Twitter ist die Raucherecke des Internets“

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Seit 2001 bloggt Joël Adami. Für den 20-jährigen Schüler ist der Blog das geeignete Medium, um politisch Stellung zu nehmen und um sich literarisch auszuprobieren. Zu unserem Treffen in seinem Lieblingscafé, dem städtischen Books and Beans, kam er selbstverständlich in Begleitung seines Laptops. Interview: Janina Strötgen

Tageblatt: Was ist für dich das Tolle an Blogs?
J.A.:
„Das Internet und der Blog als ein Teil der Netzkultur sind eine großartige Revolution. Jeder kann mitmachen, es gibt keine Grenzen. Wenn ich einen Text ins Netz stelle, kann jeder etwas dazu schreiben. Diese Interaktivität fehlt bei anderen Medien.
Außerdem ist bloggen kostenlos. Wenn du das Medium beherrschst, kann es dir alles bringen, was du dir erträumen kannst. Wir haben jetzt schon einen großen Teil des gesamten Wissens der Menschheit im Netz. Vieles davon ist frei verfügbar, für jeden.“
„T“: Dennoch ist das Internet eine virtuelle Welt. Gibt es da nicht dieses „Aber“?
J.A.:
„Ist eine Zeitung realer als ein Blog? Okay, eine Zeitung kannst du anfassen und eine Fliege damit totschlagen. Aber ist sie deshalb realer?“
„T“: Eine Kneipe finde ich schon realer als einen Chatroom …
J.A.:
„Ja, es gibt einen Unterschied. Aber eine Kneipe ist nicht zwangsläufig besser als ein Chatroom. Sie wird nur besser angesehen.“
T“: Stört es dich nicht, dass so viele Informationen von dir im Netz sind?
J.A.:
„Nein. Ich bestimme ja, was von mir kursiert.“
„T“: Du möchtest also der Welt mitteilen, dass deine „Seele zu reif für deinen jungen Körper“ ist?
J.A.:
„Wir schreiben immer auch eine Art Tagebuch. Deshalb ist das schon o.k. Schließlich sehen das ja auch Leute, die mich kennen und in mein Zimmer kommen.“
„T“: Aber durch deinen Blog lässt du ja gleich jeden in dein Zimmer.
J.A.:
„Ich möbliere es doch. Je nachdem, was ich von mir preisgeben möchte. Aber das mit der Seele, von wann ist das denn?“
„T“: Das steht auf deinem Blog. Themawechsel: Du bist Mitbegründer der „Jeunes mélancoliques“, einer neuen literarischen Bewegung. Wie definiert ihr euch, warum seid ihr melancholisch?
J.A.:
„Wir verstehen uns als eine literarische Bewegung, die die Melancholie als eines ihrer Grundthemen hat, aber nicht unbedingt darauf versessen ist, traurige Texte zu schreiben. Thierry hat das in unserem Manifest folgendermaßen ausgedrückt: ‚It rather means, we are aware of and concerned with the social problems in a world, that is, sadly, technologically far more advanced than morally.‘“
„T“: Auf eurer Homepage grenzt ihr euch klar von anderen ab, wie zum Beispiel von der Emo-Szene. Warum?
J.A.:
„Wir wollen ein Gegenpol sein zu diesen Hollywoodfilmen in Taschenbuchformat, wie zum Beispiel dieser Dan-Brown-Literatur. Wir stellen uns Fragen. Wie benehmen sich Menschen? Wo stehen wir am Anfang des 21. Jahrhunderts, in einer medialen Welt voller Blogs, Handys, Internet? Warum finden wir uns, überall verbunden, trotzdem nicht?“
„T“: Wollt ihr bekannt werden?
J.A.:
„Man schreibt nie nur für sich. Eine meiner Definitionen ist, dass ein Kunstwerk ein Kunstwerk ist, wenn es andere Leute betrachten können. Wenn ich es nur in meinen Computer schreibe, dann nützt es niemandem etwas und wenn ich es ins Netz stelle, dann kann es wachsen. Es kann Leute inspirieren, ihnen das Herz erfreuen. Aber das Wichtigste ist der Spaß am Schreiben.“
„T“: Wie beurteilst du die Luxemburger Blogosphäre?
J.A.:
„Leider ist das Ganze in Luxemburg etwas unterentwickelt. Von etwa 150 bis 200 Blogs ist die Rede, allerdings sind davon nur etwa zehn, 15 aktiv. Was hier wirklich fehlt ist, dass Blogger ernst genommen werden beziehungsweise überhaupt von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.“
„T“: Wie meinst du das?
Joël antwortet nicht. Dann lacht er. Er scheint etwas Lustiges auf seinem Bildschirm entdeckt zu haben.
J.A
.: „Ich habe bei Twitter erzählt, dass ich gerade interviewt werde und gefragt, was ich dir erzählen soll.“
„T“: Aha, und wer oder was ist bitte Twitter?
J.A.:
„Twitter ist ein Microblogging-Dienst, eine Webseite, die dich fragt, was du gerade machst. Du hast 140 Zeichen, um zu antworten. Also SMS-Größe. Twitter erfreut sich einer großen Popularität, gerade die Zeichenbegrenzung schafft die Qualität.
In Berlin war letzte Woche sogar eine Twitter-Lesung. ‚Ich trinke einen O-Saft, ich sitze auf dem Klo, ich werde interviewt‘ usw. Twitter ist so etwas wie die Raucherecke im Netz.“
„T“: Ach so, und über was sollst du mit mir reden?
J.A.:
„Über die Tatsache, dass Blogs klassische Medien unnötig machen können.“ (lacht)
„T“: Ist das auch deine Meinung?
J.A.:
„Blogger lieben ihr Medium. Wir sind eine Armee von Millionen Menschen, die täglich Inhalte produzieren. Mit viel Sorgfalt und Liebe. Da sind wir qualitativ natürlich eine Konkurrenz für Zeitungen, die mehr Zeit damit verbringen, Pressemitteilungen abzutippen, als Recherche zu betreiben. Doch guter Journalismus kann weiterhin mit Blogs mithalten. Was mir fehlt, ist wie gesagt, die Anerkennung.“
„T“: Wie meinst du das?
J.A.:
„Mir fehlt die allgemeine Verständlichkeit, dass es neben den großen Zeitungen auch noch Privatmenschen, sogenannte Bürgerjournalisten gibt, die ihre Sachen ins ‚world wide web‘ stellen.
Das Internetverständnis der Luxemburger Medien ist unterentwickelt. Sie bringen im Netz nicht viel mehr als ihre Originalobjekte. Aneinander gereihte Kommentare sind noch lange keine Blogs.“