Stinkefinger an alle Machthaber

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In "White Rabbit, Red Rabbit" geht es um Gehorsam, Verantwortung und Vertrauen. Gleichzeitig ist es ein ebenso genialer wie einfacher "bras d’honneur" an alle Gegner der Meinungsfreiheit.

Mittlerweile wurde es in 16 Sprachen übersetzt. Am vorigen Mittwoch feierte die luxemburgische Version Premiere.

Info

„White Rabbit, Red Rabbit“, von Nassim Soleimanpour, auf Luxemburgisch übersetzt von Guy Rewenig

Weitere Aufführungen:
(Sprache in Klammern)

6 março 2015, 20.00 h com Nilton Martins (P)
8. Mee 2015, 20.00 Auer mam Steve Karier (L)
20th May 2015, 8 p.m. with Jules Werner (E)
11. Juni 2015, 20.00 Uhr mit Nickel Bösenberg (D)
2. Juli 2015, 20.00 Auer mam Christiane Rausch (L)

Wo?
Théâtre national du Luxembourg

Infos:
www.tnl.lu

Kurz bevor der Schauspieler auf der Bühne erscheint, erklärt eine Mitarbeiterin des Theaters den Zuschauern den Ablauf des Abends. Danach erst erhält der Schauspieler den Text, den er also in dem Moment zum ersten Mal sieht, wo er bereits vor dem Publikum steht.

Versuchskaninchen

Wie soll man sich auf ein Stück vorbereiten, bei dem man nicht weiß, worum es geht? Marc Baum, der am vorigen Mittwoch (10.12.14) bei der Premiere für Marco Lorenzini einspringen musste, tat es mit einer Zigarette. „Ich hab keine Ahnung, was auf mich zukommt“, sagte uns Baum kurz vor der Vorstellung am Theatereingang. Ergo könne von einer Vorbereitung nicht die Rede sein.

„Ich bin also das Versuchskaninchen“ sagte er, als er den Text erhielt. Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Allerdings: er ist es nicht allein. Der Autor zieht die Fäden und lässt seine Puppen tanzen. Obwohl er abwesend ist und manches einem sonderbar vorkommt, werden die Anweisungen – auch von den Zuschauern – befolgt. Allerdings, selbst ein Autor kann in seinem Stück nicht alles vorhersehen. Einige Zuschauer verstanden kein Luxemburgisch. Marc Baum musste also improvisieren im Improvisieren, was ihm nicht ohne Witz gelang.

Viel Freiraum blieb ihm allerdings nicht: Der Autor dirigierte quasi aus dem Nichts. Die Handlung des „Stücks“ ist schnell erzählt. Es besteht aus Regieanweisungen des Autors an den Schauspieler, aber auch an die Zuschauer.

Absurd und skurril

Verschiedene von ihnen sollen z.B. Kaninchen spielen, einen Bären oder einen Tiger, der wiederum einen Strauß imitiert. Niemand ist der, den er eigentlich sein sollte, heißt es an einer Stelle: Das ewige Verstecken des eigenen Ichs, das Spielen einer Rolle auf der Welt als große Bühne.

Das Stück kommt absurd und skurril daher: Die Geschichte der Kaninchen ergibt auf den ersten Blick keinen Sinn.

Ein Sinn (vielleicht gibt es mehrere) ergibt sich einem dann, wenn man vom Text als Theaterstück Abstand nimmt und ihn als Brief, als Botschaft eines iranischen Autors an ein ihm unbekanntes Publikum sieht.

Die Regieanweisungen, die Befehlen gleichkommen, werden vom Autor und vom Publikum größtenteils ausgeführt. Sind sie also verantwortlich oder nicht für die Handlungen, die ihnen aufgetragen werden und die sie wie willige Kaninchen befolgen? Oder sind sie unschuldige Handlanger? Neben der Verantwortung geht es auch um Vertrauen. Inwieweit können wir unseren Nächsten, die uns bitten, dies oder das zu tun, trauen. Auf einem Tisch stehen zwei Gläser. In eines wird am Anfang des Stückes von einem Zuschauer ein Pulver geschüttet, das Gift darstellen soll. Am Schluss wird der Schauspieler eines des beiden Gläser trinken, ohne zu wissen, in welchem Glas sich das „Gift“ befindet.

16 Sprachen

Nassim Soleimanpour schrieb das Stück 2010, als er seine Heimat, den Iran, nicht verlassen durfte, da er den Militärdienst verweigerte und wahrscheinlich von der Polizei überwacht wurde. Sein Stück jedoch ging – inzwischen in 16 Sprachen übersetzt – auf die Reise rund um den Erdball. Wie der Autor selbst an einer Stelle sagt, zeige sein Stück, wie die Vergangenheit die Zukunft beeinflusst, da der Text jedes Mal von einem anderen Schauspieler gelesen und interpretiert wird. Die Aufführung ändert sich somit jedes Mal, mal mehr, mal weniger.

Gedanken sind, wenn sie einmal im Umlauf sind, nicht mehr aufzuhalten.

Das wissen Machthaber seit jeher. Soleimanpour durfte nicht ausreisen. Seine Gedanken hielten sich nicht daran. Ein genialer wie auch einfacher Stinkefinger an autoritäre Machthaber.