, weil ihre Bedenken bekannt waren.

„Eine Alibiveranstaltung“, schlussfolgert Gilles Regener, der die diesbezüglichen Protokolle untersucht hat. Er ist Konservator im Nationalarchiv und zuständig für die Wirtschaftssektion, die mit den 5.000 Metern Beständen der Arbed und späteren Arcelor
eine beachtliche Sparte der nationalen Archivierung darstellt.


Gratwanderung

Aus Angst vor einer negativen Antwort waren die Bierbrauer 1842 von der Geheimkommission gar nicht zur Mitgliedschaft im Zollverein befragt worden. Das war umso einfacher, als der Beruf in den Kinderschuhen steckte und das Bier für den Hausgebrauch häufig selbst gebraut wurde. Die verschiedenen steuerlichen Regelungen erschwerten die industrielle Herstellung. Erst mit dem Ausbau der Eisenbahn wurde Bier zur Handelsware. Die Regeln der Zollunion, allen voran das 1862 eingeführte Reinheitsgebot, zwangen die hiesigen Brauereien zur ständigen Modernisierung, führten jedoch auch dazu, dass Luxemburger Biere nach Belgien, nach Frankreich und sogar bis in die USA exportiert wurden.


Zusammen stark

Genauso alt wie der Zollverein ist die luxemburgische Handelskammer, über deren Anfänge die Historikerin Nicky Blazejewski recherchiert hat. Der Zusammenschluss des hiesigen Handels entstand nach der Belgischen Revolution mit dem ausdrücklichen Wunsch nach einer Anbindung an die belgischen Zolltarife.

Rund 100 Bittsteller waren an den König-Großherzog herangetreten. Wilhelm I. hatte sie jedoch zunächst ignoriert. Erst sein Nachfolger Wilhelm II. zeigte nach einem Besuch vor Ort (die erste Visite des neuen niederländischen Herrschers hier im Land) Verständnis und gestattete daraufhin die Gründung der Kammer. Die Mitgliedschaft im Zollverein konnte sie jedoch nicht verhindern.